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42. Goslarer Tage der Kleinkunst

Historisch ehrliches Portrait der Roaring Twenties

„Ein rätselhafter Schimmer“ lautet der Titel des Zwanziger-Jahre-Programms, vom Trio Größenwahn und dem Zeichner Robert Nippoldt virtuos und augenzwinkernd auf die Bühne des Kulturkraftwerks Harzenergie gebracht. Beim Couplet „Schöner Gigolo“ steuert Nippoldt (vorne) den Ukulelenpart bei. Foto: Kempfer

„Ein rätselhafter Schimmer“ lautet der Titel des Zwanziger-Jahre-Programms, vom Trio Größenwahn und dem Zeichner Robert Nippoldt virtuos und augenzwinkernd auf die Bühne des Kulturkraftwerks Harzenergie gebracht. Beim Couplet „Schöner Gigolo“ steuert Nippoldt (vorne) den Ukulelenpart bei. Foto: Kempfer

Kann man ein Publikum in Goslar für eine Revue über die „Roaring Twenties“ im Berlin vor hundert Jahren begeistern? Robert Nippoldt und dem Trio Größenwahn gelingt das. Aus dem vermeintlichen Wagnis ist ein Fest für alle Sinne geworden.

Von Carsten Jelinski Dienstag, 06.06.2023, 06:00 Uhr

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Das, was der Zeichner Robert Nippoldt und das musikalische Trio Größenwahn am 3. Juni auf die Bühne des Kulturkraftwerks Harz-Energie brachten, war ein höchst besonderes, authentisches, historisch ehrliches und begeisterndes Programm. Hut ab!

Der Revuen, die sich des Themas der sogenannten Wilden Zwanziger annehmen, gibt es einige. Doch es gibt nur eine, die so intensiv die alten Lieder mit Gesang, Klavier und Kontrabass wieder auferstehen lässt und gleichzeitig mit Live-Zeichnung, Schattentheater und Animation dem Besucher so intensiv nahebringt, dass das Erlebnis noch tagelang nachwirkt.

Und was machen die Künstler nun auf der Bühne? Diseuse Lotta Stein, Pianist und Akkordeonist Philip Ritter und Julian Walleck an Kontrabass und Theremin lassen auf höchstem musikalischen Niveau die Schlager von Marlene Dietrich und Friedrich Holländer auferstehen, die der Comedian Harmonists sowie Bert Brechts und Kurt Weills Dreigroschenoper. Die Arrangements sind höchst abwechslungsreich, sie werden energiegeladen und in voller Freude am Tun dargeboten.

Künstler Robert Nippoldt zeichnet live. Foto: Kempfer

Künstler Robert Nippoldt zeichnet live. Foto: Kempfer

Auf der rechten Bühnenseite hat der Künstler Robert Nippoldt sein Equipment aufgebaut: Pinsel, Farbe, vorgefertigte Scherenschnitte und Hunderte beschrifteter Papierschnipsel. Parallel zur Musik gestaltet er auf Großbildleinwand Skizzen, schnell wechselnde Montagen, bewegte Bilder und zeitinformierende, mit einer guten Prise Humor daherkommende Texte – wie einst im Stummfilmkino. Aus diesem Mix entsteht dann das Gesamtkunstwerk über die Zeit von 1923 bis 1932.

Ein Beispiel, es geht um das erste Flugzeug aus Ganzmetall, das Hugo Junkers baute, die Ju F 13: Zeichner Nippoldt lässt im Bild dessen Rekordhöhenflug auf 6750 Meter Revue passieren, zeitgleich gestaltet das Trio Größenwahn das Chanson „Mit dem Aeroplan über den Ozean“.

Zurück ins Cockpit des ältesten Ganzmetallflugzeugs der Geschichte, der Ju F 13. Foto: Kempfer

Zurück ins Cockpit des ältesten Ganzmetallflugzeugs der Geschichte, der Ju F 13. Foto: Kempfer

Zu jeder Epoche gehört die zweite Seite der Medaille, das Elend, die Not, die Prostitution. Auch diese Seite wurde von den herrlich aufeinander reagierenden Künstlern nicht vergessen, nicht übertüncht. Da bekam das bekannte Couplet „Schöner Gigolo, armer Gigolo“, bei dem Nippoldt den Ukulelenpart beisteuerte, endlich seinen historischen Hintergrund wieder: Das Lied vom schneidigen Kriegshusar, der in den „Roaring Twenties“ arm ist und für Geld tanzen muss. Ein Abend voller Ideen, kreativ umgesetzt, zum Nachdenken über uns heute animierend und, höchst eindrücklich, in Erinnerung bleibend.

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