BBS1-Schüler diskutieren Zukunfts-Chancen und Zukunfts-Ängste

Die Schülerinnen und Schüler können mit der pinken oder grünen Karte auf Fragen reagieren. Foto: Otte
Manche sehen schwarz: Der Verein „Diskutier mit mir“ ist zu Besuch in der BBS 1 Goslar - Am Stadtgarten. In einer offenen Diskussionsrunde bekommen Schüler die Möglichkeit, über ihre Probleme und Perspektiven in Hinblick auf die Zukunft zu sprechen.
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Goslar. Inflation, Krieg und Corona. Neben den körperlichen und psychischen Belastungen kommen nun auch noch finanzielle Hürden auf die Jugendlichen zu. Seit rund zwei Jahren wird gefühlt nur noch über Krisen gesprochen. Manche Schülerinnen und Schüler sehen dadurch in Hinblick auf die Zukunft schwarz. Doch wem können sie ihre Probleme mitteilen, um etwas zu verändern?
Um Jugendlichen die Möglichkeit zu geben, gehört zu werden, hat der Verein „Diskutier mit mir“ einen 90-minütigen Diskurs veranstaltet, in dem über die Zukunft gesprochen wird. Im Vorfeld der Landtagswahl ist der Verein mit ihrer sogenannten „Forum X“ Tour überall in Niedersachsen unterwegs. Besonders die persönlichen Ängste, Chancen und Perspektiven wurden thematisiert. Zwar blickt der Großteil der jungen Erwachsenen positiv in die Zukunft, aber die Probleme der Gegenwart seien belastender und akuter, als viele vielleicht denken. Damit die Probleme von den richtigen Leuten gehört werden, hat „Forum X“ Expertinnen zu der Diskussionsrunde eingeladen: Anne-Katrin Göbel (Landkreis Goslar, Fachbereich Bildung und Kultur, Koordinierungsstelle Übergang Schule-Beruf), Ulrike Feurich (Bildungswerk der niedersächsischen Wirtschaft, Geschäftsstellenleitung Göttingen und Goslar) und Lena-Marie Feldgeber (Wirtschaftsförderung der Region Goslar (WiReGO) GmbH & Co.KG, Referentin für Wirtschaftsförderung und Leitung der Geschäftsstelle Leader-Region Westharz). Die Veranstaltung moderiert hat die Projektmanagerin von „Diskutier mit mir“ Mariam Kublashvili.
Ein Stimmungsbild
Die Aula der BBS 1 Goslar – Am Stadtgarten ist gut gefüllt. Schülerinnen und Schüler des 11. und 12. Jahrgangs sitzen vor der Bühne mit den Expertinnen und der Moderatorin. In ihren Händen halten sie eine grüne und eine pinke Karte. Kublashvili stellt den Teilnehmerinnen und Teilnehmern eine erste Frage, um ein Stimmungsbild zu erhalten: „Ihr macht Eure Ausbildung während Corona, einem Krieg und der Inflation. Dominieren Sorgen oder Zuversicht, wenn Ihr einen Blick in die Zukunft werft?“ Der grüne Zettel signalisiert Zuversicht und der pinke Sorge. Der Großteil ist zuversichtlich und hebt die grüne Karte. Ein paar haben gemischte Gefühle und entscheiden sich sowohl für Grün als auch für Pink. Nur eine kleine Anzahl entscheidet sich dafür, die pinke Karte zu zücken.
„Alles, was in meiner Zukunft liegt, habe ich selbst in der Hand, und nicht alle Türen sind durch die Krisen geschlossen“, so ein Schüler aus der zweiten Reihe. Ein wenig pessimistischer blickt eine Schülerin mit der pinken Karte in die Zukunft. Sie beklagt sich darüber, dass sie bereits vor den Krisen Probleme hatte, eine Ausbildungsstelle zu finden – und das, obwohl fast überall händeringend nach neuen Azubis gesucht wird. Sie ist der Meinung, dass viele Unternehmen zu hohe Ansprüche stellen, denn trotz eines guten Realschulabschlusses möchten die meisten Firmen Azubis mit Abitur. Ein anderer Schüler, bei dem die Sorgen dominieren, sagt, dass er spätestens für den Herbst wieder schwarz sieht. Die Digitalisierung sei bei vielen noch nicht ausgereift, die Schulcomputer seien veraltet und auch der Ausbau des Glasfasernetzes mache ihm Sorgen.
Um genauer auf das Thema Ausbildungsstellen einzugehen, fragt Kublashvili die Schüler: „Woran könnten die vielen offenen Ausbildungsstellen liegen?“ Die Gründe dafür sind laut den jungen Erwachsenen vielfältig. Zu hohe Anforderungen, schlechte Bezahlung in den Ausbildungsjahren und die geringe Anerkennung – besonders für Pflegeberufe. „Alle sozialen Berufe werden zu sehr runtergespielt“, so eine Schülerin. Sie sehe keinen Sinn darin, sich eine Ausbildung zu suchen und dann trotzdem nicht genug Geld zum Leben zu haben: „Wie soll ich zur Arbeit kommen? Mit demNeun-Euro Ticket, das gerade wieder abgeschafft wurde?“, fragt die 22-jährige Lea.

