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Apelle nicht genug

Verlage: Kritik an der Medienpolitik Niedersachsens

"Aus Sicht der privaten kommerziellen Medien sind die Positionen der Parteien eine Riesenenttäuschung", sagt VNZN-Geschäftsführer Stefan Borrmann. Foto: pa/dpa

"Aus Sicht der privaten kommerziellen Medien sind die Positionen der Parteien eine Riesenenttäuschung", sagt VNZN-Geschäftsführer Stefan Borrmann. Foto: pa/dpa

Der Verbandsvorsitzende des VNZV, Jochen Anderweit, betont: „Es braucht eine zeitlich beschränkte, nennenswerte Förderung der Medienhäuser, um die digitale Transformation auch in Zeiten massiver Kostensteigerungen fortsetzen zu können."

Freitag, 16.09.2022, 07:30 Uhr

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Der Verband Nordwestdeutscher Zeitungsverlage und Digitalpublisher e.V. (VNZV) hat im Vorfeld der Landtagswahl am 9. Oktober massive Kritik an der Medienpolitik in Niedersachsen geübt.

„Die Medienpolitiker in Niedersachsen verkennen nach wie vor die schwierige Situation der hiesigen Zeitungsbranche. Allein mit der Aufforderung an den Bund, die Branche zu unterstützen, wird man die vielfältige Presselandschaft hierzulande nicht erhalten können“, erklärte der VNZV-Vorsitzende Jochen Anderweit nach Gesprächen des Verbandes mit den medienpolitischen Sprechern von SPD, CDU, FDP und Bündnis 90/Die Grünen in den vergangenen Wochen.

Bürgerfunk

Bereits vor einigen Wochen hatte der Verband mangelndes Problembewusstsein in der Landespolitik beklagt. „Aus Sicht der privaten kommerziellen Medien sind die Positionen der Parteien eine Riesenenttäuschung“, so Verbandsgeschäftsführer Stefan Borrmann. SPD und Grüne stützten sich in ihren Wahlprogrammen stark auf „Bürgermedien“ wie etwa Lokalradios, und dies trotz deren geringer Reichweites, so der Verband. Der Bürgerfunk könne insbesondere auf lokaler Ebene Nischen abdecken und die spezifischen Themen vor Ort in besonderer Art und Weise aufgreifen, wird die SPD-Medienpolitikerin Claudia Schüßler zitiert. Die Grünen wollten ein „Sonderprogramm“ für Netzwerkplattformen und Rechercheverbünde auflegen. Kriterien würden aber nicht genannt. Die CDU wolle zwar „Medienvielfalt“, verweise aber einerseits auf ergänzenden „Bürgerfunk“ sowie ein „Indexmodell“ zur Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Die FDP lobe zwar Lokalzeitungen, lehne aber eine „zweite öffentliche Struktur“ ab.

Digitalisierung

Der Verband kritisiert außerdem schlechte Rahmenbedingungen für die Digitalisierung. Schnelles Internet insbesondere in den ländlichen Regionen fehle, in denen auch die Zeitungszustellung wirtschaftlich unrentabel sei. Mehr als 75 Prozent der Leser wollten die Zeitung zudem immer noch gedruckt lesen. Die Expansion des öffentlich-rechtlichen Rundfunks sowie das Ausbreiten kommunaler Informationsportale seien als Problem offenbar ebenfalls nicht erkannt. „Diese Medienangebote überschreiten in vielen Fällen die Grenzen der gesetzlich erlaubten Berichterstattung. Die Politik hat es bislang versäumt, den beitrags- bzw. steuerfinanzierten Angeboten klare Grenzen zu setzen, was zum Schutz der privaten kommerziellen Medien jedoch unerlässlich ist“, so Anderweit.

Kontrollfunktion

CDU-Generalsekretär Sebastian Lechner hatte unserer Zeitung zu der Debatte erklärt, die regionalen und lokalen Tageszeitungen seien für die hochwertige Berichterstattung und mit ihrer Kontrollfunktion vor Ort von überragender Bedeutung. Lechner versprach „aktive Begleitung im Zuge des Transformationsprozesses bei der Digitalisierung der Medienlandschaft“ und verwies auf Fördermöglichkeiten bei der Aus- und Fortbildung laut Landesmediengesetz.

