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Corona-Pandemie

Immunologe: „Mit der vierten Impfung jetzt noch warten“

Carsten Watzl ist Immunologe und seit 2013 Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Immunologie. An der Universität Dortmund hat er die Professur für Immunologie inne. Im Laufe der Corona-Pandemie wurde er zu einem wichtigen Experten, besonders zum Thema Impfungen. Sein Forschungsschwerpunkt liegt auf natürlichen Killerzellen, die etwa bei Immunreaktionen gegen Krebs eine Rolle spielen.

Carsten Watzl ist Immunologe und seit 2013 Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Immunologie. An der Universität Dortmund hat er die Professur für Immunologie inne. Im Laufe der Corona-Pandemie wurde er zu einem wichtigen Experten, besonders zum Thema Impfungen. Sein Forschungsschwerpunkt liegt auf natürlichen Killerzellen, die etwa bei Immunreaktionen gegen Krebs eine Rolle spielen.

Professor Carsten Watzl von der Universität Dortmund spricht im Interview über den Pandemie-Herbst, die vierte Impfung, über ältere Menschen und Risiko-Patienten und die Frage, wann man von Durchseuchung sprechen kann.  

Montag, 08.08.2022, 12:30 Uhr

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Noch ist ein bisschen Zeit bis zum Herbst. Doch es wird schon viel geredet über die kalten Monate, in denen auch im dritten Pandemie-Jahr mit steigenden Corona-Inzidenzen zu rechnen ist. Und trotzdem wird in diesem Herbst einiges anders sein als noch 2020 oder 2021. Millionen Menschen in Deutschland sind geimpft, Millionen genesen. Ein Gespräch mit dem Immunologen Professor Carsten Watzl über die vierte Impfung, beschleunigte Zulassungsverfahren und die Frage, wann man in Deutschland von einer Durchseuchung sprechen kann.

Carsten Watzl: Im Unterschied zu den beiden Jahren davor haben wir eine größere Immunität gegenüber dem neuen Coronavirus in der Bevölkerung. Sehr viele Menschen sind drei Mal geimpft oder haben sich mit Sars-CoV-2 infiziert oder sogar beides. Das wird uns sicherlich schützen.

Ich wäre tatsächlich auch sehr überrascht, wenn BA.5 die letzte Variante bleiben würde. Mein Bauchgefühl sagt mir aber, dass wir noch eine Weile mit Omikron beschäftigt sein werden. Das würde die Situation im Herbst entspannen. Das muss nicht unbedingt BA.5 sein, das kann BA.2.75 sein oder etwas anderes – aber noch immer Omikron, das nicht ganz so gefährlich ist wie frühere Varianten, Delta zum Beispiel.

Coronavirus Mutant - Variation Omicron B.1.1.529

Coronavirus Mutant - Variation Omicron B.1.1.529

Dann schaffen frühere Impfungen und Infektionen trotzdem eine gewisse Immunität, die auch andere Varianten nie komplett unterlaufen können. Wir werden nie wieder von null anfangen müssen wie am Anfang der Pandemie. So funktioniert unser Immunsystem nicht. Das ist auch das einzig Gute, das man der aktuellen Sommerwelle vielleicht abgewinnen kann: Jemand, der sich jetzt gerade mit BA.5 infiziert, wird im Herbst wahrscheinlich nicht mehr fällig sein.

Da bin ich ehrlich gesagt mit meiner Meinung bei der Ständigen Impfkommission (Stiko). Natürlich bringt die vierte Impfung mit den jetzigen Impfstoffen für jeden einen Vorteil. Jeder würde profitieren, aber nicht jeder braucht es. Denn der Sinn der Impfung ist ja, schwere Erkrankungen zu verhindern, nicht so sehr Infektionen. Das hat man am Anfang vielleicht auch falsch kommuniziert. Und das schafft eine Dreifachimpfung bei jüngeren immungesunden Menschen sehr gut: Sie schützt vor einem schweren Verlauf, auch wenn die Impfung schon mehr als ein halbes Jahr her ist. Risikopatienten sollten sich dagegen bereits ein viertes Mal geimpft haben.

Ich gehe davon aus, dass die Stiko wieder eine Empfehlung macht für die über 60-Jährigen plus vulnerable Gruppen plus vielleicht Personen im Gesundheitswesen. Aber die Hersteller wollen eine Zulassung ab zwölf Jahren. Auch eine 20-Jährige kann sich also impfen lassen, zum Beispiel weil die Oma mit im Haus wohnt und sie kein Risiko eingehen möchte. Denn das zeigen die Daten: Die Impfung mit den angepassten Impfstoffen verstärkt noch einmal die Immunität gegenüber Omikron. Und sie werden wahrscheinlich auch einen gewissen Schutz vor Infektionen bieten.

Risikopatienten oder Menschen über 70 hätten sich laut Stiko-Empfehlung bereits vor einigen Monaten zum vierten Mal impfen lassen sollen. Für die 60- bis 70-Jährigen ist das eine individuelle Entscheidung, die vom Gesundheitszustand abhängt. Für einen 60-Jährigen mit einigen Vorerkrankungen macht die vierte Impfung sicherlich Sinn, während ein fitter 69-Jähriger eventuell keine braucht. Aber da die angepassten Impfstoffe hoffentlich nächsten Monat kommen, kann man jetzt auch warten, wenn man die vierte Impfung bisher noch nicht gemacht hat. Denn wenn man sich jetzt zum vierten Mal mit den bisherigen Impfstoffen impfen lässt, sollte man mindestens drei bis sechs Monate warten bis zur nächsten Impfung.

Es wurde immer gesagt, man kann mRNA-Impfstoffe schnell anpassen. Das stimmt, aber dann schließen sich wieder klinische Studien an. Und diese Daten liegen jetzt bei den Zulassungsbehörden, und wir warten noch immer auf den Impfstoff. Es wird meiner Meinung nach überschätzt, was klinische Daten leisten können. Man kann aus diesen Daten nicht ablesen, wie gut die Person vor Infektion oder schwerer Erkrankung geschützt ist. Auch seltene Nebenwirkungen treten bei ein paar Hundert Geimpften nicht auf. Daher wäre die Überlegung für künftige Saisons, ob man bei diesen Anpassungen nicht etwas schneller reagiert, damit uns das Virus nicht ganz so schnell davonlaufen kann.

Wenn wir davon ausgehen, dass die Hälfte der Bevölkerung schon mal Kontakt mit dem Virus hatte, führt das natürlich zu einer gewissen Immunität. Im Umkehrschluss heißt das aber auch: Die andere Hälfte der Bevölkerung hatte noch keinen Kontakt zum Virus. Deshalb haben wir auch noch genug Potenzial im Herbst, dass sich viele Menschen anstecken können.

Ich werde mich nicht dazu hinreißen lassen zu sagen: Ab dann wird es ungefährlich. Ich glaube, es wird andersherum sein – dass wir vielleicht ganz gut durch Herbst und Winter kommen und die Experten dann retrospektiv sagen: Jetzt sind wir in der Endemie.

 

Von Laura Réthy, Funke-Mediengruppe

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