„Die Freiheit musste mühsam erkämpft werden“
Professor Dr. Stephan Harbarth hat in der Kaiserpfalz gesprochen. Foto: Epping
Professor Dr. Stephan Harbarth ist Präsident des Verfassungsgerichts und war als Gastredner bei der Eröffnung des 62. Verkehrsgerichtstags in der Kaiserpfalz. Er nutzte seine Rede für einen Appell, sich für die Werte des Grundgesetzes starkzumachen.
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Goslar. Einigkeit und Recht und Freiheit – das ist nicht einfach ein Auszug aus dem Text der deutschen Nationalhymne, es sind Grundsätze der deutschen Verfassung. Das Grundgesetz wird dieses Jahr 75 Jahre alt wird. Professor Dr. Stephan Harbarth, Präsident des Bundesverfassungsgerichts, blickte bei der Eröffnung des Verkehrsgerichtstags in Goslar auf die Entstehungsgeschichte des Grundgesetzes. Und er machte deutlich, dass Demokratie kein Selbstläufer ist.
Harbarth setzte nicht erst bei der Geburtsstunde der deutschen Verfassung 1949 an, sondern 100 Jahre zuvor, als die sogenannte Paulskirchenverfassung für den ersten deutschen Bundesstaat entworfen wurde. Beides seien „strahlende Leuchttürme“ der Demokratie, aber „keine linearen Erfolgsgeschichten“. Im Zuge der Französischen Revolution habe sich die Idee der Freiheit in ganz Europa ausgebreitet, aber sie musste „mühsam erkämpft werden. Die 1949 in der Frankfurter Nationalversammlung in der Paulskirche erarbeitete Verfassung sei „in den Kinderschuhen“ stecken geblieben, weil der Rückhalt in großen Teilen der Bevölkerung gefehlt habe.
Anlass zur Sorge
Erst sieben Jahrzehnte und einen Weltkrieg später sei die Freiheits-Idee wieder groß geworden–1919 wurde die Weimarer Republik gegründet. Neu sei die Idee gewesen, dass ein Staat nicht nur liberale Rechte garantieren, sondern auch soziale Ungerechtigkeiten mildern sollte. Erstmals hätten auch Frauen maßgeblich an der Entwicklung eines demokratischen Systems mitgewirkt, das jedoch 1933 durch die Machtübernahme der Nazis ein katastrophales Ende fand. 1949 kam dann das Grundgesetz – „die Chance auf einen Neuanfang“, für ein zerstörtes Land, in dem Armut geherrscht habe und das zwölf Millionen Flüchtlinge aufnehmen musste. Wegen der deutschen Teilung sei das Grundgesetz zunächst als Provisorium angelegt worden. Heute müsse man sagen, dass daraus „die beste Ordnung hervorgegangen ist, die wir in Deutschland je hatten“, machte der Verfassungsrichter deutlich. Aktuelle Umfragen zur Zufriedenheit mit der Demokratie würden Anlass zur Sorge geben. „Lebenswelten prallen aufeinander“, fasste Harbarth zusammen.
„Schicksalsgemeinschaft“
Drei Punkte seien für ihn elementar, um unsere Verfassung zu schützen. Zum einen eine gesunde Streitkultur: „Bewahren wir uns die Fähigkeit, im Gespräch zu bleiben.“ Zweitens müsse man immer die europäische Dimension im Blick haben, wenn es um Grundrechte geht. Europa sei eine „Schicksalsgemeinschaft“, denn auch die Feinde der Demokratie würden an Grenzen nicht haltmachen. Bestes Beispiel sei der russische Angriffskrieg in der Ukraine.
Drittens würden sich solche Gefahren nicht von selbst erledigen. Ein freiheitliches System sei nicht einfach da, es müsse von der Mitte der Gesellschaft getragen und verteidigt werden.