Einer der Wendehälse, die derzeit in Goslar Junge aufziehen. Die Vögel sind selten und gelten als bedroht. Fotos: Andrew Rose/Stade
Der Wendehals gehört zu den Vögeln, deren Namen wie Schimpfwörter benutzt werden. Darüber hinaus handelt es sich um einen hübschen Vogel, der sehr selten ist. Die Art gilt als bedroht. Ein Ornithologe hat in Goslar jetzt aber sieben Junge beringt.
Von Oliver StadeDienstag, 13.06.2023, 17:30 Uhr
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Goslar. Während sich vor allem unter Vögeln, die ihren Lebensraum an und auf landwirtschaftlich genutzten Flächen finden, das Artensterben ungebremst fortsetzt, gibt es hin und wieder auch kleine Erfolge. In Bettingerode und im Raum Rhüden etwa brüten zwei Storchenpaare. In Goslar hat sich jetzt sogar der seltene Wendehals angesiedelt.
Nach Kenntnis von Vogelexperten wie dem Wiedelaher Paul Kunze und dem Okeraner Naturfreund und Insektenexperten Gerwin Bärecke gibt es im Landkreis Goslar aktuell nur ein weiteres Brutpärchen. Der in Goslar lebende und ebenfalls vogelkundige Brite Andrew Rose beobachtet das Wendehalspärchen seit April. Er meint hingegen, so selten seien die Vögel nun auch wieder nicht. Der 58-Jährige war früher Soldat, ist mit einer Deutschen verheiratet und unterrichtet Englisch an Hochschulen der Region.
Paul Kunze öffnet den Brutkasten.
Gefahr am Nistkasten
Der Atlas für Brutvögel in Niedersachsen führte in der Ausgabe 2005 bis 2008, an der der Goslarer Herwig Zang mitgearbeitet hat, den Vogel seinerzeit unter der besorgniserregenden Kategorie „vom Erlöschen bedroht“. Im Harz wurde damals lediglich eine kleine Population im Hochharz registriert, auf Kahlflächen, denn die Wendehälse ernähren sich überwiegend von Ameisen.
In ihrem Buch „Vögel im Harz“ von 2020 schreiben Egbert Günther und Bernd Nicolai über den Wendehals, er zähle zu den gefährdeten Arten, auch deswegen, weil Waschbären sich in den vergangenen Jahren darauf spezialisiert haben, Wendehals-Nistkästen zu plündern.
In früheren Zeiten gab es den Vogel offenbar noch häufiger. Im Jahr 1965 bemerkte Dr. Reinald Skiba in seinem Büchlein über „Die Harzer Vogelwelt“, der Wendehals sei vor allem bei Goslar und Oker „nicht selten“. Der aktuelle Standort in Goslar scheint für den Wendehals wie geschaffen: Das Pärchen hat sich an einem Waldsaum mit davor liegender Wiesenfläche angesiedelt. In dem Brutkasten befinden sich sieben etwa zehn Tage alte Junge. Ornithologe Kunze hat sie Ende voriger Woche beringt. So kann ihr Schicksal nachverfolgt werden, wenn sie irgendwo aufgefunden oder mit einem Spektiv beobachtet werden.
Wendehälse sind etwas kleiner als Stare, aber größer als Spatzen. Mit ihrem hübschen grau-braunen Federkleid, das optisch an Baumrinde erinnert, sind sie zwischen Bäumen und auf Stämmen gut getarnt. Im Unterschied zu den anderen heimischen Spechten gehört der Wendehals zu den Zugvögeln. Wie alle anderen Spechte wird er zu den Höhlenbrütern gezählt, vermag aber keine eigenen Nisthöhlen anzulegen, sondern verwendet die anderer Spechtarten oder eben Nistkästen, wie jetzt in Goslar.
Einer der kleinen Wendehälse.
Paul Kunze und Andrew Rose erkennen an den wenige Tage alten Jungen bereits typische Merkmale: den dunklen Streifen, der sich bereits zeigt und später vom Kopf über den Rücken reicht, vor allem aber die vierzehigen Zehen, zwei sind nach vorne, zwei nach hinten gerichtet. Mit diesen Wendezehen verfügen sie über einen Spezialkletterfuß.
Kommt die Brut durch?
Paul Kunze sorgt sich derweil, ob die sieben Jungen durchkommen: An dem Brutkasten tummeln sich Bienen. Kunze befürchtet, deren Aktivität könnte das Elternpaar derart stören, dass es sich nicht mehr um die Jungen kümmert.
Diese Gefahr sieht er aus anderen Gründen auch beim Storchenpaar, das seit einiger Zeit auf dem Schornstein der ehemaligen Molkerei in Bettingerode brütet. Finden diese aufgrund der anhaltenden Trockenheit zu wenig Nahrung, darunter Regenwürmer, mit denen die Jungen zunächst gefüttert werden, wie Kunze erklärt, hören sie auf zu brüten. So soll es bereits bei dem Storchenpaar geschehen sein, das an der Nette bei Rhüden gebrütet hat und bei einem weiteren in Riddagshausen bei Braunschweig. Brütende Weißstörche im Landkreis Goslar sind nach der Erfahrung von Kunze „ganz selten“ geworden.
Schlecht beleumundet
Zurück zu den Wendehälsen: Ihren Namen erhielt die Art wegen der auffälligen Kopfdrehungen, zu denen sie fähig ist (um bis zu180 Grad). Dafür, dass ihr Name vor allem während der Zeit der Wende in der DDR verwendet wurde, um Zeitgenossen zu beschreiben, die ihre Gesinnung wie nebenbei und derart schnell wechseln, wie andere Menschen ihre Hemden, können die bedauernswerten Tiere nichts. Sie teilen damit das Schicksal anderer Vögel, deren Namen dafür herhalten müssen, Menschen schlechte Eigenschaften zuzuschreiben. Denken wir beispielsweise an den Schluckspecht oder den Schmierfink, den Dreckspatz, die dumme Gans und die diebische Elster. Oder an den Gimpel, so wurden früher Menschen bezeichnet, die für einfältig befunden wurden, denn der Dompfaff, wie der Gimpel ebenfalls genannt wird, ließ sich leicht fangen.
Paul Kunze und Andrew Rose freuen sich derweil über den seltenen und hübschen Gast in Goslar. Sie wollen den Brutkasten und die Vögel im Blick behalten und kontrollieren und hoffen darauf, dass die Goslarer Wendehälse und das andere Paar im Landkreis ihre Jungen erfolgreich großziehen.
Empfehlung - Seltener Wendehals zieht im Kreis Nachwuchs auf Goslar. Während sich vor allem unter Vögeln, die ihren Lebensraum an und auf landwirtschaftlich genutzten Flächen finden, das Artensterben ungebremst fortsetzt, gibt es hin und wieder auch kleine Erfolge. In Bettingerode und im Raum Rhüden etwa brüten zwei Storchenpaare. In Goslar hat sich jetzt sogar der seltene Wendehals angesiedelt.(...)
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