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115 Schlangen, davon 90 giftig

Schlangenfall vor Gericht: Was wird jetzt aus den Tieren?

Zwei Schlangen der hochgiftigen Art Nordamerikanischer Kupferkopf sind kürzlich in Bremerhaven aufgetaucht. Diese ist mittlerweile in einem Reptilienhaus in Saterland untergebracht. Foto: Florian Häselbarth

Zwei Schlangen der hochgiftigen Art Nordamerikanischer Kupferkopf sind kürzlich in Bremerhaven aufgetaucht. Diese ist mittlerweile in einem Reptilienhaus in Saterland untergebracht. Foto: Florian Häselbarth

Mambas, Kobras und auch ein Königspython: In einer Wohnung in Sehlde hatte man 115 Schlangen gefunden. Die Halterin starb um ein Haar an dem Biss einer Klapperschlange. Die Ermittler vermuten, dass die Zuchttiere weiterverkauft werden sollten.

Freitag, 16.12.2022, 19:30 Uhr

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Sehlde. Die private Haltung exotischer Tiere ist ein in Deutschland kaum regulierter Millionenmarkt – den eine 35 Jahre alte Frau aus dem Ort Sehlde im Umland von Salzgitter beinahe mit dem Leben bezahlte. Nachdem sie um ein Haar an den Folgen eines Klapperschlangenbisses starb, geht der Fall vor Gericht (wir berichteten).

In ihrer verwahrlosten Wohnung fanden Einsatzkräfte im Juni dieses Jahres 115 Schlangen, rund 90 davon giftig, weitere neun gelten darüber hinaus als Tiere, die eine Gefahr für den Menschen darstellen. Unter den beschlagnahmten Schlangen waren Vipern, Mambas, Kobras, mehrere Sorten Klapperschlangen und ein Königspython. Mehr als 30 Schlangenarten lebten auf dem Resthof im Ortskern, sagt das zuständige Veterinäramt. Einige von ihnen gehören zu den giftigsten weltweit, 33 Tiere sind artenrechtlich geschützt.

Als die Frau einem Freund eine Klapperschlange zeigen wollte, biss sie das Tier in den Finger. Die 35-Jährige fuhr ins Krankenhaus, wo man ihr ein per Hubschrauber eingeflogenes Gegengift verabreichte. Trotzdem war lange nicht klar, ob sie überleben würde. Die Haltung giftiger Tiere ist in Niedersachsen nur mit einer Ausnahmegenehmigung möglich und grundsätzlich verboten. Eine Genehmigung, die die Frau aus Sehlde nicht hatte, wie André Wilhelm, Sprecher des zuständigen Landkreises Wolfenbüttel sagt. Tiere darf die Frau nicht mehr halten oder betreuen. Die Behörden haben es ihr untersagt, die Entscheidung sei rechtskräftig.

Gespräche mit Behörde

Doch wohin mit den Schlangen? Was die artenschutzrechtlich geschützten Tiere angeht, führe der Landkreis bereits Gespräche mit der Naturschutzbehörde des Landes. Die anderen Giftschlangenarten würden als „schwer vermittelbar“ gelten, so André Wilhelm. „Lösungen stehen noch aus.“ Sie unterzubringen, wird schwer. „Zoos kommen infrage“, erklärt Oliver Keudel von der privaten Schlangenfarm Schladen. „Es gibt auch Auffangstationen und Tierheime. Aber das ist alles schwierig.“ Keudel war dabei, als Polizisten und Feuerwehrleute die Tiere aus der Wohnung holten. Er führt mit seiner Partnerin die Schlangenfarm. Hier hat der Landkreis Wolfenbüttel die verbleibenden 113 Tiere aus der Wohnung in Sehlde vorerst untergebracht.

Auch strafrechtlich muss sich die Frau verantworten: Das Amtsgericht Salzgitter hatte auf Antrag der Braunschweiger Staatsanwaltschaft einen schriftlichen Strafbefehl beantragt: Die Strafverfolger sahen 115 Verstöße gegen das Tierschutzgesetz. 20 Schlangen waren in selbstgebauten Holz-Terrarien untergebracht, die mit Panzerband gesichert und stark verschmutzt waren. Kot, Urin und Hautfetzen bedeckten den Bodengrund fast vollständig, so die Staatsanwaltschaft. Die anderen 95 Schlangen befanden sich dauerhaft in Kunststoffboxen. „Und wir reden von Tieren, die mehr als zwei Meter lang werden“, sagt Keudel. „Selbst für einen Transport wären die Kisten zu klein.“

Unterernährte Tiere

Viele der Schlangen waren unterernährt. Vier Monokelkobras seien abgemagert und dehydriert gewesen. Eine Schwarze Mamba litt an einer ausgeprägten Mundfäule, eine Buschviper wies eine Verletzung auf. Zwei der Schlangen waren derart geschwächt, dass sie später verendet sind. Ein Veterinär stellte fest: Die Tiere haben stark gelitten.

Die 35-Jährige habe den Tieren Schmerzen und Leid zugefügt, so der Vorwurf. Der Richter verhängte nach Aktenlage eine Geldstrafe von 2000 Euro, 100 Tagessätze zu je 20 Euro. Die Frau hat Einspruch eingelegt. Bleibt es dabei, kommt es zur öffentlichen Verhandlung.

Starker Geruch

Das wäre der Ort, an dem einige Fragen geklärt werden könnten: Etwa die, warum man überhaupt mehr als 100 Schlangen hält, viele davon gefährlich? Eine Antwort gibt es nicht. „Die Frau hat sich zu den Vorwürfen bisher nicht eingelassen“, schildert ein Sprecher der Braunschweiger Staatsanwaltschaft. Trotz des starken Geruchs von Exkrementen will niemand etwas von den Tieren bemerkt haben, die sich nach Ansicht der Ermittler mindestens seit Anfang Juni dort befanden.