Die 22-jährige Lea beteiligt sich an der Diskussion und spricht ihre Probleme an. Derzeit macht sie eine Ausbildung zur Bürokauffrau. Foto: Otte
Anne-Katrin Göbel geht auf die Frage ein und erklärt, dass Goslar ein Flächenlandkreis ist und fast jeder einen Anreiseweg zu Arbeit hat. Es gibt laut der Landkreismitarbeiterin Arbeitgeber, die ihre Azubis mit Autos und Mitfahrgelegenheiten unterstützen, allerdings kann sich das nicht jede Firma leisten. Ihr sei auch bewusst, dass während Corona zwar für die Pflegekräfte geklatscht wurde, sich an den Hauptproblemen aber nicht viel verändert habe. Sie ist der Meinung, dass das Thema immer wieder zur Sprache kommen müsse, damit Druck entsteht und die Politik etwas dagegen tut.
Zu wenig Orientierung
Viele Schülerinnen und Schüler beklagen sich in der Diskussionsrunde über Planlosigkeit, was sie nach der Schule machen sollen. Sie wünschen sich mehr Praktika während der Schulzeit. Und zwar jene, die sie sich selbst aussuchen können, denn laut eines Schülers reden viele Lehrer in die Praktikumswahl mit rein.
Dies sei Göbel bisher nicht bekannt, allerdings gebe es ein paar Anforderungen, die das Praktikum erfüllen sollte, wie zum Beispiel, dass es aufgrund von Fahrtkosten im Raum Goslar sein sollte. Zwar stimmt sie teilweise zu, dass es besonders im Gymnasium zu wenig Praktikumsangebote gebe, da „die meisten sowieso studieren gehen.“ Allerdings gibt es laut der Landkreis-Mitarbeiterin „eine Hol-und Bringschuld.“ Praktika können nämlich auch in den Ferien wahrgenommen werden und müssen nicht unbedingt in der Schulzeit stattfinden.
Ulrike Feurich ist der Meinung, dass Schülern bereits während der Schulzeit mehr Hilfe bei der Orientierung brauchen. „Viele müssen mit ihren Stärken und Kompetenzen erst vertraut gemacht werden. Dazu muss in den Schulen früher angesetzt werden.“

(v.li) Projektmanagerin Mariam Kublashvili mit Anne-Katrin Göbel. Foto: Otte
Zeit für Klartext
Die Moderatorin Kublashvili stellt den Schülern eine Frage, die viel aufmacht: „Was läuft momentan gut und was muss anders werden?“ Die 22-jährige Lea weiß ganz genau, was sich beim Thema Bewerbungen ändern muss, und erzählt von ihren Erfahrungen: „Wenn die Bewerber nicht der Norm entsprechen, werden sie direkt aussortiert. Ich habe bei meinen Bewerbungen immer alte Bilder ohne meine Tattoos und Piercings genommen, da ich sonst nie eine Antwort bekommen hätte. Ich finde des unfair, wenn man nur aufs Äußere achtet und man dadurch keine Chance bekommt. Wir leben mittlerweile in einem Zeitalter, in dem das bei Bewerbungen und Jobs keine Rolle mehr spielen sollte.“ Außerdem wünschen sich viele Schüler mehr Zeit, um sich auf ihre Zukunft vorbereiten zu können. Konkret wünschen sie sich mehr Veranstaltungen, die sich mit verschiedenen Berufen auseinandersetzten, und auch Möglichkeiten zur Feststellung und Förderung der eigenen Stärken.
Der Arbeitsmarkt hat und wird sich laut Feurich stetig verändern. Sie sagt zum Schluss der Veranstaltung: „Angst ist eine Blockade, machen Sie sich davon frei. Bleiben Sie mutig, flexibel und neugierig.“