Das Goslarer Ratsgymnasium weint, staunt und jubelt

Eltern und Gäste stehen Spalier: Zu Musicalklängen von Andrew Lloyd Webber – dargeboten vom Symphonischen Blasorchester – ziehen die RG-Absolventen in die aula regis der Kaiserpfalz ein. Vorn links geht Lucienne Dorn, die später bewegende Worte für einen verstorbenen Mitschüler findet. Fotos: Heine
Drei Momente bleiben haften, als das Ratsgymnasium (RG) seine Abiturienten entlässt: Die Erinnerung an einen verstorbenen Mitschüler, eine pointierte Schüler-Abschlussrede und der feine Humor von Festredner Professor Dr. Christian Bohn.
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Goslar. Drei Momente bleiben haften, als das Ratsgymnasium (RG) seine Abiturienten entlässt: Als Lucienne Dorn an einen verstorbenen Mitschüler erinnert, fließen Tränen. Das Pfalz-Publikum feiert später Josua D. Heitkamp mit stehenden Ovationen für eine der zweifellos pointiertesten Abiturientenreden seit Jahren. Und Festredner Professor Dr.Christian Bohn spricht intelligent und mit feinem Humor über Digitalisierung, ohne sich auf diesem Feld wirklich für einen Experten zu halten.
Direktor Hans-Peter Dreß versagte am Freitagabend schon bei der Begrüßung die Stimme. Die Tränen liefen, als er an den Tod von Leon erinnerte. Im Dezember 2020 versetzt dessen Ableben nicht nur seine Mitschüler im Jahrgang, sondern die gesamte Schule in Schockstarre. Die Frage nach dem Warum steht immer noch unausgesprochen im Raum und schmerzt. „Leon war ein besonderer Mensch“, erinnerte Lucienne Dorn, „er ist auch heute bei uns, und wir tragen ihn im Herzen.“ Hohe Anerkennung dafür, dass die Schulleitung ihn symbolisch zu den Abiturienten zählte.
Sagenhafter Schnitt
48 junge Männer und Frauen sollten Zeugnisse erhalten, deren fast unglaublicher Schnitt bei 2,07 lag – noch einmal um 0,01 besser als im schon rekordverdächtig starken Vorjahr. Aber es waren auch 102 Schüler einst in der fünften Klasse angetreten. Apropos Schwund: Weil die Stadt Goslar aufgrund der zeitgleichen Volksfest-Eröffnung gar keinen Vertreter entsandt hatte und Landrat Dr.Alexander Saipa – am Vorabend noch Redner bei der CvD-Entlassfeier –, zwischenzeitlich an Corona erkrankt war, setzte Dreß quasi seinen Hut als Vize-Landrat auf und verlas ein Saipa-Grußwort.

Festredner Prof. Dr. Christian Bohn
Digital oder doch nicht?
Zeitgemäßer wäre wohl eine Video-Botschaft gewesen. Sie hätte jedenfalls bestens zum Clausthaler TU-Vize Christian Bohn übergeleitet. „Digitalisierung – auf keinen Fall zurück“ war sein am Ende gleich mit drei Punkten und jeweils zwei Frage- und Ausrufezeichen geschmückter Festvortrag angekündigt. Bohn, der Professor für Mechatronik und Regelungstechnik ist und uni-ehrenamtlich für Studium und Lehre verantwortlich zeichnet, setzte die Vorlage subtil um und berichtete von Lockdown-Erlebnissen und Corona-Erkenntnissen. Kernbotschaft seiner exzellenten Nabelschau: Unterscheidet zwischen gewollter und erzwungener Digitalisierung. Nutzt die Technik immer dort, wo sie Sinn stiftet. Bleibt analog, wo sie nur die allenfalls zweite Wahl ist.

