Ärzte warnen vor riskantem Schönheitstrend für die Augen

Strahlende Augen gelten als Schönheitsideal. Nun hat die Industrie einen Weg gefunden, diese mittels Einsatzes der Farblehre weißer erscheinen zu lassen. Foto: iStock
Große und strahlend-weiße Augen gelten als besonders schön. Eine Werbung verspricht nun ein intensives Weiß dank blauer Tropfen. Das Produkt kann aber auch zu Komplikationen führen. Ein Experte erklärt, was es damit auf sich hat.
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Ein Fernsehwerbespot zur besten Sendezeit vor den Nachrichten verspricht einen strahlenden Blick. Blaue Augentropfen mit pharmazeutischem Hyaluron sollen nicht nur trockene und gereizte Augen pflegen, sondern auch das Augenweiß intensivieren – „sanft“, wie der Hersteller betont. Und auch in den sozialen Netzwerken erfährt das Produkt unter anderem durch Influencer gezielt Aufmerksamkeit, wird als Geheimtipp für schöne, strahlende Augen bezeichnet. Doch sehen Augenärzte das genauso?
Bei den beworbenen Augentropfen handelt es sich um ein sogenanntes Medizinprodukt. Sie sind also ausschließlich in Apotheken erhältlich – lokal, aber auch online. Das schafft bei den Kunden zunächst Vertrauen. Prof. Horst Helbig, Direktor der Augenklinik am Uniklinikum Regensburg, rät jedoch zur Vorsicht. Er ist Mediensprecher der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft, also der medizinisch-wissenschaftlichen Fachgesellschaft für Augenheilkunde, und hat eine klare Meinung zu den blauen Tropfen: „Sie sind im Grunde nicht mehr als Make-up.“
„Wir wissen heute noch nichts über die Langzeitanwendung“
Einen Vorteil zu anderen Hyaluron-Augentropfen sieht Helbig nicht. „Es gibt dafür keine augenärztliche Indikation.“ Es handle sich um ein rein kosmetisches Produkt, das wie Schminke die Wirkung der Augen einfach nur ein bisschen verändere. Gleichzeitig habe es – wie Schminke eben auch – potenzielle Nebenwirkungen, könne Allergien und Unverträglichkeiten auslösen. Das aus Helbigs Sicht Problematischste jedoch: „Wir wissen heute noch nichts über die Langzeitanwendung und -auswirkung des verwendeten blauen Farbstoffs im Auge.“ Auch wenn zumindest kleinere In-vitro-Versuche an Zellen kurzfristig keinen toxischen Zusammenhang feststellen konnten, sei Vorsicht geboten.
Zwar räumt Helbig ein, dass die anderen im Präparat enthaltenen Substanzen durchaus sogenannte künstliche Tränen ersetzen und so Beschwerden samt Rötungen bei trockenen Augen lindern könnten. Der blaue Farbstoff mache dafür aber keinen Unterschied.
Farbstoff Patentblau V kommt zum Einsatz
Der Hersteller verwendet das Natriumsalz der Hyaluronsäure als Feuchthaltemittel, so wie es auch in vielen anderen durchsichtigen Augentropfen auf dem Markt eingesetzt wird. Aufgrund seiner physikalischen Eigenschaften bilde es einen viskoelastischen Schutzfilm auf der Hornhaut und mindere somit Reibungseffekte, die für Rötungen sorgen, schreibt der Hersteller in seinem Beipackzettel. Das Neue im Vergleich zur Konkurrenz auf dem deutschen Markt: der zusätzlich enthaltene Farbstoff Patentblau V. „Für die Anwendung in den Augen ist er zwar in den USA schon seit einiger Zeit erhältlich, hier bei uns aber tatsächlich erst seit wenigen Monaten“, erklärt Helbig.
