Streik im ÖPNV: Was Pendler jetzt wissen müssen

Die Fahrzeuge der Stadtbus Goslar bleiben am Freitag im Depot. Archivfoto: Epping
Kaum ist der Lokführerstreik bei der Bahn beendet, eskaliert der nächste Tarifkonflikt. An diesem Freitag will Verdi den ÖPNV stoppen. Betroffen sind auch die Stadtbusse in Goslar. Wie die Gewerkschaft den Arbeitskampf begründet und die Pflichten der Pendler.
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Gerade konnten die Bahn-Pendler nach dem vorzeitigen Ende des Lokführer-Streiks aufatmen, schon steht der nächste Arbeitskampf bevor. Die Gewerkschaft Verdi hat für Freitag zum bundesweiten Streik im öffentlichen Nahverkehr aufgerufen. In Niedersachsen sind sechs kommunale Unternehmen betroffen – darunter auch die Stadtbus Goslar.
„Aufgrund eines durch Ver.di angekündigten Warnstreiks wird es am Freitag im Stadtbus-Goslar-Liniennetz zum Stillstand des gesamten Fuhrparkes kommen“, schreibt das städtische Unternehmen. Betroffen seien alle Linien an diesem Tag von Betriebsbeginn bis Betriebsende. Da der Streiktag in die Schulferien falle, sei der Schülerverkehr vom Streik nicht betroffen.
Die Braunschweiger Verkehrsbetriebe teilten gegenüber der „Braunschweiger Zeitung“ mit, dass am Freitag ebenfalls von Betriebsbeginn bis Betriebsende Busse und Straßenbahnen im Depot bleiben würden. Es werde keinen Linienverkehr geben, betroffen seien alle Stadtbahnlinien sowie alle Buslinien mit einer 400er-Nummer. Dies gelte auch für die Anruf-Linien-Taxis (ALT).
Zentrale Kundgebung in Hannover
In Niedersachsen sollen die Beschäftigten der Braunschweiger Verkehrsgesellschaft, der Göttinger Verkehrsbetriebe, von Osnabus und SWO-Mobil in Osnabrück, Stadtbus Goslar, Üstra Hannover sowie der Wolfsburger Verkehrsgesellschaft ihre Arbeit niederlegen. Die Gewerkschaft ruft nach Angaben eines Sprechers insgesamt 4500 Arbeitnehmer in Niedersachsen zum Warnstreik auf. Einige Hundert werden zu zentralen Kundgebung in Hannover erwartet.
In Sachsen-Anhalt wollen Beschäftigte der Verkehrsunternehmen in Dessau, Halle, Magdeburg sowie dem Burgenlandkreis streiken. In Thüringen in Erfurt, Gera, Jena, Mühlhausen, Nordhausen, Sondershausen, Suhl/Zella-Mehlis, Weimar, dem Landkreis Weimarer Land und dem Saale-Holzland-Kreis.
Ist der Streik eine Entschuldigung für Verspätungen bei der Arbeit?
Nein, Berufstätige dürfen nicht einfach zu spät zur Arbeit kommen. Arbeitnehmer tragen das sogenannte Wegerisiko und sind selbst dafür verantwortlich, rechtzeitig im Betrieb zu erscheinen. Andernfalls können Gehaltseinbußen oder Sanktionen drohen. Arbeitgeber können Beschäftigte auch abmahnen, wenn diese zu spät oder gar nicht im Unternehmen erscheinen. Das ist zumindest immer dann möglich, wenn der Streik – wie auch in dieser Woche – rechtzeitig vorher angekündigt worden ist. Für Pendler heißt das: Am Freitag nicht auf Bus und Bahn verlassen, sondern Alternativen suchen. Dabei muss man in der Regel auch höhere Kosten in Kauf nehmen, etwa weil man mit dem Auto zur Arbeit fährt. Auf Schüler in Niedersachsen hat der Streik keine Auswirkungen, denn es gibt Zeugnisferien.
Warum ist die Umweltbewegung Fridays for Future dabei?
Unterstützt wird der Verdi-Warnstreik von der Umweltbewegung Fridays for Future (FFF). Gemeinsame Aktionen beider Organisationen zum Thema ÖPNV hatte es in der Vergangenheit schon öfter gegeben. FFF setzt sich vor allem für bessere Arbeitsbedingungen und für stärkere Investitionen ein, um den öffentlichen Verkehr als Alternative zum Auto attraktiver zu machen. FFF ist am Freitag auch bei der zentralen Kundgebung in Hannover dabei und will eigene Flugblätter an Passanten verteilen. Die Umweltbewegung fordert von der Bundesregierung bis 2030 zusätzliche Investitionen in den ÖPNV von 16 Milliarden Euro im Jahr.
