Liebenburger Gemeinderat verliert mehr als 125 Jahre Erfahrung
Die Gemeinde Liebenburg hat mit einem Millionenminus zu kämpfen. Foto: Archiv Gereke
Im Liebenburger Gremium steht ein Wachwechsel an - zahlreiche Altgediente werden mit Beginn der neuen Wahlperiode die kommunalpolitische Bühne verlassen.
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Liebenburg. Die Wahlperiode neigt sich ihrem Ende zu – und es heißt Abschied nehmen von Ratsfrauen und -männern, die viele Jahre die politische Arbeit in der Gemeinde prägten, im neuen Gremium aber nicht mehr vertreten sein werden. Entweder, weil sie bei der Kommunalwahl am 12.September nicht mehr angetreten waren, oder aber, weil sie nicht mehr den Sprung in den Gemeinderat geschafft haben. Mehr als 125 Jahre Ratserfahrung verliert das Gremium.
Wolfgang Kirstein.
Eine Feststellung am Ende seiner kommunalpolitischen Karriere: „Bürgermeister neigen dazu, große Investitionen zu tätigen, die sie überfordern“, sagt er und spielt auf ein nächstes Liebenburger Großprojekt an, den Neubau eines Feuerwehrgerätehauses in Liebenburg. „Die dafür vorgesehene Größenordnung von drei bis vier Millionen Euro zweifele ich an.“ Er sei einst darauf getrimmt gewesen, mit möglichst geringen finanziellen Mitteln auszukommen, von einem „Sparhaushalt“ könne heute aber keine Rede mehr sein. „Aber ich muss die Ratsmitglieder auch in Schutz nehmen. Das ist zum Teil meine Enkelgeneration. Die denken auch anders.“ Insofern war es typisch für Kirstein, dem Haushalt seine Zustimmung zu verweigern. „Der Rat macht heute, was er will – und der Kämmerer kann sich dem nicht wiedersetzen.“ Kämmerer Krusekopf signalisierte er schon immer im Vorfeld: „Mit meiner Zustimmung kannst Du nicht rechnen, aber es liegt nicht an Dir.“ Er selbst konstatiert resigniert: „Meine Bemühungen, die Ratsmehrheit auf eine sparsame Haushaltsführung einzuschwören, sind gescheitert. „In meiner zweiten Wahlperiode habe ich es dann aufgegeben.“
Dabei hatte er tatsächlich die Hoffnung, hier etwas bewegen zu können. „Ich hoffte auf eine Zusammenarbeit mit der SPD, aber die erfüllte sich nicht“, blickt er zurück. Dabei hat er selbst eine SPD-Vergangenheit, war Mitglied der Sozialdemokraten, bis er in den 1990er Jahren aus Protest gegen die Politik des damaligen Ministerpräsidenten Gerhard Schröder austrat und sich später der Linken anschloss.
Kommunalpolitik hat er viele Jahre als „Mangelverwaltung“ empfunden. Es seien fast alles Pflichtaufgaben, um die es gehe, um freiwillige Themen auf Gemeindeebene zu wuppen, fehle die finanzielle Ausstattung. „Das ist Schade, man hat gar nicht mehr die Möglichkeit, jemanden etwas Gutes zu tun“, erzählt er. Kommunalpolitik, das bedeutete für ihn auch, nach der regulären Arbeit alles regeln zu müssen, um dann in Ausschüssen über50 oder 100 Euro zu diskutieren.
In all den Jahren gab es eine Entscheidung, an der er als Döhrener besonders zu knabbern hatte: die Schließung der Grundschule. An ihr hing sein Herzblut, seine Kinder hatten sie besucht. Das größte Unverständnis herrscht auch noch Jahre danach bei ihm über die Fusionsgespräche mit Salzgitter, die ein kleiner Kreis Liebenburger im Geheimen geführt hatte. „Eine Fusion mit der Stahlstadt wäre nicht meins gewesen, als es öffentlich wurde, haben wir in der Fraktion sofort entschieden, es zu beenden.“
Liebenburg könnte übrigens Vorreiter für den Bund sein – eine Ampel-Koalition aus SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen gab es dort. „Die Arbeit in der Gruppe hat Spaß gemacht“, findet er.
