„Stadtbild“-Debatte: Wo Städte ihre Probleme sehen
Gelsenkirchen kämpft unter anderem mit Problemen rund um Schrottimmobilien. Foto: Christoph Reichwein/dpa
Mit seinen Äußerungen ums „Stadtbild“ hat Kanzler Friedrich Merz polarisiert. Probleme gibt es vor Ort durchaus. Kommunalvertreter sagen, wo der Schuh drückt - und was aus ihrer Sicht zu tun wäre.
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Berlin. Mit Blick auf die „Stadtbild“-Debatte rät der Deutsche Städte- und Gemeindebund zur Diskussion über die tatsächliche Lage vor Ort. „Hinsichtlich der Äußerungen von Bundeskanzler Friedrich Merz erscheint es angebracht, nicht über Begrifflichkeiten zu diskutieren, sondern den Blick auf das Wesentliche zu richten“, sagte Hauptgeschäftsführer André Berghegger (CDU) der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. „Es muss gelingen, dass die Bürgerinnen und Bürger sich in den Innenstädten und Ortskernen wohl fühlen.“
Städte mit zahlreichen sozialen Herausforderungen
Die Aufenthaltsqualität in den Städten und Gemeinden müsse besser werden, so Berghegger. Auch der Schutz vor Kriminalität sei von Bedeutung: „Dazu kann eine verstärkte Videoüberwachung an Kriminalitätsschwerpunkten ebenso gehören wie verstärkte Streifengänge der Polizei gemeinsam mit den Ordnungsbehörden. Auch verdachtsunabhängige Kontrollen, etwa an Bahnhöfen, können dazu beitragen, das subjektive Sicherheitsgefühl zu verbessern und mögliche Straftaten zu verhindern.“
Unabhängig von der Herkunft der Täter müssten Delikte konsequent geahndet werden, betonte Berghegger. „In den Städten und Gemeinden zeigen sich auch zahlreiche soziale Herausforderungen, die etwa auf Wohnungsknappheit, Obdachlosigkeit oder Drogenmissbrauch zurückzuführen sind.“
Finanzlage vieler Kommunen ist prekär
Berghegger verwies auf die prekäre Finanzlage. „Wo das Geld für bauliche und gesellschaftspolitische Maßnahmen fehlt, ist es immer weniger möglich, vor Ort Verbesserungen vorzunehmen. Eine Erwartung der Kommunen ist daher eine Entlastung von Kosten und eine bessere Finanzausstattung.“
Die Erwartung der Kommunen an den Bund sei, dass er seine Anstrengungen zur Integration geflüchteter Menschen mit Bleiberecht deutlich verstärke. „Wir müssen die Menschen schneller als bisher in Arbeit bekommen, denn dies ist der Schlüssel zur Integration und bietet ihnen eine wirkliche Perspektive. Gleichzeitig muss es gelingen, ausreisepflichtige Geflüchtete schneller als bisher in ihre Herkunftsländer zurückzuführen.“
Gelsenkirchen kämpft mit Arbeitslosigkeit und sozialen Problemen
Die Ruhrgebiets-Stadt Gelsenkirchen hat nach dem Ende des Bergbaus massiv an Einwohnern verloren und kämpft mit Wohnungs-Leerstand. Sie zählt NRW- und auch bundesweit zu den Städten mit der höchsten Arbeitslosenquote und dem niedrigsten Pro-Kopf-Einkommen.
Ein Sprecher der Stadt verweist auf die Frage nach sozialen Problemen auf die Armutszuwanderung aus Bulgarien und Rumänien, die die strukturschwache Stadt seit Jahren besonders belaste. Kriminelle lockten vorrangig kinderreiche Familien aus Südosteuropa mit falschen Versprechen nach Deutschland, um für sie Sozialleistungen wie Kindergeld zu beantragen und sie in oft menschenunwürdigen Wohnungen zu überzogenen Mieten unterzubringen.
