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Kunst über Burnout

Ausstellung in Rehaklinik: „Meine Finger denken nicht, sie machen“

Dr. Bernhard Koch, ärztlicher Direktor des Rehazentrums, spricht mit Künstlerin Birgitta über die Wirkung ihrer Modelle. Foto: Knoke

Dr. Bernhard Koch, ärztlicher Direktor des Rehazentrums, spricht mit Künstlerin Birgitta über die Wirkung ihrer Modelle. Foto: Knoke

Birgitta Below war vor zweieinhalb Jahren Patientin im Rehazentrum Oberharz. Schnell stellte sie fest, dass sie beim Modellieren ihre Gefühle auf einzigartige Weise ausdrücken kann. Nun stellt sie ihre Skulpturen in ihrer alten Rehaklinik aus.

Von Corinna Knoke Sonntag, 04.12.2022, 10:00 Uhr

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Clausthal-Zellerfeld. Die Gifhornerin Birgitta Below war vor zweieinhalb Jahren Patientin im Rehazentrum Oberharz. Schnell stellte sie fest, dass sie beim Modellieren ihre Gefühle auf einzigartige Weise ausdrücken kann. Um mit ihren Kunstwerken bei anderen Rehabilitanden etwas auszulösen, stellt sie aktuell ihre Skulpturen in ihrer alten Rehaklinik aus. Zur Vernissage nahm Below mit Mitarbeitern aus dem Rehazentrum einen Podcast zum Thema Burnout auf.

Das Publikum in der Klinik war live dabei, als die Künstlerin mit Marc Sander, dem ärztlichen Leiter der Psychosomatik, und Robin Hermann, Körpertherapeut sowie Kulturpädagoge, den Audio-Beitrag aufzeichnete. Der Podcast soll auf dem YouTube-Kanal des Rehazentrums veröffentlicht werden. Sander lieferte einen Überblick über das Burnout-Syndrom, das keine offizielle Krankheit ist. Um die Jahrtausendwende sei es viel mehr als „Modeerkrankung“ gesehen worden, berichtete er. Auch Therapeuten hätten gesagt, dass sich dahinter eine Depression verberge. Aber Burnout klinge einfach besser, so nach dem Motto: Man habe (zu) viel geleistet und sich die Depression verdient.

Das Burnout-Syndrom

Eine erste Erwähnung fand das Syndrom nach Sanders Ausführungen im Jahr 1974 bei Herbert Freudenberger. Der Psychologe habe damals bemerkt, dass etwas mit ihm nicht stimme. Er sei nach der Arbeit erschöpfter gewesen als sonst und hatte keinen Spaß mehr am Leben.

Die Symptome eines Burnouts sind laut dem ärztlichen Leiter der Psychosomatik vielfältiger. Seine Burnout-Gruppe hatte einige zusammengestellt: Sander sprach von psychischen Anzeichen wie innerer Unruhe, Schlafstörungen, Unzufriedenheit, aber auch von körperlichen wie Kopfschmerzen, Herzrasen und Schwierigkeiten mit der Verdauung. Weil Burnout etwa 130 Symptome habe, gebe es eine Schnittmenge mit anderen psychischen Erkrankungen, eine Diagnose sollte daher nicht voreilig gestellt werden. Viel wichtiger ist laut dem Experten die Frage, wie es so weit kommen konnte und was der Patient in Zukunft verändern kann.

Ein Burnout werde nicht allein durch vieles Arbeiten ausgelöst. Problematisch sei es, wenn die Wertschätzung für das Geleistete fehle sowie ein Ausgleich zu dem Stress. Marc Sander betonte, dass jeder Patient individuelle Strategien entwickeln müsse, um sich aus einer Sackgasse zu befreien. Der Leiter der Psychosomatik finde seinen Ausgleich beispielsweise bei einer ausgiebigen Sporteinheit oder einem Stück Schokolade, wie er beim Live-Podcast verriet. Birgitta Below gelingt das hingegen beim Modellieren mit Ton und Knete.

Das Publikum ist live dabei, wie Birgitta Below, Robin Hermann und Marc Sander (vorn von links) im Rehazentrum einen Podcast aufnehmen. Foto: Knoke

Das Publikum ist live dabei, wie Birgitta Below, Robin Hermann und Marc Sander (vorn von links) im Rehazentrum einen Podcast aufnehmen. Foto: Knoke

Sie schaffe es zudem, sich dadurch auf eine besondere Weise auszudrücken, wie es ihr mit Worten nicht gelingt, erzählte Below. Vor dem Formen ihrer Skulpturen habe sie meist eine Vision im Kopf, wie jene am Ende aussehen soll. Häufig komme dann aber ein anderes Ergebnis zustande. „Meine Finger denken nicht, sie machen einfach“, sagte die Künstlerin. Darum seien ihre Modelle am ehrlichsten. Sie zeigten ungeschönt, wenn es ihr nicht gut geht oder etwas doch noch nicht so klar ist, wie sie zu denken scheint.

In Belows Skulpturen, die den Titel „Wandelzeit“ tragen, spiegelt sich das Thema Aufbruch wider. Sie symbolisiert es beispielsweise durch einen kleinen Menschen, der aus einem Ei hervorkriecht oder aus einem Schneckenhaus krabbelt. Die Figuren seien meist etwas ängstlich, aber neugierig – auf das, was kommt. Diese Eigenschaften kann Below auf ihren eigenen Weg beziehen. Ein Ankommen will sie mit ihren Skulpturen aber nicht verbildlichen. Das klinge für sie so endgültig, sagte sie im Live-Podcast.

Figur im Schneckenhaus

Die Skulpturen, die den Flur im ersten Obergeschoss des Rehazentrums schmücken, sind laut dem ärztlichen Direktor Dr. Bernhard Koch nicht nur schön anzusehen. „Sie helfen uns bei unserer Arbeit. Sie liefern Denkanstöße“, meinte er. Darum hofft er, dass die Modelle so lange wie möglich dort bleiben können. Bis nach dem Jahreswechsel soll die Ausstellung definitiv gezeigt werden, vielleicht sogar bis Ostern. Das hänge davon ab, wie lange Birgitta Below ihre Skulpturen zu Verfügung stellen will. Denn die Modelle seien Unikate – entstanden aus einem aktuellen Gefühl heraus.

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