Juden in Bad Harzburg: Gekommen, um zu gehen

Der Bad Harzburger Geschichtsforscher Markus Weber bei seinem Vortrag im Haus der Kirche. Foto: Privat
In den ersten Jahren nach Ende des Zweiten Weltkriegs kamen zahlreiche Juden nach Bad Harzburg, eigentlich um sich dort niederzulassen und ein neues Leben anzufangen. Doch nicht alle hießen sie willkommen. Darüber hat jetzt Markus Weber referiert.
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Bad Harzburg. Zwischen 1945 und 1950 entstand in Bad Harzburg neues jüdisches Leben. Überlebende aus Konzentrationslagern, Verfolgte aus Polen und andere kamen in die Kurstadt und versuchten trotz aller erlittenen Verfolgungen und Gewalttaten wieder eine bürgerliche Existenz zu begründen oder in der Kurstadt zu gesunden. Auf diese Zeit schaute jetzt der Bad Harzburger Geschichtsforscher Markus Weber vom Verein „Spurensuche Harzregion“ zurück. Im Haus der Kirche hielt er im Rahmen der Jüdischen Kulturtage vor mehr als 50 interessierten Gästen einen Vortrag.
Damals, nach dem Zweiten Weltkrieg, unterstützte die britische Besatzungsmacht den Zuzug der Juden und stellte ein Erholungsheim, das ehemalige Hotel „Ernst August“ von Max Ohrenstein in der Herzog-Julius-Straße, für Rekonvaleszenten zur Verfügung.
Schnell wieder weg
Zeitweise, so berichtet Weber, lebten 120 jüdische Menschen im Erholungsheim. Eine jüdische Gemeinde mit über 50 Mitgliedern etablierte sich und erhielt ein eigenes Büro. Es gab Versuche, sich eine auskömmliche Existenz zu errichten, beispielsweise das Fischgeschäft Rotkowski oder die Pelzhandlung Glücksmann. Beide Inhaber gaben jedoch später auf und wanderten aus.
Ab 1950 war kaum noch jüdisches Leben in der Stadt zu verzeichnen. Die Menschen verließen Deutschland, zogen in die USA oder siedelten sich im neu gegründeten Staat Israel an.
Eindrucksvoll berichtete Weber von seinen lokalhistorischen Forschungen, die er unter die Überschrift „Gekommen, um zu gehen“ gestellt hatte. Anhand von Einzelschicksalen schilderte er die Bemühungen, neues jüdisches Leben in Deutschland zu errichten. In den Vortrag eingeflochten war eine Vielzahl von Zitaten aus Briefen und zeitgenössischen Äußerungen, vorgetragen von Joachim Hoffknecht.
Juden erwarten Umerziehung
Die jüdischen Bürgerinnen und Bürger wurden jedoch nicht von allen Bad Harzburgern willkommen geheißen. Die Stadt verhinderte die Einrichtung eines jüdischen Kinderheimes an den Wolfsklippen mit dem Hinweis, eine solche Belegung sei „schädigend für den späteren Kurbetrieb“. Auch gegen das Erholungsheim, neben einem für Kinder in Hamburg-Blankenese das einzige in der Britischen Zone, formierte sich zunächst Widerstand.
In einem Briefwechsel zwischen ausgewanderten Juden und einer Harzburgerin steht: „Leider versteht der Großteil der Deutschen immer noch nicht und es ist unglaublich, was wir hier über Antisemitismus und Nazi-Untergrundbewegungen hören.“ Man erwartete 50 Jahre der „Re-Education“ des deutschen Volkes.
Das Erholungsheim wurde zu einem Zentrum der Juden in der Britischen Zone. Hier fanden zwei Kongresse jüdischer Gemeinden aus Nord- und Westdeutschland statt, die demokratische Strukturen erarbeiteten und Regelungen für das jüdische Gemeindeleben berieten.
Ausdrücklich wurde 1948 die Gründung des Staates Israels gewürdigt. Der Vertreter Norbert Wollheim beklagte die „Heuchelei der Deutschen“, die vorgäben, nichts von den Gräueltaten gewusst zu haben: „Nicht wir haben Europa zerstört, und nicht wir werden es wieder aufbauen.“
„Ein Gesicht geben“
Viele Juden aus Bad Harzburg, so berichtete Weber weiter, wanderten nach Israel aus, das 1948 durch David Ben Gurion als Staat proklamiert wurde: „Israel wird all seinen Bürgern ohne Unterschied von Religion, Rasse und Geschlecht, soziale und politische Gleichberechtigung verbürgen.“ Dies sei, so bedauert Weber, nicht eingelöst worden und erinnerte an frühere Kriege sowie den gegenwärtigen in der Region.
Der Vortragsabend im Haus der Kirche endete mit einer Fragerunde und viel Beifall für die lokalen Recherchen des Referenten. „Ich will den Menschen, die hier gelebt haben, ein Gesicht geben. Ihre Lebensgeschichte soll nicht vergessen werden“, betonte Markus Weber. red