150 Jahre Zuckerfabrik Schladen
<p>Ist im Herbst von allen Seiten von Schladen als Erstes zu sehen – erst recht, wenn durch dicke Wolken ein Sonnenstrahl auf sie fällt: die Zuckerfabrik.</p>
Schladen. Seit Wochen schnauft die Schladener Zuckerfabrik vor sich hin, gewinnen die Zuckerkocher aus den Rüben die Süße. Dabei dampften sie über Silvester in ein ganz besonderes Jahr hinein – ein Jubiläumsjahr. Denn seit nunmehr 150Jahren gibt es das Werk an der Oker, dessen Wurzeln ins Jahr 1870 zurückreichen. Verändert hat sich nicht nur in dieser langen Zeitspanne vieles, sondern alleine schon in den vergangenen fünf Jahrzehnten.
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{picture1s} Davon wissen alte Kempen der Zuckergewinnung genau zu erzählen, die es zusammen auf mehr als 200 Jahre in der Zuckerfabrik bringen. Volker Schudeleit arbeitet seit 42 Jahren im Werk, ebenso Uwe Liebelt. Dieter Lenders ist seit 40Jahren dabei, Klaus Ludwig seit 45 Jahren und Bernhard Kern seit 44 Jahren. Sie alle wissen noch, wie es „damals“ war.
„Frühes war es familiärer in der Fabrik“, erzählt Schudeleit. „Hier waren ja auch alle verwandt“, pflichtet im Liebelt bei. „Die meisten kamen ja auch nur hierher, weil hier schon Verwandte arbeiteten“, fügt Lenders an. „Alleine aus meiner Familie waren es neun Personen, die hier zeitgleich in der Zuckerfabrik gearbeitet haben“, ergänzt Schudeleit.
In Erinnerung bleibt aber auch, dass früher das Wetter offenbar ganz anders war. „Bis Weihnachten wollten wir durch sein mit der Kampagne – und hatten zum Teil schon mit harten Wintereinbrüchen zu kämpfen“, erinnert sich Schudeleit. „Heute hast Du ja fast Sommer in der Kampagne“, pflichtet ihm Ludwig bei. „Im Winter 1978/79 mussten wir Koksöfen unter die Leitungen stellen, damit das Schweröl darin, mit denen das Werk damals betrieben wurde, flüssig blieb“, weiß Lenders. Erst 1985 erfolgte die Umstellung der Zuckerfabrik auf Gas als Hauptenergieträger.
Schudeleits Erinnerungen an die Zuckerfabrik setzen aber schon zu einem Zeitpunkt ein, an dem er noch gar nicht im Werk arbeitete. Früher gab es nämlich eine Kartoffelquetsche in der Fabrik, aus der die Bauern Futter fürs Vieh mitnahmen. „Wir holten dann die noch heißen Kartoffeln von den Hängern runter, wenn die Landwirte aus’m Werk kamen – immer in der Hoffnung, das es der Bauer nicht mitkriegte“, erzählt der heute 62-Jährige. Nebenan gab es auch einen Schrottplatz, auf dem man als Kind gut spielen konnte. „Wer Schladener war, den hat es immer hierher gezogen“, gesteht er.
Die alten Zuckerkocher erzählen von Kleingärten für Werksangehörige, die es bis in die 1970er Jahre gab, und einstigen Schichtsystemen. „Früher gab es nur Tag- und Nachtschicht – jeweils zwölf Stunden. Und durchgearbeitet wurde bis Weihnachten. Bis zu 90 Tage am Stück und kein frei“, sagt Ludwig. Trompetenklänge kündigten an, wenn es für dieses Mal geschafft war: „Wenn die Kampagne endete, stellte sich oben im Siedesaal ein Werksangehöriger, der Trompete spielen konnte, mit seinem Instrument hin und entlockte ihm festliche Klänge. Dann wussten alle: Jetzt ist Weihnachten! In der Kantine gab es Stollen und wir haben gesungen“, erzählt Lenders. Heutzutage wird in der Kampagne übrigens in wechselnden Schichten sieben Tage am Stück gearbeitet, ehe zwei freie Tage warten.
Früher erfolgte auch die Anlieferung der Rüben über die Bahnhofstraße – Treckergespanne stauten sich manchmal bis zur Harzstraße zurück sowie in die andere Richtung bis Isingerode und behinderten den Verkehr. Auch Vergangenheit: Alle Laster kommen heute über die Umgehungsstraße ins Werk. Damals wurde in der Kampagne auch mehr Personal benötigt – mehr als 200Kräfte arbeiteten in Schladen. Die verarbeiteten vor rund 40 Jahren etwa 98 Tonnen Rüben pro Stunde. Heute sind es etwa 140Mitarbeiter in der Kampagne, aber die von den Beschäftigten verarbeitete Rübenmenge ist heutzutage fast fünfmal so groß. Dafür gibt es allerdings auch viel weniger Zuckerfabriken – nicht mehr auf fast jedem Dorf eine so wie früher. Und die Entfernung, aus der die Rüben nach Schladen kommen, vergrößerte sich.
„Es hat Spaß gemacht, sonst wären wir ja nicht hier“, erzählt Lenders mit Stolz in der Stimme. Und Spaß machte auch das Fußballspielen in der Betriebssportgemeinschaft, mit der die Schladener von Sieg zu Sieg eilten. „Ich wurde angesprochen und ging dann auch zum Training – kaum bin ich auf’m Platz, da brüllt mich gleich einer an: ,Was will der Scheiß-Hornburger hier?‘“, erzählt Liebelt. „Scheiß-Fabian“, habe er zurückgezischt – die alte Rivalität zwischen Schladen und Hornburg, manchmal war sie also auch im Werk zu spüren. „Aber es hieß auch: Wenn Ihr in Schladen beim SV Fußball spielt, dann kriegt Ihr auch einen Arbeitsplatz in der Zuckerfabrik“, erinnert sich Lenders.
Ihn habe man schon vor vier Jahrzehnten gefragt, was er denn im Werk wolle, das würde doch schließen, erzählt Lenders. „Und jetzt sitze wir hier und haben graue Haare“, sagt er lachend. Trotzdem: In heutiger Zeit bestimmen Sorgen das Leben der Zuckerkocher – Ärger über ungleiche Bedingungen für Rübenanbauer in der EU, ein gesunkener Zuckerpreis. Aber Schudeleit ist Optimist, denn in Schladen sind sie stolz auf das, was sie erzeugen: „Gute Qualität setzt sich durch“, sagte er bestimmt. Und was all die Jahre geblieben ist, das ist die Sorge der Schladener um ihr Werk: Ist einmal in der Kampagne nicht die Dampfsäule zu sehen, dann klingelt das Telefon: „Was habt Ihr mit unserer Fabrik gemacht?“, berichtet Liebelt von der Frage aller Fragen. Dr. Jörg Vietmeier, Schladens aktueller Werkleiter, pflichtet ihm bei: „Das ist auch heute noch so.“
Zurück ins Jahr 1870 reichen die geschichtlichen Wurzeln des Werkes in Schladen. Es zählte damit zu den ersten Zuckerfabrik-Gründungen im zuckerhistorisch traditionsreichen Braunschweiger Land, heißt es in einer Kurzinfo der Nordzucker AG über ihren Schladener Standort. Umfassende Modernisierungsarbeiten in den vergangenen Jahren hätten dabei zu deutlich mehr Leistungsfähigkeit und Effizienz geführt. In der aktuell laufenden Kampagne verarbeiteten die Schladener Zuckerkocher bis zu 10.500 Tonnen Rüben binnen 24 Stunden.