„Wir sind gerne und jederzeit zu Gesprächen darüber bereit, wie Fairness (im Wettbewerb, die Red.) gewährleistet werden und wie das Land an dieser Stelle unterstützen kann“, erklärte die SPD-Abgeordnete Schüßler. Sie verwies auf Anfrage auf den Koalitionsvertrag der Berliner „Ampel“, eine Bundesratsinitiative sowie die kommende Wahlperiode. Das Thema Pressevielfalt werde in dieser ein Schwerpunkt sein.

Christian Meyer, medienpolitischer Sprecher der Grünen-Landtagsfraktion, betonte: „Wir Grüne stehen für eine starke, freie und vielfältige Medienlandschaft in Niedersachsen.“ Es seien die Grünen gewesen, die in der Corona-Krise Rettungspakete für Verlage und Medienhäuser gefordert hätten, um etwa die wegbrechenden Veranstaltungsanzeigen und Werbeeinnahmen auszugleichen. Auch die FDP bekannte sich zu Vielfalt. „Hierzu gehören für uns neben dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk auch die vielen lokalen und landesweiten kommerziellen Medien. Einen einseitigen Fokus auf staatlich geförderten Journalismus lehnen wir daher ab“, so Partei- und Fraktionschef Stefan Birkner, Mitglied im Landtags-Unterausschuss Medien. Statt einer Indexierung sei man für eine Absenkung des Rundfunkbeitrages. Einer Zustellförderung stehe man offen gegenüber. Damit die mediale Struktur in Niedersachsen in ihrer Vielfalt erhalten bleibt, setze sich die Landes-FDP gemeinsam mit den Kolleginnen und Kollegen im Bund für eine schnellstmögliche Umsetzung einer solchen Förderung durch die Ampelregierung ein.

Medienlandschaft

Stefan Marzischewski-Drewes, Spitzenkandidat der AfD in Niedersachsen, erklärte: „Eine lebendige Demokratie braucht eine vielfältige Medienlandschaft, in der sich alle relevanten Gruppen der Gesellschaft wiederfinden.“ Derzeit befinde sich der Medienmarkt im Wandel, besonders die traditionellen Zeitungen verlieren teilweise dramatisch an Lesern und Anzeigenkunden. „Dieser Herausforderung müssen sich die Verlage stellen. Es liegt an ihnen, Produkte anzubieten, die es den Lesern wert sind, dafür zu zahlen“, sagte der AfD-Politiker. Aber es seien auch die öffentlich-rechtlichen Medien, die den privaten Mitbewerbern die Luft zum Atmen nähmen. Die AfD setze sich für einen kräftig abgespeckten „Grundfunk“ ein. Statt der Zwangsgebühren finanziere sich die öffentlich-rechtlichen Medien durch eine Abgabe, die Tech-Giganten und Video-Streaming-Dienste wie Amazon oder Netflix zu leisten haben.

Transformation

Der Verbandsvorsitzende Anderweit betont: „Es braucht eine zeitlich beschränkte, nennenswerte Förderung der Medienhäuser, um die digitale Transformation auch in Zeiten massiver Kostensteigerungen fortsetzen zu können. Andernfalls wird es auch in Niedersachsen mehr und mehr weiße Flecken geben, wo es keine gedruckten Tageszeitungen mehr gibt.“„Die Bundesratsinitiative Niedersachsens, unter Hinweis auf den Koalitionsvertrag zügige Gespräche über Förderungen im Bund zu fordern, wird ausdrücklich begrüßt“, erklärte Anderweit aber auch. Jedoch sei wegen der massiven Kostensteigerungen für Zustellung, Papier und Energie Eile geboten. Andernfalls werde es zukünftig immer weniger guten Qualitätsjournalismus im Lokalen geben, der von den Politikern selbst als wesentlicher Faktor einer funktionierenden Demokratie angesehen werde. Der VNZV vertritt zwei Digitalpublisher sowie 40 Zeitungsverlage, die täglich 45 verschiedene Zeitungstitel (Hauptausgaben) mit einer verkauften Auflage (Print + E-Paper) von 965.832 Exemplaren plus ihre digitalen Ausgaben herausgeben.

Von Michael Ahlers

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