20. Dezember: Weihnachtsreise nach Schweden

Schneeromantik zur Weihnachtszeit im Norden Schwedens. Foto: Margitta Klein
„Weihnachten mit Herz“ heißt in diesem Jahr der Titel unserer GZ-Adventsserie. Margitta Klein aus Hahndorf erzählt eine Geschichte über Familie, Erinnerungen – und die Freude auf ein Weihnachtsfest mit ihrer Familie in Schweden.
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Hahndorf. Advent. Sie mag diese stille ruhige Zeit vor Weihnachten. Wenn es bereits gegen 17 Uhr dunkel wird. Wenn abends im Fernsehen die oft wiederholten Weihnachtsfilme gesendet werden. „Der kleine Lord“ oder die „3 Haselnüsse“ und weitere sehenswerte Wiederholungen.
In ihrer kleinen Küche stellt sie den Wasserkocher an, gibt in ihre rote dickbauchige Weihnachtstasse einen Teebeutel Zimt/Pflaume, gießt kochendes Wasser darüber, lässt den Tee einige Minuten ziehen, bis das dampfende Wasser eine leicht rote Färbung annimmt. Noch ein Stück Kandis und ein Spritzer Zitrone – fertig.
Vorsichtig geht sie mit ihrem dampfenden Getränk in ihr gemütliches Wohnzimmer zu ihrem Ohrensessel. Sie zündet die dritte Kerze am Adventskranz an und legt in ihren CD-Player eine Klassik-CD ein. Aus ihrer Keksdose nimmt sie einige Dominosteine.
„Sie haben Diabetes“, hatte neulich ihr Hausarzt gesagt. Süßigkeiten sind nun tabu! Noch eine Tablette mehr, die sie einnehmen soll. Der Gedanke gefällt ihr nicht. Ja, ja, der Doktor hat gut reden. Sie ist alt, allein, und das Laufen, gerade im Winter, fällt ihr schwer. Soll der erst einmal ihr Alter erreichen, dann wird er sehen, wie eine Tasse Tee und einige Kekse trotz Diabetes Wohlbehagen entstehen lassen.
Sie nimmt die Weihnachtsgrüße, die in der letzten Woche mit der Post gekommen sind, zur Hand, setzt ihre Lesebrille auf und liest mit zusammengekniffenen Augen mühsam den Text. Gut geht es ihren Verwandten, bis auf die altersgemäßen Befindlichkeitsstörungen, und man wünscht frohe Festtage. Ein Brief oder eine Karte von ihrer Tochter sucht sie vergebens.
Fröhliche Erinnerungen
Der Tee und die Musik schaffen in ihr ein Gefühl der Wärme, und plötzlich legt sie ihre Post zur Seite, geht zum Schrank und entnimmt ihm ein Bilderalbum. Wie fröhlich sie und ihre Geschwister in die Kamera schauen. Mama immer mit ihrer Schürze im Bild, die sie auch für das Foto nicht ablegen mochte.
Spannend lag ihr Leben in der Zukunft – und dann kam doch alles ganz anders. Mit 18 Jahren lernte sie ihren Mann kennen und lieben. Als sie ihn das erste Mal mit nach Hause brachte – sie erinnert sich, wie verlegen sie mit ihrem Freund am Kaffeetisch saß.

Blick in den schwedischen Winterwald. Foto: Margitta Klein
Auf den nächsten Seiten des Albums sieht sie Bilder von der Taufe ihrer Tochter. Fotos von Einschulung und Kommunion, Familienbilder mit Eltern und Geschwistern an den jeweiligen Festtagen. Geburtstage im Grünen unter dem Kirschbaum.
Nicht genügend Rum im Glas
Bilder einer Erinnerung an einen kalten Winterabend entstanden in ihr. Da gab es die kleine Geschichte mit dem Grog, der nicht stark genug für ihren Vater sein konnte. Es war an einem eisig kalten Winterabend Anfang Januar. „Ich gehe noch ein Stündchen zum Schwiegervater rüber. Bin zum Fußballspiel wieder daheim“, meinte Paul. Zwei Stunden wartete sie vergebens, der Ehemann erschien nicht. Das Fußballspiel war längst vorbei. Warm angezogen stiefelte sie durch den knirschenden hohen Schnee, der unter der Straßenlaterne wie unzählige kleine Diamanten glitzerte. Sie genoss die Stille und die Lichterketten an den Tannen und Büschen der Nachbarn. Mutter öffnete die Haustür, ihr Gesicht gerötet. Fragend schaute ich sie an. „Was ist los, alles gut?“ – „Ja, ja, aber Papa und Paul trinken jetzt schon das dritte Glas Rum, und er fordert mich auf, ,eh bissche mehr Rumche, Muttchen‘ (ganz nach ostpreußischer Wortart) könne ich schon in die Gläser geben – eben der Kälte wegen. Papa hat schon ein rotes Gesicht! Er mit seinem hohen Blutdruck. Ich fülle jetzt das Glas mit heißem Rum und nur wenig Wasser“, murmelte sie.