Als gelernter Maurer war für ihn klar: Der Bauausschuss muss es sein. Und da alles finanziert werden muss, ging es für ihn auch in den Wirtschafts-, Entwicklungs- und Finanzausschuss. „Früher konnte man anders gestalten, die Kommunen hatten mehr Geld“, weiß er. „Aber die Ansprüche des Einzelnen waren nicht so hoch wie heute.“
Sein Fazit: „Es hat schon Spaß gemacht, auch wenn es nicht immer einfach war. Alle Streitpunkte haben wir im Rat immer fair ausgetragen, sodass wir uns anschließend immer noch in die Augen sehen konnten.“ Ein Grund dafür mag gewesen sein, dass es im Rat weniger um Parteipolitik ging, sondern allen im Rat um die Gemeinde. „Es herrschte eigentlich immer Harmonie, in den Ausschüssen gab es aber zu wenige, die sich kritisch geäußert haben. Von dem ein oder anderen hätte ich mir mehr erwartet.“
Kritisch merkt er am Ende seiner Ratsjahre an, dass in der Gemeinde touristisch so gut wie gar nichts gemacht werde. Trotz geringer finanzieller Spielräume sieht er für Liebenburg nicht schwarz. „Die Gemeinde kann in zehn Jahren immer noch selbstständig sein, wenn sie nicht von oben zu einer Fusion gezwungen wird.“
Seine Zeit in Liebenburg ist geprägt von jahrelangem ehrenamtlichen Engagement. „Wenn die Frau nicht hinter einem steht, funktioniert das nicht“, erzählt er. Übrigens zieht sich seine Lilo, 25Jahre lang Ortsratsmitglied und viele Jahre Ortsbürgermeisterin Liebenburgs, jetzt ebenfalls zurück, sie kandidierte nicht mehr.
Dietmar Werner. Foto: Gereke
Er hat das Gefühl, dass im Laufe der Jahre immer wieder Dinge auf den Tisch kamen, die der Rat zuvor schon mal thematisiert hatte, für die das Gremium aber gar nicht zuständig ist. Er denkt an die Sanierung der Ortsdurchfahrt Othfresen oder die Diskussionen um Rübentransporte auf der L 500.
Werner gesteht, dass er in den vergangenen Jahren auch so ein bisschen die Lust an seiner Partei verloren hat. Ausschlaggebend dafür war aber nicht die große Politik, sondern vielmehr hauseigene Sachen im Gemeindeverband, als es um die Besetzung von Ausschüssen ging, die andere mit mehr Wählerstimmen für sich reklamiert hätten. Als Folge dessen habe er als Vorsitzender aufgehört. „Nach mir gibt es seitdem den mittlerweile dritten Vorsitzenden. Auch der Aktuelle sitzt wieder nicht im Rat und kann keine kommunalpolitischen Akzente setzen“, bilanziert Werner.
Finanziell sei die Gemeinde auch vor 20 Jahren nicht auf Rosen gebettet gewesen. „In den meisten Abstimmungen herrschte Einigkeit mit der SPD – zum Wohl der Gemeinde war das auch gar nicht anders möglich“, erinnert er sich. Einer der Ausschüsse, in denen er arbeitete, war der BUNA – „da ist immer was los“, findet er.
Die große Frage der Zukunft wird sein, ob die Gemeinde selbstständig bleiben kann. Er persönlich – als jemand, der als DLRG-Schwimmer in den 1980er Jahren die Liebenburger Bademeister unterstützte – hofft, dass es gelingen wird, das Freibad zu erhalten. „Es ist eine unserer wenigen Freizeiteinrichtungen“, sagt er. Dabei gelte es die Balance zu finden zwischen dem, was das Bad kostet, und dem, was man Badegästen an Eintritt abverlangen kann.
Und jetzt? „Mit 71 Jahren muss man mal ein bisschen kürzer treten“, findet Werner. Auch wenn er weiterhin ehrenamtlich aktiv bleibt: als Vorsitzender der Kolpingsfamilie Liebenburg und im Förderverein Saint Aubin sur Mer.