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Harz-Wissen: Die kleinsten Dörfer

Neuenkirchen ist das kleinste Dorf im ganzen Nordharz

Der neuen Kirche hat Neuenkirchen seinen Namen zu verdanken. Weithin sichtbar weist sie eine von mehreren Besonderheiten auf, mit der der Ort aufwarten kann: Der Kirchturm wurde mitten auf das Kirchdach gesetzt – angeblich als Symbol dafür, dass Neuenkirchen mitten in der Welt liegt. Fotos: Kühlewind

Der neuen Kirche hat Neuenkirchen seinen Namen zu verdanken. Weithin sichtbar weist sie eine von mehreren Besonderheiten auf, mit der der Ort aufwarten kann: Der Kirchturm wurde mitten auf das Kirchdach gesetzt – angeblich als Symbol dafür, dass Neuenkirchen mitten in der Welt liegt. Fotos: Kühlewind

Neuenkirchen. Neuenkirchen ist eine Besonderheit. Jedem Neuenkirchener ist das schon lange klar. Doch auch objektiv betrachtet stimmt es: Der Liebenburger Ort ist das kleinste aller kleinen Dörfer im Nordharz. Ganze 214 Einwohner zählte es zum Jahreswechsel – Lüderode eingerechnet. Neuenkirchen macht eben keine halbe Sachen: wenn schon klein, dann richtig.

Freitag, 17.04.2020, 18:51 Uhr

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Die Gründung des Dorfes ist wahrscheinlich auf das gute Trinkwasservorkommen im Unterdorf zurückzuführen, wo der Meseckenborn entspringt, glaubt der ehemalige Ortsheimatpfleger Klaus Stövesand. Seinen Namen hat der im Jahr 1131 erstmals urkundlich erwähnte Ort von der neuen Kirche. Die heutige Johanneskirche war ein Archidiakonatssitz – von dort aus wurden 18 Kirchen in der Umgebung betreut. Die Kirche war lange Zeit ein Gebäude, ohne Turm und ohne Chor. Das änderte sich am 12. Oktober 1856, als mitten aufs Dach der Kirchturm gesetzt wurde – wo gibt es so etwas sonst noch?

Der Blick von Westen fällt auf die Talstraße, die mit ihrer Bebauung im Norden den dörflichen Abschluss bildet.

Der Blick von Westen fällt auf die Talstraße, die mit ihrer Bebauung im Norden den dörflichen Abschluss bildet.

Stövesand kennt wohl jeden Stein im Ort. Und dennoch: Er kam erst 1973 nach Neuenkirchen. „Ich wurde immer belächelt, weil ich in ein so kleines Dorf gezogen bin“, erinnert er sich. Da sei doch nichts los. „Hier ist immer etwas los“, entgegnet Stövesand. Zur Dorfkultur gehört nicht nur das klassische Aufstellen des Maibaumes – ein Brauch, der auf besondere Weise mit dem Ort verbunden ist. „Wir haben hier den ersten Maibaum aufgestellt. Die anderen Orte haben es nachgemacht“, erinnert sich Hans-Hermann Krusekopf, der schon viele Ehrenämter ausübte und dabei besondere Flexibilität unter Beweis stellte. So war er bis 1976 Jugendpfleger, im Jahr drauf machte er als Altenpfleger weiter. „Den Neujahrsempfang habe ich hier eingerichtet, mit allen Vereinen, Verbänden und der Kirche“, berichtet der ehemalige Ortsvorsteher, den es 1961 hierher verschlagen hat. Er war auch Kirchenvorstand, Posaunenchorleiter und Schiedsmann. „Es wurde wegen jeder Kleinigkeit gerne gestritten“, meint er und ergänzt: „Die Hinzugezogenen sind mit den Neuenkirchenern angeeckt.“

Das kam sicher auf den Einzelfall an. Auch Ortsbürgermeister Bernd Quadt stammt nicht aus dem Ort. „Ich bin 1977 zugezogen, zu meinen Schwiegereltern. Mein Schweigervater hat mich gleich mit zur Feuerwehr genommen. Mein Vater war bei der Wehr und mein Sohn und mein Enkel sind es auch. Diese Gemeinschaft schweißt den Ort zusammen“, erklärt er. Kein Wunder: Mit etwa 100 Mitgliedern gehört fast jeder zweite Einwohner der Feuerwehr an.

Manfred Stottmeister ist der älteste Einwohner Neuenkirchens.

Manfred Stottmeister ist der älteste Einwohner Neuenkirchens.

Der Gemeinschaftsgedanke beschränkt sich aber nicht auf die Wehr. „Als wir ans Gasnetz angeschlossen wurden, haben wir anschließend ein großes Fest gefeiert“, weiß Krusekopf. „Und als wir die Trennkanalisation bekamen, auch wieder.“ Wann immer etwas Großes geleistet worden war, kamen die Bürger zusammen und feierten gemeinsam – also fast so wie in jenem kleinen Dorf, das in Gallien liegt.

Anlässe, sich zu treffen, gibt es viele: Regelmäßig lädt der Heimatkreis zu kulturellen Veranstaltungen ein, ebenso wie der Seniorenkreis, die Frauenhilfe und die Hobbyfußballer. Hinzu kommen Brauchtumsfeuer, Bürgerfrühstück, die Aktion „Sauberer Garten“, Konzerte und all die Aktivitäten in der Advents- und Weihnachtszeit. Und immer lässt sich trefflich plaudern und an frühere Zeiten erinnern. Als es im Ort noch den Konsum gab und eine Gaststätte. Und die Schmiede. „Die habe ich von meinem Schwiegervater übernommen“, berichtet Manfred Stottmeister – ein weiterer Zugereister. „Ich bin 1953 hierher gekommen, der Liebe wegen“, sagt er. Er habe nie daran gedacht, wieder wegzugehen. Was ihm an Neuenkirchen besonders gefalle? „Die Ruhe“, sagt er auf der Bank, wenige Meter neben der Ortsdurchfahrt. „Die Autos stören mich nicht.“ Und dann kommt, was kommen muss: „Und die Geselligkeit“.

Der 89-Jährige arbeitete auch als Kfz-Handwerker, beschlug Pferde, reparierte Dachrinnen und Mopeds. Und er betrieb die Tankstelle, an die sich viele aus dem Ort noch dunkel erinnern: „Das war ein größeres Fass.“

In diesem Fachwerkhaus unweit der Schladener Straße existierte bis zum Beginn der 80er Jahre die Gaststätte Wesche.

In diesem Fachwerkhaus unweit der Schladener Straße existierte bis zum Beginn der 80er Jahre die Gaststätte Wesche.

Ortsheimatpfleger Lutz Griesbach („Ich wohne seit 20 Jahren hier“), ist überzeugt davon, dass Neuenkirchen attraktiv bleibt. „Meine zwei Töchter und meine Frau sind pferdebegeistert. Sie wollten die Pferde direkt am Haus haben. Hier in Neuenkirchen ist das möglich.“ Viele Kinder kämen nach der Ausbildung zurück. Die fehlenden Einkaufsmöglichkeiten im Ort vermisse niemand, angesichts der Möglichkeiten in der Umgebung.

Neuenkirchen liegt mitten in der Welt, heißt es gern. „Man kann dort fallen, wie man will – man fällt immer in der Richtung auf ein Dorf: Nach Westen auf Liebenburg, nach Osten auf Schladen, nach Süden auf Döhren und nach Norden auf Gielde.“ Sie ist klein, diese Welt – wie gemacht für den kleinsten Ort.

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