Staatsanwaltschaft äußert sich zu Horror-Missbrauchs-Prozess

Prozess um „Horror-Missbrauch“ von Goslar: Die Eheleute Ramona (53) und Thorsten R. (57) wurden im Vorjahr zu langen Haftstrafen verurteilt. Foto: Erik Westermann
Im Fall des „Horror-Missbrauchs von Goslar“ haben neue Beweise Zweifel an dem Urteil gegen das Ehepaar genährt, dem vorgeworfen wird, sich an der eigenen Tochter vergangen zu haben. Jetzt äußert sich der Staatsanwalt.
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Goslar. Die Wahrscheinlichkeit, dass Ramona und Thorsten R. (53, 57) aus Goslar nach zwei Jahren in Untersuchungshaft Anfang kommender Woche auf freien Fuß kommen, steigt. Den beiden wird zur Last gelegt, ihre erwachsene Tochter (26) als eine Art Sexsklavin gehalten zu haben. Am Freitag nahm die Staatsanwaltschaft Braunschweig Stellung zu neuen Erkenntnissen, die aus Sicht des Landgerichts Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Opfers wecken. Die Strafverfolger halten es demnach „vor dem Hintergrund der aktuellen Einschätzung des aussagepsychologischen Sachverständigen für vertretbar“, die Haftbefehle des Ehepaares aufzuheben, teilte der Sprecher der Staatsanwaltschaft mit. „Trotz einer Fülle an Indizien, die nach wie vor gegen die Angeklagten sprechen“, so Christian Wolters.
Zu berücksichtigen sei, dass die neue Bewertung eines Aussagepsychologen lediglich eine vorläufige ist. „Der Sachverständige hat sich nicht festgelegt, dass das Opfer unglaubwürdig ist.“ Vielmehr schätzt er die Wahrscheinlichkeit, dass die Aussage des Opfers nicht auf Erlebtem basiert, als „immer höher“ ein. Nach Informationen unserer Zeitung schließt der Gutachter auch nicht mehr aus, dass ihre Geschichte erfunden ist. Sie schildert, seit ihrer Kindheit missbraucht worden zu sein, und berichtet von Gruppenvergewaltigungen, Zwangsprostitution und sadistischen Orgien. Teil der Anklage gegen das Paar waren diese Schilderungen nur zu einem geringen Teil.
Wir gehen nach wie vor davon aus, dass die Tatvorwürfe zutreffen.
Christian Wolters, Sprecher der Staatsanwaltschaft Braunschweig
Im Zuge des ersten Prozesses gegen die Eltern hatte der gleiche Aussagepsychologe die Schilderungen der 26-Jährigen noch als äußerst glaubhaft eingestuft. Das Schwurgericht verhängte damals lange Haftstrafen gegen das Ehepaar. Doch der Bundesgerichtshof hob die Entscheidung auf.
Die Einschätzung des Sachverständigen änderte sich, als er vor Kurzem von neuen Beschuldigungen der jungen Frau erfuhr. Sie bezichtigt mittlerweile eine Freundin, sie zu missbrauchen und in den Suizid treiben zu wollen. Ihre Schilderungen weisen auffällige Parallelen auf zu Vorwürfen, die sie bereits vor zwei Jahren im Prozess gegen ihre frühere Lebensgefährtin, Miriam A. aus Salzgitter, erhoben hat.
Kommen Eltern am Montag frei?
„Horror-Missbrauch“ von Goslar – neue Beweise wecken große Zweifel
Dem Opfer werden schwerste Traumata attestiert. Der Aussagepsychologe halte es aufgrund immer neuer und frappierend ähnlicher Behauptungen für denkbar, dass die 26-Jährige aufgrund einer psychischen Erkrankung Realität und Einbildung nicht unterscheiden kann, erklärt Andreas Dieler, Verteidiger von Thorsten R.
Die Staatsanwaltschaft hält Ramona und Thorsten R. hingegen weiter für tatverdächtig. Man gehe „angesichts der Vielzahl objektiver Beweismittel, die die Angaben des Opfers stützen, nach wie vor davon aus, dass die Vorwürfe zutreffen“, sagt Oberstaatsanwalt Wolters. Zu den Indizien zählen die Strafverfolger Angaben von Miriam A., die Übergriffe der Eltern beschreibt, DNA-Spuren der Mutter an einem Seil, mit dem das Opfer gefesselt worden sein soll, sowie Spuren von Thorsten R. im Slip der Tochter und in ihrem Intimbereich.
Zudem berichtete die 26-Jährige in einer Befragung von einem Leberfleck, den ihre Mutter im Schambereich habe. Den stecknadelkopfgroßen Fleck fand eine Gynäkologin an der beschriebenen Stelle. Wie, so die Annahme, hätte die Tochter das wissen sollen – wenn ihre Schilderungen von erzwungenem Sexualverkehr nicht zuträfen?