„Wendeblues“: Goslarer Theologe schreibt über Mord im Pfarrhaus

Neu erschienen: „Wendeblues“ von Hans-Martin Gutmann. Grafik: Omnino
Professor Hans-Martin Gutmann ist gebürtiger Goslarer und ehemaliger Theologie-Dozent. Seit Beginn seines Ruhestands schreibt er Krimis über den ermittelnden Pastor Lukas Bentorff. Sein dritter Roman, „Wendeblues“ ist soeben erschienen.
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Goslar. Die alte Frau Freise stürzt in der Kirche – Beckenbeinbruch. Bei Willi Mützenich versagen die Fahrradbremsen, und er fliegt in hohem Bogen über die Pfarrhausmauer – Schlüsselbeinbruch. Der Pastor kann gerade noch zur Seite hechten, als ein schwerer Ast auf ihn niederstürzt. Und die verführerische Ratsgymnasiums-Lehrerin Rosa Steinicke wird mit eingeschlagenem Schädel tot aufgefunden. Alle vier waren Mitglieder des Kirchenchors. Aber ist das ein Motiv?
Pastor Lukas Bentorff, Seelsorger der fiktiven Orte Groß und Klein Samtleben im Salzgittergebiet, hat im Krimi „Wendeblues“ seinen dritten Fall zu lösen – und diesmal schont Autor Hans-Martin Gutmann seinen Helden wahrlich nicht. Es sind nicht nur kriminelle Aktivitäten, die den Ermittler an den Rand der Belastungsgrenze bringen. Was der gebürtige Goslarer, der selbst Jahre lang Pastor in einer ländlichen Gemeinde war, hier beschreibt, ist der alltägliche Stress im Pfarrhaus, der den Stelleninhaber schon einmal an den Rand des Burnouts bringen kann: Beerdigungen und Konfirmandenunterricht, die Finanzen der chronisch klammen Gemeinde, Dorftratsch und die Organisation des Konfirmandenferienseminars – es wird alles zu viel für den Dorfgeistlichen, sein Alkoholkonsum wächst, kann ihm aber auch nicht helfen, und so bricht er nach einer Beerdigung einfach zusammen – ein leichter Schlaganfall, dessen Symptome Gutmann beängstigend genau schildert.
Sex-Orgie wirkt wie Zirkeltraining
Der Krimi wartet mit einer ganzen Reihe von Körperverletzungs-delikten auf. Gutmann setzt krasse Akzente: Ein Ratsgymnasiumslehrer mit gezücktem Messer, Entführung, Freiheitsberaubung, Folter, Geiselnahme, Sexorgien, die den Geistlichen eher an „Zirkeltraining“ erinnern. Dazu eine rasende Verfolgungsjagd, eine „Ente“, die in Flammen aufgeht, Autodiebstähle – der Autor zieht alle Register des Thriller-Genres. Doch trotz der Action-Elemente: Der Schwerpunkt liegt nicht auf plumpen Haudrauf-Szenen, sondern im zwischenmenschlichen Bereich, dem Beziehungsgeflecht um den Pastor und seine Schäfchen und der Frage, ob Bentorff eine neue Liebe findet.
Die Mauer ist gefallen, die Grenze noch da
Vor allem aber ist es dem Autor, wie bereits der Titel verrät, erneut ein Anliegen, die Stimmung in der – zur Handlungszeit noch existierenden – DDR darzustellen. „Wendeblues“ spielt im Jahr 1990, die Mauer ist gefallen, die Grenze noch da, aber die ersten negativen Folgen der „Wiedervereinigung“ lassen sich bereits absehen. Bei seinen Ermittlungen in Thüringen, der Heimat der erschlagenen Vera, erfährt der Pastor, dass nicht alles Gold ist, was den Bewohnern der fünf neuen Länder so glänzend erschien. In Gesprächen mit Freunden und Fremden von „drüben“ hört er zwar auch, aber eben auch von verlorenen Wohnungen, von der Entwertung der gesamten Lebensleistung.
Temporeicher Krimi mit authentischer Pfarrhaus-Atmospäre
„Wendeblues“ ist spannend geschrieben, wirkt durch die kurzen Sätze und den im Präsens sprechenden Ich-Erzähler extrem temporeich, fast gehetzt, sodass man den Stress und die Hektik im Pfarrhaus und die Zusatz-Belastung durch Beziehungskisten, Alkohol und Mord sehr gut nachvollziehen kann. Die Erzählung lebt vom Detailreichtum und den authentischen Schilderungen einer klassischen Harzer Dorfgemeinde. Wohingegen der Mord selbst und die polizeiliche Ermittlungsarbeit mehr hinter den Kulissen passieren. Der Autor weiß sehr genau, seine Schwerpunkte entsprechend seinen Erfahrungen zu setzen.
Fazit: Ein temporeicher Krimi mit einem Ermittler an der Grenze seiner Belastbarkeit. Und eine Spurensuche im Osten mit der Frage, was man damals hätte anders und besser machen können. Lesenswert.
Hans-Martin Gutmann: Wendeblues. Berlin: Omnino-Verlag, 2022. 209 S., Euro 15.