Kuschelhormon Oxytocin: Was „Liebes-Sprays“ wirklich bringen

Bei angenehmen Berührungen wird Oxytocin freigesetzt und unser persönliches Glück gesteigert. Foto: picture alliance/dpa | Mohssen Assanimoghaddam
Bindungsforscher Dirk Scheele von der Ruhr-Universität Bochum spricht im Interview über die Bedeutung des Kuschelhormons Oxytocin für das Wohlbefinden? Er klärt auf und warnt vor der selbstständigen Nutzung. Auch sagt er, was Liebes-Sprays bringen.
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Berlin. Es ist vielen unter dem schön klingenden Namen „Kuschelhormon“, „Liebeshormon“ oder auch „Bindungshormon“ bekannt: Oxytocin. Doch was steckt dahinter? Dirk Scheele, Professor für Social Neuroscience an der Medizinischen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum, hat sich der Sozialen Bindungsforschung verschrieben: Schwerpunkt Oxytocin. Im Interview erklärt er, ob die Oxytocin-Sprays auch wirklich nutzen.
Dirk Scheele: Oxytocin ist ein Hormon und Neurotransmitter. Es wird in unserem Gehirn – genauer gesagt in den Unterregionen des Hypothalamus – produziert und dann in die Hirnanhangdrüse, die Hypophyse, weitergeleitet. Dort wird es gespeichert und bei Bedarf freigesetzt. Über den Blutkreislauf gelangt es schließlich in den gesamten Körper.
Die Freisetzung wird durch ganz verschiedene Faktoren beeinflusst. Oxytocin gelangt etwa bei angenehmer körperlicher Berührung in unseren Körper, bei positiver sozialer Interaktion, aber auch durch Stress und bei Frauen während des Geburtsprozesses und beim Stillen. Allerdings sind die genauen Vorgänge hochkomplex und noch nicht bis ins Detail erforscht. Fest steht: Damit wir uns gut fühlen, muss die individuelle, persönliche Zusammensetzung aller Hormone und Neurotransmitter stimmen.
Diese haben in Teilen ihre Berechtigung, greifen aber insbesondere beim „Kuschel-“ oder „Liebeshormon“ zu kurz. Schließlich kann Oxytocin auch negative psychologische Effekte auslösen. Und dieser Aspekt etwa wird hier völlig ausgeklammert.
In den letzten zehn Jahren konnten mehrere Studien nicht nur pro-, sondern auch antisoziale Wirkungen zeigen. Es verstärkt etwa Neid und Schadenfreude sowie offenbar ebenso die Tendenz, die eigene soziale Gruppe als überlegen gegenüber Fremden anzusehen. Darüber hinaus konnten sowohl Tier- als auch Humanstudien nicht nur Angst mildernde, sondern auch Angst steigernde Effekte feststellen.
Vereinfacht kann man sagen, dass Oxytocin in stressigen, negativen Situationen eher in dieselbe Kerbe schlägt und in positiven Situationen, in denen wir uns geborgen fühlen, ebenso eher verstärkend wirkt. Das haben auch unsere Experimente gezeigt. Hatten Probanden in stressigen Situationen aber zum Beispiel soziale Unterstützung, linderte Oxytocin den Stress.
Diese Studie von US-Forschern hat den Blick auf Oxytocin nicht grundlegend verändert. Auch wenn manche Medien diesen Eindruck vermittelt haben. Dass Bindung nicht allein auf Oxytocin zurückgeführt werden kann, haben wir in unseren Artikeln schon immer versucht herauszustellen. Bindung ist ein hochkomplexes psychologisches Konstrukt mit zahlreichen Facetten.
Insgesamt ist die Studienlage mit Blick auf die psychologischen Effekte noch sehr unbefriedigend. Wir sind uns aber recht sicher, dass wir durch Berührungen und Umarmungen das persönliche Wohlbefinden und wohl auch die Oxytocin-Produktion steigern können. Sich gegenseitig zu berühren, ist enorm wichtig, auch für die psychische Gesundheit – das haben auch Erhebungen während und nach der Corona-Pandemie gezeigt.
Genau. Aber das ist Zukunftsmusik. Das erste Ziel wäre ein Goldstandard über die Art der Messung des Oxytocinspiegels sowie Einigkeit darüber, was nach der Gabe von Oxytocin erwartbar je nach Situation passiert. All das ist aktuell noch nicht sicher etabliert. Aber erste noch unveröffentlichte Befunde aus einer neuen Studie weisen darauf hin, dass Oxytocin die unmittelbare Wirkung einer Gruppentherapie gegen Einsamkeit verstärken könnte. So fühlten sich die Teilnehmer etwa stärker verbunden. Das könnte helfen, in Therapiesitzungen schneller voranzukommen.
Das mag sein, aber ich kann nur eindringlich warnen. Niemand mit Beziehungs- oder Bindungsproblemen sollte versuchen, sich, indem er oder sie Oxytocin einnimmt, selbst zu helfen. Für die psychologische Nutzung von Oxytocin gibt es schlicht noch zu wenige klinische Studien. Zugelassen ist es bislang nur im Kontext der Geburt und um Frauen mit Stillproblemen zu unterstützen. Und auch dann sollte eine Anwendung nur in enger Absprache mit Ärzten erfolgen.
Daher warne ich vor der selbstständigen Nutzung auch so eindringlich. Wir wissen nicht, was in diesen Präparaten alles drinsteckt, die gerne als „Liebesspray“ oder „Treuespray“ beworben werden. Das sind hoch unseriöse Angebote. Zudem bietet die Einnahme von Oxytocin sicherlich keine einfache Lösung für komplexe zwischenmenschliche Beziehungen.
Von Anne-Kathrin Neuberg-Vural, Funke-Mediengruppe
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