Unbekannt ist Patentblau V hierzulande dennoch nicht. In der Medizin, aber auch in der Lebensmittelindustrie wird der Farbstoff in Deutschland schon länger verwendet. Der sogenannte Triphenylmethanfarbstoff mit der Nummer E 131 ist beispielsweise in Überzügen von Käse und Wurst, in Süßigkeiten, Kuchen, Keksen, Blätterteiggebäck, Speiseeis, Desserts, aber auch Spirituosen enthalten – etwa in Blue Curaçao. In der Medizin kommt er vorrangig für diagnostische Zwecke zum Einsatz, zum Beispiel um damit Lymphgefäße zu markieren, teilweise aber auch intravenös.
Farbstoff soll in Gewebe eindringen
Und so wirkt Patentblau V in den Augentropfen: „Der blaue Farbstoff soll in das Gewebe eindringen und es ein bisschen blau einfärben“, erklärt Augenarzt Helbig. „Nach der Theorie der Farbenlehre soll die blaue Komplementärfarbe rötlich oder gelblich wirkende Augen dann weißer erscheinen lassen – ein rein kosmetischer Effekt.“
In der Tat wird dieses Prinzip bereits bei etablierten Kosmetika genutzt. Auch hier werden neben grünen auch blaue Farbpigmente eingesetzt, um Rötungen zu überdecken. Auch Waschmittel für Weißes enthält oft blaue Farbstoffe. Diese sollen entstandene Verfärbungen und Vergilbungen, die sich mit der Zeit in den Stoffen festsetzen, überdecken.
In seinem Buch „Zusatzstoffe von A-Z – Was Etiketten verschweigen“ bewertet Udo Pollmer Patentblau V als „dubiosen Zusatzstoff“. In der Medizin stehe dem potenziellen Schaden ein klinischer Nutzen gegenüber, heißt es. Bei Kosmetika und Lebensmitteln sei das Risiko zwar deutlich kleiner als bei intravenöser Gabe, aber unnötig.
Verschiedene Ursachen für rote Augen
Am Ende müsse jeder über den Einsatz selbst entscheiden, meint Helbig. „Jeder ist seines Glückes Schmied und muss abwägen, ob er für etwas weißere Augen mögliche Komplikationen in Kauf nehmen möchte.“ Helbig betont auch: Blaue Tropfen seien wahrscheinlich besser als Konkurrenzprodukte, die dafür sorgen, dass sich die Blutgefäße in den Augen verengen, damit diese weißer werden. Hier seien negative Folgen klar belegt. Natürliche Wege, rote Augen zu minimieren, hält der Experte aber für deutlich zielführender.
Grundsätzlich gilt: Wer chronisch gerötete oder akut stark gerötete Augen hat, der sollte beim Augenarzt kontrollieren lassen, ob etwas Krankhaftes dahintersteckt, das man behandeln müsste. „Ein rotes Auge ist ja zunächst völlig unspezifisch und in den meisten Fällen harmlos“, betont Augenarzt Helbig. Dennoch gebe es ernste Erkrankungen, die dahinterstecken könnten – beispielsweise Bindehaut- oder Regenbogenhautentzündungen. Wer unter einer Reizung durch trockene Augen leide, gepaart mit Brennen, Jucken, Reiben, dem rät der Experte, die sogenannten künstlichen Tränen ins Auge zu träufeln, um für Linderung zu sorgen. Auch hier lassen weitgestellte Blutgefäße die Augen glasig, rötlich erscheinen.
Ursachen abstellen für gesündere Augen
Gleiches passiere durch zu wenig Schlaf, Rauchen, Alkohol- oder sonstigen Drogenkonsum. „Auch wenn man einen Zug abbekommt oder zu lange vor dem Bildschirm sitzt, egal ob Computer oder Fernseher, kann das die Bindehaut reizen und so für geweitete Blutgefäße und damit gerötete Augen sorgen“, erläutert Horst Helbig. Gleiches gelte bei Luftverschmutzung und trockener, klimatisierter Raumluft – etwa im Büro. „Die einfachste und gesündeste Möglichkeit dem entgegenzuwirken ist, die Ursachen einfach abzustellen.“
Von Anne-Kathrin Neuberg-Vural, Funke-Mediengruppe