Warum musste Shinzo Abe sterben?

Trotz Bluttransfusionenkonnten die Ärzte im Krankenhausspäter nur noch den Tod des Politikersfeststellen.
Japans erzkonservativer Ex-Ministerpräsident Shinzo Abe ist auf offener Straße erschossen worden. Er wurde aus unmittelbarer Nähe von hinten von zwei Kugeln getroffen. Der geständige Täter wurde sofort von Sicherheitskräften verhaftet.
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Als Shinzo Abe zusammensackt, verbreiten sich die Nachrichten in Japan wie ein Lauffeuer. Nicht lang dauert es, bis man Fotos des früheren Premierministers mit blutigem Gesicht in den Medien sehen kann. Fernsehsender verbreiten im Minutentakt Updates zur Lage, Freunde schicken die Meldungen, inklusive Videos von der Tat, auf dem Handy hin und her. Als Shinzo Abe rund sechs Stunden nach dem Attentat im westjapanischen Nara für tot erklärt wird, ist dies schon keine Überraschung mehr im Land.
Gleichwohl steht das ostasiatische Land unter Schock. Kein Politiker hat sein Land über die letzten Jahre derart geprägt wie Shinzo Abe, der das 125-Millionen-Einwohner-Land ab 2006 ein Jahr und ab 2012 knapp acht Jahre regiert hat. Auch nach seinem Rücktritt im Sommer 2020 – der in den Augen vieler Beobachter nach Skandalen um Vetternwirtschaft und die illegitime Verwendung von Steuergeldern viel zu spät kam – verschwand Abe nicht aus der Öffentlichkeit. In der Politik mischte er weiterhin hochaktiv mit.
Weiter Abgeordneter
So passt es zu seiner Karriere, dass Abe während einer politischen Rede starb. In seinem 2006 erschienenen Bestseller „Utsukushii kuni e“ (Auf dem Weg zu einer schönen Nation) teilte Abe Politiker in zwei Gruppen ein: diejenigen, die für ihr Land kämpfen, und die, die das nicht tun. Abe, Spross einer Politikerdynastie und ein unerschrockener Nationalist, zählte sich zur ersten Kategorie. Aufgeben war für ihn keine Option.

In der westjapanischen Stadt Nara hieltAbe eine Wahlkampfrede, als die tödlichenSchüsse fielen. Foto: afp
Für diesen Sonntag ist in Japan die Wahl des Oberhauses geplant, der zweiten Kammer des japanischen Parlaments. Darin war Abe auch deshalb eingebunden, weil er nach seinem Rücktritt als Premierminister Abgeordneter geblieben war. In der übermächtig regierenden Liberaldemokratischen Partei (LDP) führte er zudem eine wichtige Fraktion an, sodass er auch starken Einfluss auf Personal- und Richtungsentscheidungen im Kabinett des aktuellen Premierministers Fumio Kishida nehmen konnte.
Wie kaum ein japanischer Politiker hat Abe den Willen verkörpert, das Land militärisch zu stärken. So setzte er sich zeitlebens dafür ein, die von den im Zweiten Weltkrieg siegreichen USA oktroyierte Verfassung umzuschreiben, die Japan in Artikel 9 das Kriegsrecht und ein Militär verweigert. Die stattdessen existierenden und in ihrem Mandat stärker eingeschränkten Selbstverteidigungskräfte wertete Abe in seiner ersten Amtszeit als Premierminister zu einem eigenen Ministerium auf. Doch für die Umschreibung der Verfassung, dem größten Ziel Abes, fehlten in einem pazifistisch eingestellten Land die Mehrheitsverhältnisse.
Dennoch hat Abe einen tiefen Fußabdruck hinterlassen. In seiner zweiten Amtszeit interpretierte er die Verfassung derart um, dass die Selbstverteidigungskräfte fortan strategischen Partnerstaaten zur Hilfe eilen dürften, sofern diese und damit auch Japan existenziell bedroht werden. Während Kritiker diese Auffassung für verfassungswidrig halten, haben sich Abes Amtsnachfolger Yoshihide Suga und der jetzt regierende Fumio Kishida davon nicht distanziert. Entsprechend forderte Abe als Premier außer Diensten zuletzt auch, dass Japan Taiwan militärisch unterstützen müsse, sofern China eine Invasion starte.

Direkt am Tatort festgenommen wurde ein 41-jähriger Japaner. Foto: afp
Ex-Offizier als Täter
So fällt die Ironie auf, dass Shinzo Abes politische Karriere und Leben nun offenbar durch einen Mann beendet wurden, dem Abe eigentlich das Beste gewünscht haben müsste. Der direkt am Tatort festgenommene 41-Jährige wurde als voriger Offizieller der Selbstverteidigungskräfte identifiziert. Ob sein Tatmotiv politische Hintergründe hat, ist noch unklar. Bisher ist vor allem bekannt, dass der Mann seine Tatwaffe selbst gebastelt hatte – und so die restriktiven Waffengesetze, die in Japan sonst für ein hohes Maß an öffentlicher Sicherheit sorgen, umgangen hat.
Dabei wird schon jetzt darüber diskutiert, ob das Attentat nicht auch eine Sicherheitslücke offenbart hat. Premier Kishida kündigte kurz nach Abes Tod umgehend an, dass Politiker künftig stärker geschützt werden sollen. Während Schüsse aus der Ferne dadurch kaum unmöglich werden, sendet diese Reaktion die Botschaft, dass ein akutes Problem ernst genommen wird, wenn auch in Form von Symptombekämpfung.
Auf ähnliche Weise verschwanden nach einem Giftgasanschlag in der Tokioter U-Bahn im Jahr 1995 sämtliche Mülleimer aus der Öffentlichkeit, sodass dort keine Bomben deponiert werden könnten. Sicherer wurde Japan dadurch eher nicht.
Krisenentscheidung
Noch vor der Bestätigung von Shinzo Abes Tod am Freitag traf Premier Fumio Kishida noch eine weitere Krisenentscheidung. Alle Kabinettsmitglieder forderte er dazu auf, schnellstmöglich in die Hauptstadt Tokio zu kommen, um sich in dieser Krise zu beraten. Der Wahlkampfmodus, in dem sich die Politiker bis Freitagmittag befanden, ist in Trauer- und Krisenmodus umgeschlagen. Und eine Hinterlassenschaft von Shinzo Abe dürfte nun sicher sein: Nicht nur inmitten des Ukraine-Krieges, sondern auch dieses Attentats wird über die Rolle der Selbstverteidigungskräfte nun wohl wieder mehr gesprochen.

Mit einem Hubschrauber wurde der angeschossene Shinzo Abe ins Krankenhaus gebracht. Foto: Shohei Izumi/AP
Von Felix Lill, Funke-Mediengruppe