Prozess gegen Eltern aus Goslar: Urteil fällt diese Woche

Die Zweifel an den Vorwürfen, die ihnen zur Last gelegt werden, wachsen: Die angeklagten Eltern (links) am Dienstag im Landgericht Braunschweig mit ihren Anwälten. Foto: Klengel
Im Missbrauchsverfahren gegen zwei Eltern aus Goslar, die im vorigen Jahr in einem ersten Prozess zu Gefängnisstrafen verurteilt wurden, zeichnet sich nun ein Freispruch ab. Das Urteil wird für diese Woche erwartet.
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Braunschweig. Die Zweifel an der Verurteilung von zwei Eltern aus Goslar wachsen mit jedem Prozesstag. So demontierte ein Gutachter am siebten Prozesstag am Dienstag die Glaubwürdigkeit der Aussagen, mit denen das 26-jährige angebliche Opfer zahlreicher Vergewaltigungen ihre Mutter, ihren Stiefvater, ihre Lebensgefährtin und weitere Menschen belastete.
Der Gutachter sprach von einer Mischung von Scheinerinnerungen und manipulativem Verhalten. Es fiel sogar der Begriff Pseudologia phantastica, also Lügensucht. Besonders bitter ist, dass es der 26-Jährigen offenbar gelang, mit ihren schweren Vorwürfen mehrere Menschen ins Gefängnis zu bringen, an deren angeblicher Schuld heute massive Zweifel bestehen.
Freispruch erwartet
Die ehemalige Lebensgefährtin Miriam A. sitzt bereits seit mehr zwei Jahren im Gefängnis. Auch das Verfahren gegen die 54-jährige Mutter und den 58-jährigen Stiefvater aus dem vorigen Jahr endete mit langen Haftstrafen. Das Urteil der 9. Strafkammer wurde vom Bundesgerichtshof aufgehoben, aktuell verhandelt die 1. Strafkammer den Fall ein zweites Mal. Derzeit sieht alles nach einem Freispruch für die Eltern aus.
Seit mehreren Prozesstagen geht es schon nicht mehr um die 19 Tatvorwürfe gegen das Goslarer Ehepaar. Vielmehr bildet die Glaubwürdigkeit des mutmaßlichen Opfers den Dreh- und Angelpunkt dieses neuen Verfahrens. Dabei hatte der Gutachter, der am Dienstag aussagte, die Schilderungen der 26-jährigen Tochter im vorigen Jahr als absolut erlebnisbasiert eingestuft. Nun revidierte der Diplom-Psychologe seine Einschätzung. Verteidiger Volker Wulf kritisierte den Sachverständigen mit heftigen Worten. Wegen seiner Fehleinschätzung hätten die Angeklagten einen Gefängnisaufenthalt hinter sich. Der Gutachter räumte ein, ihm sei die Aussage der 26-Jährigen bereits im ersten Prozess zu perfekt erschienen, doch habe er diesen Gedanken verdrängt – ein Fehler, bekannte er.
Wenn Experten irren
Der Psychologe stand allerdings mit seiner fehlerhaften Ersteinschätzung keineswegs allein da. Auch der langjährige Therapeut der 26-Jährigen aus Liebenburg glaubte ihr. Am Dienstag kam außerdem eine Psychiaterin aus Braunschweig zu Wort, die nach wie vor keinerlei Zweifel an den Worten der 26-Jährigen aufkommen ließ. Dabei hielt die Vorsitzende Richterin ihr vor, welch hanebüchene Anschuldigungen ihre Patientin noch immer verbreite. Einige ihrer Aussagen seien bereits als Lüge entlarvt worden.
Eine neue Geschichte
Ein Braunschweiger Kripobeamter berichtete am Dienstag, dass er in einem weiteren Fall ermittle, in dem die 26-Jährige Opfer sein soll. Als Täterin wird die neue Lebensgefährtin der Frau dargestellt.
Die von der 26-Jährigen vorgebrachten Tatvorwürfe in dieser Angelegenheit gleichen exakt den angeblichen Taten der Mutter und denen der verurteilten ehemaligen Lebensgefährtin Miriam A. aus Salzgitter. Wieder wurden offenbar gestellte Fotos vorgelegt, die angebliche Übergriffe zeigen. Die neue Lebensgefährtin berichtete dem Polizisten, sie habe für ein Fake-Foto eine Perücke tragen müssen. Sie habe aussehen sollen wie die Rechtsanwältin, die die 26-Jährige durch die ersten beiden Gerichtsverfahren begleitete. Die legte zwischenzeitlich das Mandat nieder. Die 26-Jährige habe mit den Fotos beweisen wollen, dass sie nun auch noch von ihrer Anwältin und deren Mann vergewaltigt werde. Diese Behauptung wurde indes von niemandem ernst genommen.
„Das manipulative Geschick der 26-Jährigen hat eine so unglaubliche Ausweitung erfahren, dass selbst ein erfahrener Richter seinem altgedienten Ermittler nicht mehr traute“, stellte der Psychologe fest, wobei er sich auf den ersten Prozess in dieser Sache bezog, in dem Prozessbeteiligte dem Goslarer Kripobeamten keinen Glauben schenkten.
Ermittler rehabilitiert
Zu der Zeit hatte die 26-Jährige außer dem Goslarer Kriminalhauptkommissar alle im Griff. Kaum jemand zweifelte an dem angeblichen Opfer. Der Ermittler wurde nun rehabilitiert.
Das Motiv der 26-Jährigen erklärte der psychologische Sachverständige zum einen mit der Möglichkeit des Münchhausen-Syndroms, wonach es sich bei ihr um eine pathologische Lügnerin handeln könnte. Zum anderen könnte eine krankhafte Sucht nach Zuwendung hinter ihren Aussagen stecken. Wenn sie von schrecklichen Übergriffen erzählte, habe man sie bedauert und ihr Zuwendung geschenkt. „Irgendwann konnte sie gar nicht mehr anders, als sich immer neue Vorwürfe auszudenken.“
Am Donnerstag werden die Plädoyers unter Ausschluss der Öffentlichkeit gehalten. Das Urteil soll ebenfalls am Donnerstag fallen.