„Auch wenn viele Zugewanderte selbst Opfer sind, belasten sie allerdings auch oft den sozialen Frieden in Quartieren, wenn sie sich nicht an Regeln des Zusammenlebens halten. Vermüllung und Lärm zum Beispiel beeinträchtigen den sozialen Frieden stark“, erklärte der Sprecher.
Essen: Migration bringt auch Probleme
Die Industriestadt Essen mit ihrem gerade wiedergewählten CDU-Oberbürgermeister Thomas Kufen fordert seit Jahren, mehr gegen illegale Migration und für eine schnellere Rückführung von Ausreisepflichtigen zu tun. Aus Sicht der Stadt sollten nur Menschen mit einer echten Bleibeperspektive auf Kommunen verteilt werden, weil die Kommunen ansonsten mit ihrer Integrationsarbeit an die Belastungsgrenze stießen.
„Migration bringt immer auch Probleme aus den Heimatländern mit sich: ein anderes Verständnis von Demokratie, von Gleichberechtigung, ein anderes Verhältnis zu offiziellen Behörden oder auch Vorbehalte vor anderen Kulturen oder Religionen. Fehlende Integration oder Integrationsperspektive begünstigt Kriminalität“, erklärte eine Sprecherin. Das zeige sich auch im Stadtbild - etwa in Drogenkriminalität, Streitigkeiten verfeindeter Clans auf offener Straße, Versammlungen gegen demokratische Werte und antisemitische sowie islamfeindliche Übergriffe.
Was Merz gesagt hatte
Merz hatte zunächst gesagt, die Bundesregierung korrigiere frühere Versäumnisse in der Migrationspolitik und mache Fortschritte, „aber wir haben natürlich immer im Stadtbild noch dieses Problem, und deswegen ist der Bundesinnenminister ja auch dabei, jetzt in sehr großem Umfang auch Rückführungen zu ermöglichen und durchzuführen“. Später legte er nach und sagte: „Fragen Sie mal Ihre Töchter, was ich damit gemeint haben könnte.“
Am Mittwoch konkretisierte er dann, Probleme würden diejenigen Migranten machen, die keinen dauerhaften Aufenthaltsstatus hätten, nicht arbeiteten und die sich auch nicht an die in Deutschland geltenden Regeln hielten.
„Also, das Problem gibt’s doch“
Der erste Parlamentarische Geschäftsführer der Unions-Bundestagsfraktion, Steffen Bilger, verteidigt Merz. Er selbst habe in den vergangenen Wochen und Monaten viele Gespräche geführt, bei denen Menschen zu ihm gesagt hätten: „Das Stadtbild hat sich halt verändert und da sehen wir auch ein Problem.“ Es gebe immer wieder Berichte „über bestimmte Plätze, wo man sich nicht mehr sicher fühlen kann, wo Leute rumlungern, wo Frauen dumm angemacht werden. Also, das Problem gibt’s doch“, sagte der CDU-Politiker im SWR-Videopodcast „Zur Sache! intensiv“.
Es sei völlig klar, dass Merz nicht alle Migranten in Deutschland gemeint habe. Bilger fügte hinzu: „Es war nie eine Debatte Deutsche gegen Migranten. Sondern es geht um ein Problem, das objektiv besteht, und um das wir uns kümmern müssen. Und das sehen auch viele Menschen mit Migrationshintergrund so.“
SPD-Generalsekretär Tim Klüssendorf warnte davor, Missstände in deutschen Innenstädten auf Migration zurückzuführen. „Dieses Unsicherheitsgefühl hat aus meiner Sicht in erster Linie mit Männern zu tun, egal welcher Herkunft“, sagte Klüssendorf den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Die Linke-Innenexpertin Clara Bünger sagte der „Neuen Osnabrücker Zeitung“, Gewalt gegen Frauen habe „kein Herkunftsproblem, sondern ein Männerproblem“.