Mit einem leicht schwankenden, irritiert nach dem Weg suchenden Ehemann gelangte sie zu ihrem Haus. „Ich gehe schlafen. Verstehst du doch,“ murmelte er und entschwand ihren Blicken.
Die letzten Seiten des Albums zeigten ihre goldene Hochzeit. 75 Jahre und 82 Jahre alt. Ihre Haare grau, was ihr nicht gefiel. „Was soll ich denn sagen? Ihr Frauen mit euren Haarproblemen!“, sagte Paul. Er verstand seine Frau nicht.
Die Dunkelheit ist schwer zu ertragen
Wie schnell die Jahre dahineilten, und ehe man sich versah, war man alt und gebrechlich – und sie blieb allein zurück mit all den Gedanken und Erinnerungen. Nein, die Bilder der Beerdigung von Paul wollte sie nicht mehr anschauen. Es schmerzte noch immer, und sie wollte heute nicht mehr weinen. Der Monat Dezember mit der frühen Dunkelheit ist schwer zu ertragen, und gerade an Weihnachten allein zu sein, ertrug sie nur schwer. Tröstend erlebte sie die Vögelchen, die sie auf ihrem Balkon täglich fütterte. Manchmal kam ein hungriges Eichhörnchen und stillte seinen Hunger.
Einen Weihnachtsbaum besorgen und die Wohnung schmücken, will sie sich ersparen. Auf Kerzen wollte sie nicht verzichten. Ihr goldenes helles Licht verbreitete Wohlbehagen und nahm ein wenig von der Einsamkeit, die sie fühlte. Ihre einzige Tochter lebte lange schon in Schweden, hoch im Norden in Umeå. Dunkle lange Wintermonate, eisige Temperaturen und Massen an Schnee. Wie hielt es Britta nur aus, fragte sie. „Mama, du gewöhnst dich daran“, beruhigte die Tochter.
Ein Anruf der Hoffnung
Am 20. Dezember, vier Tage vor Heiligabend, klingelte ihr Handy. Es war Britta, ihre Tochter, und im Hintergrund hörte sie ihren kleinen Enkelsohn lachen. „Mama, wir haben dir ein Ticket für einen Flug von Hannover nach Umeå gebucht. Wir wollen dich Weihnachten am Julfest bei uns in Schweden haben“, hörte sie ihre Tochter laut und deutlich sprechen.
Was für eine Technik. Fantastisch so ein Handy, dachte sie! „Aber Kind, wie stellst du dir das vor, in meinem Alter! Wie soll das gehen?“
„Mama, wir haben alles gut vorbereitet. Ein Taxi fährt dich bis zum Flughafen, und dort wartet eine Mitarbeiterin, die alles Nötige regelt. Du steigst in den Flieger in die Business Class und kommst einige Stunden später ausgeruht in Umeå an. Ole holt dich vom Flughafen ab. Alles wird gut.“
Vor Aufregung zitterten ihre Hände. Sie fühlte, wie ihr Herz laut pochte, und das Atmen fiel ihr schwer. Gleich nach dem Telefonat musste sie ihre Strophantus Globuli nehmen. Sie hörte sich zu ihrer Tochter sagen: „Meinst du, dass ich es noch schaffen kann. Ich möchte auch mein Enkelchen endlich einmal sehen. Er kann sicher schon laufen.
„Es kann gar nichts passieren“, versicherte ihre Tochter. „Aber bei euch ist es so dunkel und klirrend kalt“, versuchte sie einen schwachen Grund für ihre Absage zu finden. „Ihr wohnt ja fast am Nordpol,“ setzte sie mit einem Lächeln hinzu. „Schau, Mama, Caspar ist noch zu klein für eine Flugreise, und er ist jetzt so süß, und du willst den Kleinen endlich kennenlernen.“
Schwedisches Weihnachtsfest und Abenteuer
Die nächsten Nächte konnte sie kaum schlafen vor Aufregung. Ihre Nachbarin freute sich mit ihr und wischte ihre letzten Bedenken weg: „Freuen Sie sich doch, und Sie werden sehen, es wird ein richtig schönes schwedisches Weihnachtsfest – und ein Abenteuer.“ „Ich hoffe, Sie haben recht,“ antwortete sie leise.
Das erste Weihnachten nach Pauls Tod, an dem sie nicht allein blieb. Sie würde mit Tochter, Schwiegersohn und Enkel die ersten schwedischen Festtage ihres Lebens verbringen. Nun war es ihr nicht mehr bange. Auch die Flugreise würde sie überstehen. Was sollte ihr schon passieren. Andere Leute trauten sich auch noch in so einen Riesenvogel!
Langsam erhob sie sich aus ihrem bequemen Sessel. Es wurde Zeit, ins Bett zu gehen. Sie öffnete ihre Balkontüre weit. Kühle Luft strömte ihr entgegen. Tief atmete sie die kalte Luft ein, das tat ihr gut. Dankbar schaute in den dunklen Sternenhimmel. Wie schön kann das Leben sein, lächelte sie versonnen in die Nacht.
Und morgen lesen Sie ...
„Durch die hohle Gasse muss er kommen“, eine Adventsgeschichte aus dem Oberharz.