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VW testet autonomes Fahren

Den Werks-Lkw aus dem Homeoffice steuern

So könnte der Arbeitsplatz von Lkw-Fahrern in Zukunft aussehen. Auf dem VW-Werksgelände zeigt Logistiker Tobias Röhricht, wie ein Lkw-Fahrer auf einem speziellen Fahrsitz einen Truck auf dem Werksgelände aus dem Büro fernsteuern kann. Foto: Katja Beyrodt

So könnte der Arbeitsplatz von Lkw-Fahrern in Zukunft aussehen. Auf dem VW-Werksgelände zeigt Logistiker Tobias Röhricht, wie ein Lkw-Fahrer auf einem speziellen Fahrsitz einen Truck auf dem Werksgelände aus dem Büro fernsteuern kann. Foto: Katja Beyrodt

Sieht aus wie ein Computerspiel, ist es aber nicht: Die Fahrer lenken aus München per Livestream ferngesteuert einen Lastwagen im VW-Werk in Wolfsburg. Der Autohersteller macht damit einen Schritt in Richtung  des autonomen Lkw-Verkehrs.

Dienstag, 04.10.2022, 08:00 Uhr

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Wolfsburg. Es ist kein Film, keine Fantasie. Im Wolfsburger VW-Werk ist es seit diesem Sommer Wirklichkeit. „Lkw-Fahrer können aus dem Büro oder sogar von zu Hause aus ihren Truck steuern“, so beschreibt es Tobias Röhricht von der Wolfsburger VW-Werkslogistik. Ein ferngesteuerter Lkw, der sogenannte Fernwagen, rollt seit Mitte Juni fast wie von allein durch das Werk.

Ein Unterschied zu herkömmlichen Lkw ist direkt erkennbar: Die Fahrerkabine ist viel kleiner. Der Anhänger hingegen sieht aus wie von einem normalen Truck. Ziehen kann der Fernwagen genau so viel wie ein üblicher Brummi, der etwa 38 Tonnen bewegt. Die Besonderheit: Der Fernwagen wird gesteuert von einem Fahrer in einem Büro, in mehr als 500 Kilometern Entfernung. So transportiert der erste Fernwagen Leergut und Gelenkwellen-Behälter über das weitläufige VW-Gelände in Wolfsburg.

Wie gut die Testphase mit dem ferngesteuerten Truck bis Mitte Juli funktioniert hat, erklärt Logistiker Röhricht: „Die Kollegen haben zurückgemeldet, ihnen sei nicht einmal aufgefallen, dass da ein anderer Lkw vor ihnen steht.“ Der Fernwagen habe sich nahtlos und im wahrsten Sinne auch geräuschlos ins Tagesgeschäft der Werkslogistik eingefügt – der neue Truck ist mit einem Elektromotor ausgestattet.

Zehn Kameras sorgen für Rundum-Blick

Damit es funktioniert, dass Fahrerinnen und Fahrer in München einen Lkw in Wolfsburg steuern, braucht es einiges an Technik. Annika Fähnle ist Projektleiterin des Münchener Start-ups Fernride, das die Idee und das System für die Fernsteuerung entwickelt hat. Sie erklärt: „Am Lkw sind zehn Kameras installiert. Außerdem sind sechs Sim-Karten von drei verschiedenen Mobilfunkanbietern verbaut.“ Das sei notwendig, falls bei einem Anbieter das Netz einmal aussetzt. Die Liveaufnahmen der Kameras werden per Mobilfunk übertragen. Mit einer Verzögerung von weniger als der Dauer eines Wimpernschlags werden die Bilder auf einen großen Bildschirm gestreamt.

Die Kameras ermöglichen einen Rundum-Blick um das ganze Fahrzeug. Beim Vorwärtsfahren decken die Kameras ein 240 Grad weites Sichtfeld ab. Sicherheit wird im Betrieb der ferngesteuerten Trucks großgeschrieben. „Unsere Lkw-Fahrer sind speziell weitergebildet für ihre Arbeit als Teleoperatoren“, erläutert Annika Fähnle. Der Fernwagen in Wolfsburg fahre eine Höchstgeschwindigkeit von etwa 20 bis 25 Stundenkilometern. Reiße die Mobilfunkverbindung zwischen Teleoperator und Fernwagen im schlimmsten Fall einmal ganz ab, werde der Lkw automatisch kontrolliert zum Stehen gebracht. „Das ist aber bisher nicht passiert“, beruhigt Fähnle.

Die Fahrerkabine der Zukunft

Die Fahrer, also Teleoperatoren, sitzen während ihrer Arbeit in einem für diesen Zweck konstruierten Fahrstand, den Tobias Röhricht zeigt. Der Sitz und das Drumherum erinnern vom Aufbau durch den großen Bildschirm an ein Computerspiel: Vor dem Fahrer ist ein Lenkrad montiert, daneben ist ein Schaltknauf wie von einem Automatik-Fahrzeug. Dort, wo die Windschutzscheibe wäre, hängt der große Bildschirm.

„An die Teleoperatoren ist bei der Konstruktion sogar auch gedacht“, sagt Röhricht und schmunzelt: Ein Tassenhalter links neben dem Lenkrad trägt einen großen Becher. Blickt man von dort nach unten, entdeckt man die Fußpedale des Fahrstands. „Es sind dieselben Pedale, die man auch bei einem modernen Lkw findet“, sagt Röhricht.

Insgesamt elf Lkw sind im Wolfsburger VW-Werk tagtäglich im Einsatz auf dem Werksgelände, um Teile für die Produktion an die richtigen Stellen zu bringen. „Aus diesem Grund können wir den Fernwagen hier schon fahren, denn er ist ausschließlich auf dem Werksgelände im Einsatz“, erklärt Annika Fähnle.

Erst einmal nur auf Werksgelände

Auf die Straße darf der ferngesteuerte Truck bislang noch nicht. „Aber wenn der rechtliche Rahmen da ist, könnten wir den Fernwagen schon 2025 auf die Straßen bringen“, schätzt Mommertz. „Es ist ein Schritt in Richtung des autonomen Fahrens“, findet er.

Die Gründe für den Einsatz sind neben der CO2-Ersparnis durch den Elektroantrieb verschiedene: „Bislang müssen unsere Fahrer vor Ort durch das Be- und Entladen häufig warten“, sagt Mommertz. Wartezeit ist teuer und Fachkräfte, besonders auch Lkw-Fahrer, sind rar. „Die langen Phasen, in denen Lkw-Fahrer weit weg von zu Hause unterwegs sein müssen, machen den Job sowieso unbeliebt“, erklärt Werkslogistiker Röhricht. Hier könne die neue Technik künftig Abhilfe schaffen und sogar Teilzeitjobs möglich machen – allerdings vorerst nur in München. In Wolfsburg ist kein eigenes Teleoperatoren-Büro geplant, sagt Mommertz.

Weitere Standorte im Gespräch

Bislang sind es Diesel-Lkw, die über das Wolfsburger Werksgelände rollen. Das soll sich nun sukzessive ändern, verrät Röhricht. Im Oktober soll sich der zweite Fernwagen in die Wolfsburger Produktion einreihen. Und vielleicht fahren auch in anderen VW-Werken bald ferngesteuerte Lkw. „Der Test im Wolfsburger Werk läuft so gut, dass wir jetzt mit sieben Werken in Gesprächen sind, um den Fernwagen an weiteren Standorten einzuführen“, erklärt Christian Mommertz.

Von Katja Beyrodt, Funke-Mediengruppe

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