Am Ende reichen sich alle die Hände: Josua D. Heitkamp (links) bringt mit seiner Abiturientenrede den Saal zum Toben. Foto: Heine
Erste Wahl des Jahrgangs für die Abiturientenrede war der Sudmerberger Josua D. Heitkamp. Nicht unbedingt ein unkritischer Begleiter der Schulleitung und zugegeben konferenzen- und sanktionenerprobt, bewies er, dass er mindestens beim Rhetorik-Unterricht und den Stilmitteln – Stichwort Praeteritio – gnadenlos gut aufgepasst hat. Wer in der Abi-Zeitung keinen redaktionellen Platz bekommt, greift halt zum Mikro und sinniert über Regenpausen-Beauftragte und Lehrer-Lautsprecher. Inhalte sind sicherlich irgendwie schulintern. Aber wohl selten hat ein Abiturient derart frenetischen Beifall der Seinen bekommen. Und als das Publikum stand, nahmen auch Angesprochene den versöhnenden Handschlag an.
Musik und Tradition
Muss am RG wirklich noch das Symphonische Blasorchester unter Leitung von Musiklehrer Wilfried Nemitz und verstärkt durch dessen Kollegen Julian Birk erwähnt werden? Gewohnt spielten die jungen Musiker Medleys unter anderem von Abba und Queen. Für die Abiturienten klar: „We are the champions.“ Auch schon Tradition: Kwasniok junior ehrte die Besten ihrer Fächer. Der Englisch- und Geschichtslehrer griff ausgerechnet dem neuen Latein-Stoff für Klasse zwölf vor und zitierte mehrfach den altrömischen Allgemeingelehrten Seneca. Ob der RG-Vize wusste, dass Seneca in seinen Briefen und Dialogen zwar einzigartige Theorie-Zeugnisse über Werte im Leben hinterlassen, aber in der Praxis als Erzieher für Kaiser-Bestie Nero am Ende versagt hat? Egal.

Buchpreise, Blumen und jede Menge lobende Worte: Eingerahmt von Direktor Hans-Peter Dreß (li.) und Wilfried Nemitz (re.) stellen sich die Geehrten des Abends zum Gruppenbild auf.
Buchpreise erhielten Christin Bauer (Biologie), Emily Ermrich (Chemie), Maximilian Hanisch (Physik/Mathematik), Pauline Hense und Lucienne Dorn (beide Deutsch), Niklas Prause (Geschichte/Politik), Maria Köhler (Erdkunde), Robert Liebl (Religion), Justin Valenta (Sport), Robin Rönnecke (Mathe), Amina Wolter (Französisch) und Marea Keil (Englisch).
Felicitas Antrick (Latein/Altgriechisch) erhielt zusätzlich den Dr.- Karl-Schwarze-Preis. Kunstlehrerin Martina Hesse belohnte Marea Keil und Finn Dreyer mit einer kostenlosen Jahresmitgliedschaft für das Mönchehaus. Theater-Werkstatt-Chefin Anette Steinberg zeichnete Helene Lünig für ihre Leistung im darstellenden Spiel aus. Wilfried Nemitz ehrte Merle Ritz für ihre musikalischen Talente. Für den Zonta-Club Goslar überreichte Birgit Münnich 250 Euro an Hannah Bothe für ein erstklassiges Abitur in den Naturwissenschaften.
Die Legende geht (bald)
Schlusspunkt des Abends: Jung-Ratsherr Niklas Prause bittet Latein- und Geschichtslehrer Karsten Behr auf die Bühne, der nur noch ein halbes Jahr bis zur Pension hat. Frei nach dem Motto: „Wer bei der Lehrerlegende keinen Unterricht gehabt hat, war nie wirklich am Ratsgymnasium.“ Schon seine Abi-Zeitung hatte der Jahrgang ihm und den berühmt-gefürchteten „Merks“ gewidmet – einfach aufmerksam.

Abitur-Entlassung 2022: Karsten Behr – hier mit Schulsekretärin Sylvia Friemel – wird auf die Bühne gerufen und geehrt.
Bilder von der Entlassfeier sind ab sofort im Internet zu finden.