Außerdem wird Verdi von Greenpeace unterstützt: „Für die Verkehrswende ist ein zuverlässiger öffentlicher Verkehr dringend nötig“, erklärte Greenpeace-Verkehrsexpertin Marissa Reiserer. Und dieser sei nur mit besseren Arbeitsbedingungen für das Personal möglich. „Wenn Fahrer und Fahrerinnen krank ausfallen oder frustriert kündigen, blockiert das eine klimafreundliche und sozial gerechte Verkehrswende.“
Was sagt Verdi?
Julian Fricke vom Verdi-Bezirk Region Süd-Ost-Niedersachsen stellte fest, dass es dieses Mal nicht um den Lohn geht. „Wir wollen die Arbeitsbedingungen verbessern, um den Job attraktiver zu machen“, sagte er. „Die Leute gehen auf dem Zahnfleisch.“ Die vielen Spät- und Wochenenddienste der Bus-, U- und Straßenbahnfahrer sollen als Schichtdienst anerkannt werden. Das würde bis zu vier Urlaubstage mehr bringen. Zusätzlich fordert Verdi drei Urlaubstage mehr. Die Bus- und Bahnfahrer hätten eine hohe Verantwortung. Der Fachkräftemangel sei so groß, die Arbeitsbedingungen so „katastrophal“, dass sich etwas ändern müsse, sagte Fricke. „Wir brauchen für die Verkehrswende mehr Leute“, sagte er. Dass der GDL-Streik gerade erst zu Ende sei, sei reiner Zufall. „Ich kann den Unmut der Menschen verstehen, dass nun schon der nächste Streik folgt. Aber er ist unser einziges Mittel.“
Was sagen die Arbeitgeber?
Beim Kommunalen Arbeitgeberverband Niedersachsen stoßen der Streik und dessen Hintergrund auf Unverständnis. Hauptgeschäftsführer Michael Bosse-Arbogast sagte unserer Zeitung: „Wir werden ab März die höchste Entgelterhöhung in der Geschichte haben. Die Fahrerinnen und Fahrer erhalten eine Erhöhung von mehr als 13 Prozent.“ Bis dahin gebe es den vollen Inflationsausgleich von 3000 Euro. „Die Tinte unter diesen Vertrag ist noch nicht mal richtig trocken, da ruft Verdi schon wieder zum Streik auf. Denn all das scheint nicht zu reichen“, sagte Bosse-Arbogast. In einem einzigen Punkt stimme Verdi und der Arbeitgeberverband überein: Auf dem Arbeitsmarkt finden sich kaum noch Fahrer. „Schon jetzt fehlen welche“, so Bosse-Arbogast. Zur Forderung nach zusätzlichem Urlaub sagte er: „Die Verkehrswende klappt nicht mit weniger Arbeit.“ Schon jetzt würden Berufseinsteiger als Fahrer ohne eine benötigte Ausbildung, sondern lediglich mit einem Personenbeförderungsschein als Anfänger etwa 40.000 und mit Erfahrung etwa 50.000 Euro pro Jahr verdienen – plus betrieblicher Altersvorsorge.
Was sagt der Fahrgastverband Pro Bahn?
Auch beim Fahrgastverband Pro Bahn Niedersachsen hält sich das Verständnis für den Streik in Grenzen. Sprecher Malte Diehl sagte zum zeitlichen Zusammenhang mit dem GDL-Streik auf Anfrage unserer Zeitung: „Das ist sehr misslich in dieser kurzen Folge und ein erheblicher Ansehensverlust für den ÖPNV.“ Diehl kritisierte, dass die Deutsche Bahn beim GDL-Streik einen Notfallplan „zusammengeschustert“ habe, die kommunalen Verkehrsbetriebe aber nicht. „So etwas muss es auch im ÖPNV geben“, forderte er.
Wie ist die Lage an Flughäfen?
Nicht nur im ÖPNV gibt es Streiks, auch an vielen deutschen Flughäfen, darunter Hannover. Am Flughafen Hannover fallen wegen des Warnstreiks der Luftsicherheitskräfte am Donnerstag alle Flüge aus. Geplant waren 35 Starts und 34 Landungen. Für Not- und Rettungsflüge bleibt der Flughafen Hannover aber geöffnet. Der Airport forderte laut Mitteilung alle betroffenen Passagiere auf, Kontakt mit ihrer Fluggesellschaft oder ihrem Reiseveranstalter aufzunehmen. Die Gewerkschaft Verdi hat die Sicherheitskräfte an elf Flughäfen für Donnerstag zum ganztägigen Ausstand aufgerufen. Betroffen sind unter anderem auch Frankfurt am Main und Bremen. Die Luftsicherheitskräfte sind etwa an den Kontrollen für Passagiere, Gepäck und Personal tätig. Ohne sie ist ein normaler Betrieb nicht möglich. Verdi fordert für die bundesweit ungefähr 25.000 Branchenbeschäftigten unter anderem höhere Gehälter. eik/dpa/Funke-Mediengruppe