Bei der DB gibt es Watt zu erleben
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Deutsche Bahn ist, wenn du um 12 Uhr aus dem Haus gehst, um den 11.45-Uhr-Zug zu erreichen, belustigen sich Schweizer beim verschmitzten Blick über die Grenze. Dabei ist derlei Ironie geradezu milde im Vergleich zur Realität, denn 15 bis 20 Minuten Verspätung sind auf deutschen Gleisen geradezu ein Musterbeispiel an Pünktlichkeit.
Auch das Zugpersonal nimmt es mit Galgenhumor
Neulich bin ich rund 200 Kilometer mit dem Auto durch die Nacht gefahren, um meinen Sohn von einem Bahnhof abzuholen. Seine Bahnverbindung hatte auf 150 Kilometern mehr als fünf Stunden Verzug, und als er spät abends dann mitten auf der Route an einem Bahnsteig stand, fuhr kein Anschlusstriebwagen mehr. Er hätte ein Taxi nehmen müssen oder übernachten – in der vagen Hoffnung, dass die Züge am folgenden Tag vielleicht pünktlicher sind. Mit der Deutschen Bahn werden also selbst vergünstigte Studententickets zu einem teuren Vergnügen.
Immerhin nimmt es das Zugpersonal schon vielfach mit Galgenhumor, wenn die Durchsagen wieder mal den ernüchterten Fahrgästen verkünden, dass es leider wieder eine Verspätung gibt: „Zehn Minuten, das ist doch ein Klacks.“
Pünktlichkeit? In anderen Ländern klappt das
In allen Nachbarländern klappt es mit den Zügen wunderbar, während die deutsche Schiene geradezu symbolträchtig steht für ausgezehrte Substanz einer Infrastruktur, die über Jahrzehnte als weltweit vorbildlich galt. Selbst Peruaner, denen deutsche Entwicklungshilfe zu modernen Fahrradschnellwegen und umweltfreundlichen Bussystemen verhelfen soll, würden sich in den Warteschleifen auf deutschen Bahnhöfen nur verwundert die Augen reiben.
„Es gibt Watt zu erleben“, wirbt die Deutsche Bahn derzeit mit einem Gewinnspiel für eine Zugtour an die Küste samt Wattführung und Seehund-Bestaunen. Gott sei Dank beträgt der Gezeitenwechsel nur sechs Stunden, sonst könnte der Kurztrip zu einem Sommerurlaub ausarten.
Die kinderfreundliche Staatsbahn?
Für Familien wird das Bahnreisen ohnehin ein teurer Spaß. „Nutzen Sie unsere günstige Familienreservierung für 10,40 Euro in der 2. Klasse und 13 Euro in der 1. Klasse für bis zu fünf Personen“, zeigte sich die DB bislang bewusst kinderfreundlich: „Wir erklären Ihnen, wo sie mit Ihren Kindern im Zug am besten sitzen.“ Dass die DB nicht mehr zwischen „Sie“ und „sie“ unterscheiden kann, wäre ein lässliches Übel, doch künftig will die Bahn noch viel weniger zwischen Groß und Klein unterscheiden: Ab Sonntag gibt es überhaupt keine Familienreservierung mehr bei der DB. Damit wird auch klar, wo Familien künftig mit ihren Kindern am besten sitzen: auf Koffern im Gang nahe der Toilettentür.
Die Proteste waren groß gegen die neue Preispolitik. Der Fahrgastverband Pro Bahn beschwerte sich massiv gegen die unsozialen Folgen. Greenpeace warnte vor erheblichen ökologischen Auswirkungen, wenn weniger Menschen auf der Schiene unterwegs sind. Und auch politisch gab es im Vorfeld einen Aufschrei: Ob CDU, SPD, Grüne oder Linke – überall stieß die Entscheidung der DB auf Ablehnung.
Sie sind am Zug, Herr Verkehrsminister!
Die Verkehrs- und Sozialpolitiker der Parteien müssen wohl im falschen Zug gesessen haben, als sie ihren Protest verkündeten: Die Deutsche Bahn ist zwar seit 1994 eine Aktiengesellschaft, aber befindet sich im Eigentum des Bundes. Die DB ist also weiterhin ein Staatsunternehmen, und die „Beteiligungsführung wird durch das Bundesministerium für Verkehr wahrgenommen“. Es liegt also durchaus auch in den Händen der Bundesregierung – und mithin wäre Bundesverkehrsminister Patrick Schnieder (CDU) am Zug, um die Familienreservierung bei der DB vielleicht doch nicht auf dem Abstellgleis ausrollen zu lassen.
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