Der Vorfall spülte eine seit Jahren in Fachkreisen währende Debatte um die Regulierung der Haltung exotischer Tiere in die Öffentlichkeit. Die niedersächsischen Grünen verwiesen auf ihren Vorstoß für einen Sachkundenachweis – ähnlich wie beim Hundeführerschein.

Doch was brächte so ein Nachweis? Für sich genommen wenig, glaubt die Landestierschutzbeauftragte Michaela Dämmrich (siehe Interview unten). Vielmehr müsste die Haltung bei Privatleuten, aber auch der Handel, grundsätzlicher reguliert werden.

Per Paket lieferbar

Zwar ist die Haltung gefährlicher Tiere in Niedersachsen untersagt und nur per Ausnahmeregelung erlaubt. Aber der Handel ist nicht beschränkt. Die Tiere sind auf Börsen und im Internet erhältlich. „Sie werden auch per Paket geliefert“, sagt Oliver Keudel. Die Anforderungen für die Tierhaltung sind durch Bundesartenschutzverordnung und Tierschutzgesetz geregelt. Wie diese durch die zuständigen Behörden ausgelegt und kontrolliert werden, unterscheidet sich von Bundesland zu Bundesland.

Wie die Tiere in den Besitz der Frau aus Sehlde gelangten, ist unklar. „Wir wissen nicht, woher die Schlangen stammen“, sagt Christian Wolters von der Staatsanwaltschaft Braunschweig. Schlangenfarm-Pächter Keudel hat eine Ahnung. „Kurz zuvor war in Holland eine Reptilienmesse.“ Er geht davon aus, dass es sich größtenteils um Zuchttiere handelt, die weiterverkauft werden sollten. „Das waren viele Jungtiere, oft von der gleichen Art. Wer hält sich sonst acht Mal eine Waldkobra?“ Die Nachfrage nach exotischen Tieren sei groß. „Auch Privatleute züchten, so schwer ist das nicht.“ „Ein Millionenmarkt“, sagt auch Michaela Dämmrich, Tierschutzbeauftragte des Landes Niedersachsen. Es gebe einen regelrechten Exoten-Boom.

Peter Höffken von der Tierschutzorganisation Peta umreißt die Größenordnung des Problems: „Allein 2020 wurden über 350.000 Reptilien nach Deutschland importiert – doppelt so viele wie im Jahr zuvor.“ Der Corona-Lockdown, so vermutet man, trieb die Zahlen nach oben. Ein Trend, der ungebrochen ist. Allein im ersten Halbjahr 2022 gelangten mehr als 190.000 exotische Tiere nach Deutschland. Höffken: „Schätzungen zufolge sind mindestens ein Drittel der Reptilien Wildfänge, die direkt aus ihrem natürlichen Lebensraum entrissen werden“. Der Peta-Aktivist sagt, „es ist viel zu leicht, an diese Tiere zu kommen. Auf der Börse in Hamm etwa gibt es einen eigenen Raum für giftige Reptilien, die kann jedermann einfach kaufen.“ Ohne einen Fachkundenachweis. „Man hört jeden Tag von entflohenen Schlangen. Da muss etwas passieren.“

Durch steigende Energiekosten werden mehr Exoten in den Tierheimen abgegeben: Wechselwarme Reptilien etwa brauchen meist eine Raumtemperatur von mindestens 24 Grad. Das wollen und können sich viele Menschen nicht mehr leisten. Also muss das Tier weg. Peta fordert ein grundsätzliches Verbot der Haltung und des Handels mit exotischen Tieren. „Sie gehören nicht ins Wohnzimmer, sondern sollten in Freiheit leben dürfen.“

Schlangenfachmann Oliver Keudel glaubt, dass mehr Regulierung helfen würde. „Vor allem auf der Ebene des Handels.“ Regeln, die aber auch überwacht werden müssten. Ein generelles Verbot der Haltung exotischer Tiere in Privathaushalten erzeuge hingegen „eine riesige Dunkelziffer“. Denn das Bedürfnis, die Tiere zu halten, sei da. „Und nicht alle Halter machen das schlecht.“ Das Problem: „Man sieht diesen Tieren als Laie nicht an, ob sie Schmerzen leiden.“

Verbot nicht umsetzbar

Ein grundsätzliches Verbot der Haltung exotischer Tiere wäre rechtlich nicht umsetzbar, heißt es aus dem niedersächsischen Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz. Zudem würde das für einige Handelszweige einem Berufsverbot gleichkommen und auch die Haltung in Zoos betreffen. Auch trügen private Exotenhalter erheblich zu wissenschaftlichen Erkenntnissen bei.

Stattdessen widmet sich eine Projektgruppe im Landesministerium seit Anfang des Jahres der Überarbeitung der Gefahrtierverordnung. Der Entwurf sieht vor, zusätzliche gefährliche Tiere in die Liste der verbotenen Arten aufzunehmen. Zudem soll das Verbot für diese Arten auf gewerbliche Halter ausgedehnt werden. Zoos und wissenschaftliche Einrichtungen werden ausgenommen, Ausnahmeregelungen soll es auf Antrag weiter geben.

Tritt die Verordnung in Kraft, müssten Halter nachweisen, dass sie sachkundig, zuverlässig und geeignet sind, bei giftigen Tieren entsprechende Gegenmittel vorhalten und über eine Haftpflicht verfügen.
Von Erik Westermann, Funke Medien Gruppe

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