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Dietsch verlässt Inklusions-Bündnis

Goslars Behindertenbeauftragter greift Lebenshilfe an

Axel Dietsch

Axel Dietsch

Axel Dietsch, Behindertenbeauftragter der Stadt Goslar, hat das landkreisweite Inklusions-Bündnis verlassen. Begründung: Massive Zweifel an der Motivation anderer Mitglieder. Vor allem die Goslarer Lebenshilfe kommt bei Dietsch nicht gut weg.

Von Petra Hartmann Montag, 17.04.2023, 08:00 Uhr

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Goslar. Axel Dietsch, Behindertenbeauftragter der Stadt Goslar, steigt bei „Goslar geht gemeinsam“ aus. Das Aktionsbündnis für Inklusion hat sich auf die Fahne geschrieben, „Teilhabemöglichkeiten von Menschen mit Beeinträchtigung im Landkreis Goslar zu verbessern“. Dietsch glaubt jedoch, dass er dort seine Zeit verschwendet, und hat massive Zweifel am Inklusionsinteresse einiger Bündnismitglieder.

Drei Punkte nennt Dietsch, die ihm die Arbeit beim Aktionsbündnis verleideten: Die Unmöglichkeit, im Landkreis einen Inklusionsplan zu erstellen, das Scheitern einer Vereinsgründung sowie Akteure, für die nicht Inklusion, sondern Isolation Behinderter das Geschäftsmodell sei – hier nennt er vor allem die Lebenshilfe, die in ihren Werkstätten Behinderte beschäftigt.

„Wir haben tolle Sachen gemacht – aber dieses Bündnis ist gegründet worden, um den Landkreis zu bewegen, einen Inklusionsplan zu erstellen“, sagt Dietsch. „Vor dem Hintergrund, dass der Landkreis offensichtlich keinen Inklusionsplan erstellen wird, ist ‚Goslar geht gemeinsam‘ obsolet geworden“, sagt der Behindertenbeauftragte. Dabei sei es doch keine große Arbeit, einen solchen Plan zu erstellen. Andere Kommunen hätten ihre Inklusionspläne längst, man könne viel übernehmen, auch wenn einige Besonderheiten in Stadt und Landkreis schon hinzukämen, etwa die Berge oder die Regeln des Denkmalschutzes.

Beirat statt Plan

Inzwischen gibt es statt des Inklusionsplans einen Inklusionsbeirat, dessen Vizevorsitzender Dietsch ist. Der Beirat soll nun Punkte zur Inklusion erarbeiten, etwa zur Barrierefreiheit im Bus oder zur besseren Lesbarkeit von öffentlichen Dokumenten. Hier wolle er sich nun einbringen.

Ganz persönlich ärgert sich Dietsch auch über Erlebnisse beim Versuch des Bündnisses, einen Verein „Goslar geht gemeinsam“ zu gründen. Hintergrund: Das Aktionsbündnis besteht aus Vereinigungen und Institutionen, die aber aus rechtlichen Gründen zum Beispiel keine gemeinsame Organisation oder Finanzierung von Veranstaltungen durchführen könne, hier müsse es immer eine einzelne Organisation geben, die dann Ansprechpartner ist. Ein Verein könnte im Namen des Bündnisses handeln. Doch die Gründung sei „einfach vom Aktionsbündnis mitten im Prozess abgebrochen worden“, beschwert sich Dietsch, der als designierter Vorsitzender gegolten hatte. Damit sei auch der von ihm geplante Inklusionstag auf dem Jakobikirchhof geplatzt, mit dem er für barrierefreien ÖPNV werben wollte. „Ich musste allen absagen und die Musik wieder abbestellen“, ärgert sich Dietsch. Auch die Verhandlungen mit der Harzbus GbR habe er vergeblich geführt. „Das ist mir zu blöd und zu viel Zeitaufwand“, knurrt Dietsch.

Und noch etwas geht dem Behindertenbeauftragten extrem gegen den Strich: Er wolle sich nicht vereinnahmen lassen von Einrichtungen, für die es ein „Geschäftsmodell“ sei, Menschen mit Behinderung in Abhängigkeit zu halten und weiter zu isolieren.

Kuschel-Atmosphäre

Konkret nennt er einen Akteur des Aktionsbündnisses: „Das Geschäftsmodell der Lebenshilfe in Goslar ist letztendlich Isolation“, sagt Dietsch. Dort werde eine „Kuschel-Wohlfühl-Bällchenbad-Atmoshäre für Menschen mit Behinderung“ geboten. Die Mitarbeiter mit Behinderungen würden direkt von den betreffenden Schulen übernommen, seien in Wohnungen der Lebenshilfe untergebracht, würden von dort zur Arbeit abgeholt und anschließend wieder nach Hause gebracht. „Es geht aber darum, die Gesellschaft zu öffnen und Menschen mit Behinderung einzuladen, ein Teil davon zu sein“, sagt Dietsch. „Sie sollen selbstbestimmt und würdevoll an den gesellschaftlichen Aktivitäten teilnehmen.“ Die Zusammenarbeit mit einer Firma wie der Lebenshilfe sei für ihn „ausgesprochen problematisch“.

„Absurde Vorwürfe“

Clemens Ahrens, der Geschäftsführer der Goslarer Lebenshilfe, bezeichnet dies als „absurde Vorwürfe“ und nennt Dietschs Angriff „bedauerlich“, das Wort „Geschäftsmodell“ in Zusammenhang mit der Lebenshilfe zu benutzen habe schon ein „Geschmäckle“. Ahrens betont: „Die Menschen, die unsere Unterstützung suchen, sind unsere Auftraggeber. Die Lebenshilfe würde es nicht geben, wenn wir nicht Unterstützung für Menschen mit Beeinträchtigung leisten würden.“

Die gemeinnützige GmbH sei bemüht um Öffnung, Transparenz und gesellschaftliche Teilhabe. „Sonst würde ich hier nicht arbeiten“, sagt der Geschäftsführer. Er verweist darauf, dass von den rund 500 Beschäftigten der Lebenshilfe rund 75 in Betrieben in der Region arbeiten, wenn auch nicht alle in „normalen“ sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen. „Wir gelten in der Region als Modell für den Übergang in den ersten Arbeitsmarkt“, stellt Ahrens heraus. Eine eigene Abteilung, die Goslarer Arbeitsassistenz, betreue diese Menschen.

Beschützer-Atmosphäre

Zum Vorwurf der „Kuschel-Wohlfühl-Bällchenbad-Atmoshäre für Menschen mit Behinderung“ stellt der Geschäftsführer aber auch klar, „dass ein gewisser Teil diese unterstützende Situation braucht. Es ist für manche gut, dass sie eine Beschützeratmosphäre haben.“ Was die Unterbringung in Wohnheimen angehe, dies sei in seiner elfjährigen Amtszeit inzwischen stark abgebaut worden. Im übrigen habe Dietsch von der Lebenshilfe bislang kaum mehr als ein paar Tagungsräume gesehen. Noch einmal zum Wort „Geschäftsmodell“: „Wir sind als Unternehmen gemeinnützig, wir können daraus kein Geld ziehen“, sagt der Lebenshilfe-Chef. Eventuelle Gewinne müsse man wieder in das Unternehmen stecken. Dietsch würde durch seine Äußerungen großen „Flurschaden“ anrichten.

Dietsch jedenfalls ist raus aus dem Aktionsbündnis. Sein Fazit: „Der Inklusionsbeirat ist jetzt für mich das eindeutig wichtigere Gremium, und da werde ich auch meine Zeit reinstecken.“

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