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Krieg in der Ukraine

Wie gefährlich wird das russische Atommanöver?

Test einer Atomrakete in Russland.

Test einer Atomrakete in Russland.

Die Spannungen zwischen Russland und der Nato wegen des Ukraine-Kriegs drohen sich zu verschärfen: Beide Seiten werden jetzt in großen Nuklearmanövern ihre Fähigkeit zum Atomwaffeneinsatz demonstrieren. Experten warnen vor dem Eskalations-Risiko.

Samstag, 17.09.2022, 14:30 Uhr

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Brüssel. Nato-Militärs und das US-Verteidigungsministerium erwarten für die nächsten Tage eine große, demonstrative Atomübung des russischen Militärs. Details sind noch nicht bekannt. Zur Vorbereitung sind offenbar Atombomber und ein Eisenbahnzug der russischen Atomspezialeinheit verlegt worden. Das Manöver der strategischen Nuklearkräfte dürfte nach Einschätzung von US-Regierungsvertretern auch den Start von Langstreckenraketen umfassen – als Demonstration der Stärke nach den Niederlagen in der Ukraine.

Das Manöver „Grom“ (Donner) fand auch in früheren Jahren um diese Zeit statt, diesmal gibt es ein Problem: Bislang haben Geheimdienste der Nato-Staaten die Lage rund um die russischen Atomwaffendepots und Abschussvorrichtungen sehr gut im Blick, US-Verteidigungsminister Lloyd Austin sprach jetzt in Brüssel von einer Rund-um-die-Uhr-Überwachung – mögliche Einsatzvorbereitungen nach Putins Drohungen würden nicht unbemerkt bleiben. Doch in den nächsten Wochen wird es für die westliche Aufklärung schwer, Übung und Ernstfall auseinanderzuhalten, wie westliche Militärs warnen.

Was für ein Atommanöver plant die Nato?

Bei der Übung „Steadfast Noon“ handelt es sich um eine „Abschreckungsübung“, wie der Nato-Generalsekretär erklärt. Trainiert werden soll vor allem, wie Kampfjets der Bundeswehr und anderer Bündnisstreitkräfte im Verteidigungsfall US-Atombomben

Jens Stoltenberg, Generalsekretär der NATO. Foto: Olivier Matthys/picture alliance/dpa/AP

Jens Stoltenberg, Generalsekretär der NATO. Foto: Olivier Matthys/picture alliance/dpa/AP

auf gegnerische Ziele abwerfen und weitere Kampfflugzeuge dazu die Luftabwehr des Gegners ausschalten würden. Dabei geht es um die rund 100 taktischen Atomwaffen der USA, die im Rahmen der „atomaren Teilhabe“ in Deutschland, Belgien, den Niederlanden, Italien und der Türkei deponiert sind. Neben Kampfjets sollen Tank- und Radarflugzeuge teilnehmen, insgesamt 60 Maschinen aus 14 Nato-Staaten; aus den USA sind Langstreckenbomber vom Typ B-52 angekündigt. Zentrum der Übung ist der belgische Fliegerhorst Kleine Brogel, das Einsatzgebiet reicht bis nach Großbritannien – weit entfernt von Russland, um Missverständnisse auszuschließen.

Nato-Atomübung: Welche Rolle spielt die Bundeswehr?

An der Übung nimmt die Bundeswehr mit Tornado-Kampfjets teil. Denn rund 20 der US-Atomwaffen lagern auf dem Fliegerhorst Büchel in Rheinland-Pfalz.

Ein „Tornado“ Kampfjet der Bundeswehr startet vom Fliegerhorst Büchel (Kreis Cochem-Zell) in der Eifel. Foto: Harald Tittel/dpa

Ein „Tornado“ Kampfjet der Bundeswehr startet vom Fliegerhorst Büchel (Kreis Cochem-Zell) in der Eifel. Foto: Harald Tittel/dpa

Sie würden im Ernstfall von Bundeswehr-Tornados mit deutscher Besatzung ins Ziel getragen; die Tornados sollen bald durch amerikanische F-35-Kampfjets ersetzt werden, die die Bundesregierung in den USA beschaffen will. Den Atombombeneinsatz müsste der US-Präsident freigeben, Deutschland müsste zustimmen. Nato-Militärs betonen, bei der Übung seien keine echten Atombomben an Bord der Flugzeuge. Aber die Soldaten wissen, was hinter der Simulation steckt: Die Sprengkraft der in Europa deponierten US-Atomwaffen variiert, sie beträgt aber teilweise ein Mehrfaches der in Hiroshima eingesetzten Bombe.

Welche Strategie steckt hinter den US-Atomwaffen in Europa?

Die taktischen Atomwaffen unterstreichen aus Sicht der Nato die Schutzzusage der USA für Europa. Der militärische Wert ist umstritten: Würde ein Konflikt mit Russland eskalieren, müssten die Nato-Kampfjets mit ihrer schweren Bombenlast erst die russische Luftverteidigung überwinden. Die eigentliche Abschreckung, die einen Angriff verhindern soll, liegt bei den Atommächten USA, Großbritannien und Frankreich. Sie entscheiden über den Einsatz ihrer Atomraketen eigenständig.

Warum übt die Nato den Atomkrieg ausgerechnet jetzt?

Die Nato-Übung findet jährlich in Europa statt. Eine aktuelle Absage wäre „das absolut falsche Signal gewesen“, sagt Stoltenberg. Moskau würde das, so die Befürchtung, als Zeichen der Schwäche deuten. Stattdessen macht die Nato das sonst im Verborgenen abgehaltene Manöver nun zu einer Demonstration: „Die Übung gewährleistet, dass die nukleare Abschreckung der Nato sicher und effektiv bleibt“, betont Stoltenberg. Der US-Atomwaffenexperte Hans Kristensen, der auch für das Stockholmer Institut für Friedensforschung (Sipri) arbeitet, warnt: „Die zufällige Überschneidung der Atomübungen ist gefährlich, es kann zu einer weiteren Eskalation kommen. Das ist ein Lehrbuchbeispiel, wie in einer Krise beide Seiten nicht deeskalieren, um keine Schwäche zu zeigen.“ Kristensen meint, die Nato hätte das Manöver absagen oder verschieben müssen: Nun könne unbeabsichtigt der Eindruck eines nuklearen Säbelrasselns entstehen.

Wie reagiert der Westen, wenn Russland Atombomben in der Ukraine einsetzt?

Der von der Nato trainierte Atombombenabwurf kommt, wenn überhaupt, nur für den Fall infrage, dass ein Nato-Staat angegriffen wird. Wie die Nato reagieren würde, wenn Russland Atombomben gegen die Ukraine einsetzt, ist unklar – als wahrscheinliche Option gilt ein von US-Streitkräften geführter, massiver Luftangriff auf russische Stellungen in der Ukraine, dazu eine Welle von Cyberattacken. Jedoch wollen die Nato-Staaten einen Atomwaffeneinsatz nicht förmlich ausschließen, um für Moskau unkalkulierbar zu bleiben.

Kampfjets der Bundesluftwaffe vom Typ Tornado stehen auf dem Vorfeld des Fliegerhorstes Büchel in Rheinland-Pfalz. Im Ernstfall würden diese Maschinen die in Büchel stationierten US-Atomwaffen laden und auf Ziele eines Gegners abwerfen. Thomas Frey dpa

Von Christian Kerl, Funke Mediengruppe

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