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Infotafel zu Zwangsaussiedlung

Eckertal: Gedenken an Opfer der „Aktion Ungeziefer“

Rechts steht die alte Tafel, links die neue: Lothar Engler, Wolfgang Roehl und Udo Künstel vom Grenzerverein Abbenrode haben sie entworfen, die Behörde der Beauftragten des Landes Sachsen-Anhalt zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, für die der Historiker Wolfram von Scheliha arbeitet, hat sie finanziert (von links nach rechts). Foto: Renz-Gabriel

Rechts steht die alte Tafel, links die neue: Lothar Engler, Wolfgang Roehl und Udo Künstel vom Grenzerverein Abbenrode haben sie entworfen, die Behörde der Beauftragten des Landes Sachsen-Anhalt zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, für die der Historiker Wolfram von Scheliha arbeitet, hat sie finanziert (von links nach rechts). Foto: Renz-Gabriel

Eine neue und wohl vorerst letzte Infotafel erinnert in Eckertal an die Zwangsaussiedlungen in der DDR entlang der ehemaligen Grenze. Gedacht wird damit auf Initiative des Grenzerkreises aus Abbenrode der Opfer der sogenannen "Aktion Ungeziefer".

Von Fabian Renz-Gabriel Freitag, 09.12.2022, 05:57 Uhr

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Eckertal. Infotafeln zur ehemaligen innerdeutschen Grenze gibt es am nördlichen Harzrand jede Menge, 20 an der Zahl waren es zuletzt. Die 21. und wohl vorerst letzte widmet sich allerdings einem besonderen Thema: der Zwangsaussiedlung von DDR-Bürgern. In zwei Aktionen wurden 1952 und 1961 DDR-Bürger, die als unzuverlässig galten, vom Grenzgebiet ins Landesinnere umgesiedelt – gegen ihren Willen.

Zur Enthüllung der Tafel in Eckertal kamen am Mittwochnachmittag nicht nur die Mitglieder des Grenzerkreises Abbenrode, die die Tafel entworfen haben, sondern auch der Historiker Wolfram von Scheliha, der als Referent für die Beauftragte des Landes Sachsen-Anhalt zur Aufarbeitung der SED-Diktatur tätig ist. „11.000 Menschen wurden bei den Operationen der DDR von der innerdeutschen Grenze entfernt“, sagte von Scheliha in seiner Ansprache. „Auch wenn diese Zahl im Vergleich zu den sonstigen Opfern der DDR-Diktatur klein ist – es ist wichtig, an diese Menschen zu erinnern.“

„Wir waren wohl ein naheliegendes Ziel.“

Eines dieser Opfer befand sich unter den Zuhörern: Die Goslarerin Ursula Breustedt, heute 78 Jahre alt, wurde als Achtjährige mit ihren Eltern aus Abbenrode zwangsausgesiedelt, kam über den Bahnhof Wernigerode nach Halle. Warum gerade ihre Familie? Breustedt kann nur mutmaßen: „Wir waren das letzte Grundstück zur Grenze und wir waren als letzte zugezogen“, sagte sie gegenüber der GZ. „Wir waren wohl ein naheliegendes Ziel.“ Ihr Vater habe sich von der SED nie einspannen lassen, ihre Familie sei ohnehin unter kritischer Beobachtung des Regimes gestanden. „Wir mussten im Zuge der Bodenreform 1945 viel Land abgeben“, sagte Breustedt. Damals wurde sogenanntes „Junkerland“ flächendeckend in „Bauerhand“ übergeben.

Von einem Tag auf den anderen Tag haben Menschen ihr Zuhause verloren

Auf der neuen Tafel bei der Eckernbrücke, die direkt neben einer älteren allgemeinen Infotafel zur Grenze steht, sind auch drei Fotografien zu sehen, die 1952 nur wenige Hundert Meter vom Standort aufgenommen wurden. Sie dokumentieren tatsächliche Zwangsumsiedlungen. Der Befehl hierzu, so betonte Historiker von Scheliha, sei direkt aus dem russischen Kreml gekommen. „Stalin sagte der SED-Führung, die innerdeutsche Grenze sei eine gefährliche Grenze – und gefährliche Personen sollten ausgesiedelt werden.“ Von einem Tag auf den anderen hätten Menschen so ihr Zuhause verloren, hätten andernorts unter erbärmlichen Zuständen leben müssen, seien für lange Zeit stigmatisiert gewesen. „Die ganze Menschenverachtung zeigt sich in dem Namen für die Aktion“, sagte von Schelihah. Sie wurde „Aktion Ungeziefer“ genannt.

Ungeziefer, diesen Begriff habe sie erst 2015 zum ersten Mal gehört, berichtete die 78-Jährige Ursula Breustedt. So bezeichnet zu werden, „das ist kein schönes Gefühl“, sagte sie. Dass nun eine Tafel an das Schicksal ihrer Familie und vieler weiterer erinnere, freue sie hingegen. „Es hat auch lange genug gedauert, dass an uns gedacht wird“, sagte sie.

Eine Wanderung entlang der Infotafeln

Die neue Infotafel an der Eckerbrücke dürfte nun jedoch für einige Zeit die letzte sein, die in der Region im Gedenken an die ehemalige innerdeutsche Grenze errichtet wurde. „Jeder kann nun ganz ohne Führung eine Wanderung entlang der Grenze machen und wird alles Wichtige erfahren“, sagte Lothar Engler vom Grenzerverein Abbenrorde. „Die Sache ist erschöpft.“

Der Grenzerkreis Abbenrode gehört zum Heimat-, Kultur- und Museumsverein Abbenrode, der ein Museum betreibt, Wanderungen anbietet und unterschiedliche Veranstaltungen organisiert – am kommenden Sonntag, 11. Dezember, steht in Abbenrode das Mühlen-Weihnachtsfest an der Wassermühle auf dem Programm. Für seine Infotafeln bemüht sich der Verein immer wieder um eine geeignete Finanzierung. Die rund 2500 Euro für die neue Tafel in Eckertal kommen von der Beauftragten des Landes Sachsen-Anhalt zur Aufarbeitung der SED-Diktatur.

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