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Fakten, die unter Verschluss blieben

Ex-DDR-Grenzsoldat berichtet von seiner Dienstzeit auf dem Brocken

Für eine Lesung mit Signierstunde nimmt sich Autor Dietmar Schultke gerne für die Zuhörer Zeit. Auch sie berichten an diesem Abend über ihre DDR-Erfahrungen. Foto: Habel

Für eine Lesung mit Signierstunde nimmt sich Autor Dietmar Schultke gerne für die Zuhörer Zeit. Auch sie berichten an diesem Abend über ihre DDR-Erfahrungen. Foto: Habel

"Ich war auf dem Brocken, fror mir mit anderen den Arsch ab. Es war eine Todesgrenze.“ Der Buchautor Dietmar Schultke vermittelte ein Stück Zeitgeschichte bei seiner Lesung in Goslar und ließ das Publikum an seinen Erlebnissen teilhaben.

Von Ernst-Diedrich Habel Dienstag, 25.01.2022, 20:20 Uhr

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Goslar. „Bei mir war es so, ich wollte raus, nach New York.“ Der Autor Dietmar Schultke sitzt am Montagabend im Hotel „Alte Münze“, vor sich eigene Bücher. Sein wichtigstes Werk ist „Keiner kommt durch – die Geschichte der innerdeutschen Grenze und der Berliner Mauer“.

Der ehemalige DDR-Grenzsoldat erzählt von seiner Dienstzeit. Interessierte setzen sich dazu, lauschen. Schultke erinnert sich. „Ich hatte eine Brieffreundin in New York. Die bot mir an, sie zu besuchen. Reise und Flug würde sie übernehmen. Ich war Jugendlicher und voller Träume.“ So sei es gekommen, dass Schultke sich bereits als Kind mit der Grenze beschäftigte. Er sei sich sicher gewesen, „Ich komm hier raus.“

Mit der Brieffreundin habe er sich sogar in Ungarn getroffen. Über die US-Botschaft habe er fliehen wollen. Doch im Kalten Krieg hätten die US-Diplomaten Ärger vermeiden wollen. „So musste ich zurück.“ „Keine drei Monate später erfolgte die Einberufung. Ein Offizier fragte, ob ich zu den Grenztruppen wolle. Ich sagte halblaut ,ja‘. Das reichte.“ Nun nennt Schultke Fakten, die lange unter Verschluss waren. „Die DDR-Grenztruppen umfassten 50.000 Mann unter Waffen, etwa zwei Drittel davon waren Wehrpflichtige. An der Grenze herrschte ständig Personalknappheit.“

Der Autor lehnt sich zurück. „Die 18 Monate Wehrdienst dort waren das Schlimmste. Ich war auf dem Brocken, fror mir mit anderen den Arsch ab. Es war eine Todesgrenze.“ Mit Feldstechern hätten sie Richtung Braunlage geschaut. Dort stand die Skischanze und Winterspiele hätten stattgefunden. Innerhalb der Grenztruppen habe er niemandem trauen können. „Es gab ein strenges Spitzelsystem. Bereits vor der Einberufung wurde über jeden möglichen Soldaten ein Persönlichkeitsbild erstellt.“ Schultke zeigt ein Formblatt mit Angaben. Er habe „sieben Vertrauensstufen“ ermittelt, die für den Dienst an der Grenze maßgeblich waren.

Während einer Pause erzählen andere Besuchende ihre Erfahrungen mit und in der DDR. Nun lächelt der ehemalige „Grenzer“. Er sei zum Hundeführer ausgebildet worden. „Meinen Hund nannte ich Nena von Brockenblick. Sie war total verspielt und Liebling der Kompanie.“ Beim Beißtraining in Ilsenburg hätten sich die anderen Hunde auf den gepolsterten Beißarm des scheinbaren Flüchtlings gestürzt, nur Nena rannte um diesen herum und hätte ihn in den Po gezwickt. „Unter der Dusche sahen wir dann den Knutschfleck von Nena.“

Nun wird Schultke wieder ernst. „3000 Hunde waren bei den Grenztruppen. Es war furchtbar, wie die behandelt wurden.“ Die DDR sei wie ein „Einweckglas gewesen. „Sie hat mir zwölf Jahre Reisefreiheit geraubt. Dann ist Gott sei Dank die Mauer gefallen.“

Die Besucherinnen und Besucher danken Schultke, er signiert zum Abschied Bücher.

 

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