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Fünf, zehn oder fünfzehn Prozent?

Samstag, 23.08.2025, 08:00 Uhr

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Geschichten, die das Leben schreibt, sind mitunter so skurril, so abenteuerlich, dass selbst phantasievolle Romanciers sie nicht hätten erfinden können. Wer sich im Internet auf die Suche begibt nach Geschichten, die das Leben geschrieben hat, der findet deshalb inzwischen ganze Bibliotheken, Autorenlisten und You-Tube-Kanäle, die solche Storys auf den Markt bringen. Keine Ahnung, ob sie immer vom Leben geschrieben worden sind, oder vielleicht doch den Traumdeutungen der Autorinnen und Autoren entspringen.

Trinkgeld gibt es seit dem Mittelalter

Oft bringen uns aber auch Alltagsbegegnungen mit ihren ganz kleinen Geschichten zum Schmunzeln oder gar zum Verzweifeln – mindestens aber zum Nachdenken. Ein schönes Beispiel ist das Trinkgeld, dessen Tradition bis ins Mittelalter zurückreicht – als Beigabe für einen Dienstleister, der das Geld auf sein Wohl vertrinken möge. Aufforderung zum Alkoholismus, ließe sich aus der Wortbedeutung herauslesen. Doch möchte ich das jetzt nach so langer Zeit auch nicht allzu wörtlich nehmen.

Eine Frage der Psychologie im Alltag

Belegt ist die freundliche Zugabe etwa in der frühen Neuzeit aus einem Brief des berühmten Malers Albrecht Dürer. Er bedankt sich darin 1509 bei einem Frankfurter Geschäftsmann für ein Trinkgeld an seinen Bruder Hans Dürer. Wie hoch die Zugabe war, wie viel Prozent vom Wert oder der Leistung, lässt sich daraus zwar nicht entnehmen. In jedem Fall aber diente das Trinkgeld dazu, seine Zufriedenheit oder Freude über einen bestimmten Service auszudrücken. So sind Trinkgelder auch ein Teil der Alltagspsychologie, denn sie können bei nächster Gelegenheit wahre Wunder an Zuwendung und Qualität vollbringen.

Doch wie viel Trinkgeld ist erforderlich, was ist üblich, angemessen oder gar gerecht? Und wo landet das Trinkgeld am Ende überhaupt, wenn dafür im Laden nur ein allgemeiner Sammelkasten zur Verfügung steht. Bei der freundlichen Verkäuferin oder Bedienung, auch beim griesgrämigen Kollegen – oder gar bei Chef oder Chefin? Diese Frage stelle ich mir jedenfalls wiederholt, wenn ich über ein Smartphone oder andere elektronische Sammelkästen zahlen soll, die mich unaufgefordert vor die Qual der Wahl stellen: Fünf, zehn oder fünfzehn Prozent Trinkgeld leuchten mir als Alternativen immer häufiger beim Bezahlen entgegen. Ohne die Frage, ob mir der Service überhaupt gefallen hat.

20 Euro Trinkgeld für ein Abendessen?

Neulich war ich mit meiner Frau und meinen Kindern zur Feier einer freien Woche im Restaurant. Ganz normale Küche, kein Luxus-Laden. Doch satte 187 Euro blinkten mir auf dem smarten Bildschirm entgegen – und die wortlose Aufforderung, entweder fünf, zehn oder fünfzehn Prozent Trinkgeld zu geben. In aller Regel neige ich zu zehn Prozent. Aber sollte ich jetzt wirklich fast 20 Euro Trinkgeld geben, weil uns die Bedienung die Teller brachte und wieder abräumte? Und fließt das Trinkgeld per Finger-Tip auch wirklich ins Portemonnaie der Kellnerin? Fragen über Fragen, die mir in Millisekunden durch den Kopf schossen, während die Servicefrau erwartungsvoll auf den kleinen Monitor blickte.

Bares ist Wahres

Ich entschied nach Bauchgefühl – und drückte die Taste „Kein Trinkgeld“. Bevor der Kellnerin die Kinnlade herunterklappte, zückte ich aus meinem Geldbeutel einen Zehn-Euro-Schein, den sie sich dann mit Lächeln in die Hosentasche steckte. Ich wiederum fühlte mich befreit: frei von Zwängen, die mir ungebeten auf einem Monitor aufleuchten, frei von dem bohrenden Gedanken, ob die Kellnerin am Ende leer ausgeht – und frei von der Analyse, ob wir besser günstigeres Essen bestellt hätten, um weniger Trinkgeld zahlen zu müssen.

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joerg.kleine@goslarsche-zeitung.de

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