Sieben Performance-Künstler bespielen Goslarer Sparkassentreppe

Beate Linne Foto: Hartmann
Sieben internationale Performance-Künstler haben in Goslar mit ihren sehr unterschiedlichen Beiträgen die Aktion „No w here“ gestaltet. Vor der Goslarer Sparkasse zeigten sie ausdrucksstark, farbenreich, pantomimisch und geräuschvoll ihre Kunst.
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Goslar. Ein kleiner, grantiger Mann und ein Zeitungsstapel: Was Fausto Grossi da vor dem Eingang der Goslarer Sparkasse liest, scheint nicht eben seiner Beruhigung zu dienen. Wütend knüllt er ein Blatt zusammen, wirft es auf den Boden, greift nach einer neuen Zeitung. Die Goslarsche, die Zeit, Politik, Reportagen, Kulturseiten - der italienische Performance-Künstler schmeißt einen Papierball nach dem anderen zu Boden, einige Seiten klebt er mit spiegelndem Klebestreifen an Säulen und Geländer an, einmal wirft er mit einem zusammengeknüllten Zeitungsblatt nach einer Sparkassenkundin, die ihm beim Verlassen des Geldinstituts in die Quere kam. Zeitunglesen und sich ärgern als Kunst. Sind es die Themen? Die Überschriften? Ist ihm das Kreuzworträtsel zu schwer? Grossi raschelt und knüllt geräuschvoll. Wieder eine Seite zu Boden geworfen.

Fausto Grossi Foto: Hartmann

Dagmar Glausnitzer-Smith Foto: Hartmann
Eröffnet wurde der Nachmittag stumm, pantomimisch und ausgesprochen eindrucksvoll von Dagmar Glausnitzer-Smith, die mit ihrer schneeweißen, mit Wäscheklammen besetzten Hose und den leuchtend roten Stiefeln ein echter Hingucker war.
Lautlos, balletthaft und nachdenklich
Lautlos und wie in Zeitlupe bewegt sich die Braunschweigerin, lässt kirschgroße Perlen aus ihrem Ärmel auftauchen, zaubert ein Rohr aus dem Sparkassenbriefkasten hervor, einen Stab, dann entrollt sie ihre erste Stoffbahn, auf der - wie ein Kommentar zur eigenen Arbeit - das Wort „mühevoll“ gedruckt ist. Und weiter geht es, wie in Zeitlupe und mit der Lautlosigkeit eines Unterwasserballetts, die Rollstuhlrampe hinab. Am Geländer baumeln silberne Kleiderbügel und Besteck, dann flattert im Wind ein schmales Stoffband mit der Aufschrift: „Das Bild ist unwahr“. Viele Zuschauer haben die Handys gezückt, halten das „unwahre“ Bild fest, verfolgen die Künstlerin beim Aufhängen weiterer Sätze, bis sie schließlich ihr Fazit an die Fensterscheibe der Sparkasse klebt. „Das Rätsel bleibt“, steht da. Der Satz bleibt hängen, während die Künstlerin langsam die Bäckerstraße entlanggeht und verschwindet.
Blechtrommelschläge und Hymnenmix
Mit Trommelschlägen nimmt nach ihr die Lokalmatadorin Beate Linne die Spielstätte auf der Sparkassentreppe in Besitz. Die seit 15 Jahren in Goslar ansässige interdisziplinäre Künstlerin marschiert zu den Klängen einer Blechtrommel die Rampe hinauf und lässt dann einen eigenwilligen Nationalhymnenmix erschallen. Da klingt zwischen dem „Blüh im Glanze“ ein „Noch ist Polen nicht verloren“ auf, das österreichische „Land der Berge, Land am Strome, Land der Äcker, Land der Dome, Land der Hämmer, zukunftsreich“ wird umrahmt von einem „Gott segne Lettland“ und dem dänischen Lob auf Freyas Saal, während die Künstlerin eine schwarze Tuchbahn auf der Treppe ausrollt.

Beate Linne Foto: Hartmann
Blaue Farbe aus der Trommelbox verteilt sie mit weißen Handschuhen auf ihren Füßen, hinterlässt leuchtend blaue Fußspuren auf dem schwarzen Stoff und reibt sich schließlich das Gesicht blau ein. Ein indianisch inspirierter Tanz mit großen Federbündeln folgt, bevor die Goslarerin in einen Goldfolie-Anzug steigt, einen Kranz mit brennenden Wunderkerzen aufsetzt und langsam die Stufen herabschreitet, sich dann auf dem nun wie ein Sargtuch wirkenden schwarzen Stoff ausstreckt, während die Hymnenfetzen weiter über die Straße hallen.

