Gewaltspirale produziert keine Gewinner

Im Tanzstück „Elektra“ von Tarek Assam und Patrick Schimanski (Musik) übernimmt Alessia Ricci vom Ensemble „Tanz Harz“ die herausragende Rolle der Mutter, die als männermordende Amazone daherkommt. Nach der Premiere in Halberstadt gibt es heute die erste Vorstellung im Theater in Quedlinburg. Fotos: Rolf K. Wegst
Die Tanzsparte des Nordharzer Städtebundtheaters bringt eine elektrisierende Elektra auf die Bühne ihrer Spielstätten. Das zehnköpfige Ensemble bietet eine atemraubende Leistung in der Vertikale und Horizontale in einer Bühnenwelt voller Gewalt.
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Halberstadt/Quedlinburg. Im Stadttheater Gießen inszenierte Tarek Assam 2021 den Elektra-Stoff mit der dortigen Tanzcompagnie, jetzt setzte er ihn mit dem Ensemble des Tanztheaters Harz (Nordharzer Städtebundtheater) um, eingebunden in die von Patrick Schimanski eigens dafür geschriebene Musik, ein Klangteppich, der von mystischen Passagen über eingefangenes Wispern bis zu Elektro-Pop reicht – Elektra wird da durchaus elektrisch verstanden.
Das elektrisierende Element zerrt in den 75 Minuten auch mal an den Nerven, droht sie zu zerlegen wie die Umgebung der Elektra. Ob als Kapuzenkrieger, Axtmörder oder Gewürm im Staub: Die Bewegungen des zehnköpfigen Ensembles sind eckig und sprunghaft, die Körperbeherrschung horizontal und vertikal sagenhaft, die Premiere in Halberstadt bezwingend.
Der Weg ins Verderben
Beim antiken Stoff begleiten Musik und Tanz unweigerlich den Weg ins Verderben. Hier greift der „Fluch der Atriden“, die Prophezeiung der Götter, dass sich in jeder Generation ein Mörder gegen die eigene Sippe wenden und bis zur fünften Generation alle Nachkommen des Tantalos in eine unheilvolle Folge von Gewalt und Verbrechen stürzen wird. Elektra kann also gar nicht anders, als zur Muttermörderin zu werden – es ist ihr bestimmt.
Gleichzeitig stellt die Inszenierung im Jetzt diese scheinbar unumstößliche Tatsache infrage. Wie verhält es sich heute bei „Ehrenmorden“? Wie sieht es aus mit Mafiamethoden und Bandenkriminalität? Der Blick ins aktuelle Kriegsgeschehen ist nicht weit. Mord und Rache, Schuld und Sühne, ein Thema zu jeder Zeit in jeder Gesellschaft? Immer wieder spannend der Blick aufs Individuum, das sich mit Gewalt aus der Opferrolle befreit, zum Täter und damit zur eigentlich tragischen Figur wird.

Elektra (Ting-En Chiang) kommt in unschuldigem Weiß mit bravem Faltenwurf daher (Ausstattung wie bereits in Gießen: Annett Hunger). Die „Heldin“ mit der größten Bühnenpräsenz ist in Halberstadt die Mutter der Elektra; Alessia Ricci verkörpert sie als männermordenden Vamp, verführerisch, skrupellos und sich in jeder Sekunde, mit jeder herrisch-aufreizenden Bewegung ihrer Macht und Wirkung bewusst. Schon der Rot-Anteil der Kleidung lässt aufblicken, in der Tat ist es jedoch ihre körperliche Präsenz und bezwingende Vitalität, die keine Nebenbuhler zulässt. In ihrem Liebhaber (Christian Colatriano) hat sie einen ebenbürtigen Partner gefunden – gemeinsam ermorden sie ihren heimkehrenden Mann Agamemnon, bevor Elektra den Tod des Vaters (Daniel Moret Chanzà) rächt. Ein Vorhang aus Metallstäben (wie gleichlange Orgelpfeifen) begrenzt die Bühne nach hinten und zur Seite; Elektras auf diese Röhren projiziertes Portrait beginnt bei Bewegung auseinanderzufallen. Zurück bleibt eine Rächerin, die sich mit Wasser nicht reinwaschen kann und die, von allen wie im Zoo umringt, eingeschlossen ausgeschlossen wird. Langer Applaus und Standing Ovations.
Nach der gefeierten Premiere in Halberstadt wird „Elektra“ am 23. Februar 2024 um 19.30 Uhr in Quedlinburg aufgeführt. Am 15. und 30. März stehen weitere Aufführungen in Halberstadt an. Termine und Infos zum Stück gibt es auf www.harztheater.de.