Beate Linne Foto: Hartmann
Sieben Künstler stellen sich vor
Insgesamt sieben internationale Künstler zeigen an diesem Nachmittage ihre sehr unterschiedlichen Performances. Einige der Zuschauer haben am Freitagabend bereits bei der Vorstellung des Projekts im Kulturmarktplatz mit den Künstlern Kontakt aufgenommen, als die sich und ihre bisherigen Arbeiten vorstellten.
Sie erfuhren wie Dagmar Glausnitzer-Smith aus Fundstücken in einem Museum neue Begegnungen erschuf. „Es war vollgemüllt, und aus diesem Müll kamen plötzlich Schätze hervor“ - darunter Knochen, Sand aus dem Harz oder ein Chemielabor, das hochexplosive und krebserregende Substanzen enthielt.
Barbara Le Beguec-Friedmann hat den Dialog zwischen äußerem und innerem Leben zu ihrem Thema gemacht, befasst sich aber auch mit Genderfragen und sozialen Themen. Wichtig ist der Künstlerin aus Perpignan in Frankreich, sich die Schubladen, in denen die Menschen oft gepresst werden, bewusst zu machen und die Durchlässigkeit dieser Boxen zu erforschen. Sie experimentiert gern mit Paradoxien, mit dem Gegensatz zwischen An- und Abwesenheit und ist fasziniert von der Idee, „dass Grenzen auch gleichzeitig Treffpunkte sind“, wie sie erzählte.
Der Italiener Fausto Grossi hatte durch eine Performance in einer Jurte in der inneren Mongolei für Aufsehen gesorgt, als er in einer russischen Uniform posierte, schließlich im Badeanzug mit Krawatte auftrat und sich Schafsblut über die Hände gießen ließ. Auch erzählte er davon, wie er bei der Protestbewegung „Occupy Wallstreet“ als Clown auftrat.
Für Charlotte Oppermann ist das Verhältnis von Dokumentation und Performance besonders wichtig. Etwa in der Zusammenarbeit mit Künstlern aus der Ukraine, mit denen sie aufgrund des Krieges nur aus der Ferne zusammenarbeiten kann. Ihr gehe es darum, diese Lücke wieder positiv zu füllen mit einer Performance, beschrieb sie ihre Kunst, die im Dialog zwischen zwei Orten entsteht und zwischen Handlungen, die aufeinander antworten.
Eindrucksvoll auch die Naturkunst von Surya Tüchler. Die Hamburgerin machte durch ihre Arbeiten mit Gras, Moos und Erde von sich reden, schnitt mit dem Messer große Rasenstücke aus der Erde, um sich damit zu kleiden, und experimentierte mit Rollrasen. Hände, die sich tief in schwarze Erde eingraben, Farn, Gras und Moos auf der Haut, das ist für sie der Weg, eins mit der Natur und mit ihrem Kunstwerk zu werden.
„All about Love“ - so lautete das Motto, unter das Snezana Golubovic ihre Performance stellte. Geboren wurde sie in Belgrad, in dem Jahr, in dem die Rolling Stones mit „I can get no Satisfaction“ die Welt eroberten, betont sie gern. Für sie sind Haare, vor allem die eigenen, der Stoff, aus dem die Kunst entsteht. Ob weit ausgespannt wie ein Zelt oder Netz, ob aufgetürmt zu kunstvollen Frisuren, ob eine unzählbare Masse, die die Künstlerin trotzdem immer wieder zu zählen beginnt, die Faszination ist unstillbar. Und doch sagte ihr ein Freund: „Deine Arbeiten handeln nur von der der Liebe“ - da war sie fast ein bisschen beleidigt, verriet sie. Inzwischen hat sie das Thema angenommen und auch in Goslar zeigte sie schließlich ihre Performance „I Love You“, mit der sie bereits in Peking und Chicago, in Sao Paulo und anderen Städten aufführte. Jeder Ort ist anders, und es passiert immer etwas anderes, so ihre Erfahrung. In Sao Paulo brachen die Menschen in Tränen aus. In Amsterdam wurde die Performance nach 20 Minuten verboten. In Goslar schritt die Polizei jedoch nicht ein.
Das Fazit? Ja, es soll auf jeden Fall eine vierte Performance-Veranstaltung dieser Art geben, da sind sich die Organisatoren einig. Wann und wo? „Nowhere“ oder „now here“ vermutlich.