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Unfallquote wohl nicht in Gefahr

Unfälle bei der Salzgitter AG häufen sich – Vorstand will handeln

Offenbar ist die ideale Null-Quote bei Unfällen für den Stahlkonzern aber noch weit entfernt. Vor Unfällen sei man nie völlig gefeit, hieß es. Foto: Funke Foto Services

Offenbar ist die ideale Null-Quote bei Unfällen für den Stahlkonzern aber noch weit entfernt. Vor Unfällen sei man nie völlig gefeit, hieß es. Foto: Funke Foto Services

Manche Tätigkeiten sind in dem großen Sthalkonzern nicht ganz ungefährlich. Immer wieder kommt es zu Verletzungen oder sogar tödlichen Unfällen. Arbeitssicherheit wird als Tagesordnungspunkt „Top 0“ auf jeder Sitzung der Konzerngeschäftsleitung behandelt.

Mittwoch, 16.08.2023, 19:00 Uhr

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Salzgitter. Der Vorstandschef der Salzgitter AG legt großen Wert auf das Thema Arbeitssicherheit. Seit Gunnar Groeblers Amtsantritt im Juli 2021 werden Unfallstatisken und Zielsetzungen explizit ausgewiesen, wenn der Stahlkonzern seine Jahreszahlen oder strategischen Weichenstellungen vorstellt. Eine davon lautet etwa: „Bis zum Jahr 2025 streben wir eine Reduzierung des Unfallgeschehens um 35 Prozent gegenüber dem Jahr 2021 an.“ In der Konzernstrategie „Salzgitter AG 2030“ stehen Ziele beim Unfallgeschehen gleich neben jenen für Gewinnmarge oder CO2-Reduktion. Dem Familienvater Groebler soll es extrem wichtig sein, dass die Mitarbeitenden gesund und heil nach einem Arbeitstag nach Hause kommen. Die konzernweite Maßgabe der Sicherheitspolitik lautet „null Unfälle“.

Verpuffung am Hochofen

Macht das laufende Jahr 2023 den Ambitionen des Stahlherstellers im Bereich Arbeitssicherheit nun einen Strich durch die Rechnung? Die Salzgitter AG verzeichnet bis dato 12 Verletzte und sogar einen Todesfall. Im März verbrühten sich drei Mitarbeitende bei der Flachstahl in Salzgitter, als sie Druckbehälter prüften. Zwei von ihnen wurden nur leicht verletzt, der dritte musste in einer Spezialklinik behandelt werden.

Gleich neun Beschäftigte verletzten sich nach Angaben des Unternehmens nun Ende Juli bei einer Verpuffung am Hochofen C in Salzgitter. Sechs wurden dabei leicht verletzt, drei wurden in umliegende Kliniken gebracht, jedoch sehr zeitnah wieder entlassen. Nähere Angaben machte das Unternehmen zum Unfallhergang nicht. Bei einer Verpuffung kann zum Beispiel aber Eisen durch den entstehenden Druck durch die Luft fliegen und Mitarbeitende treffen.

Tödlicher Unfall

Mitte Juli musste der Konzern einen tödlichen Unfall beklagen. Auf dem Werksgelände der Salzgitter-Tochter Mannesmann Line Pipe im nordrhein-westfälischen Siegen verstarb ein 19-Jähriger. Der junge Mann war laut Unternehmen Mitarbeiter einer Fremdfirma und verunfallte auf dem Außengelände des Röhrenherstellers. Wie die „Siegener Zeitung“ berichtete, wurde er bei Rangierarbeiten von einem Traktor erfasst und erlag noch am gleichen Tag seinen Verletzungen. Weil er zu einer Fremdfirma gehörte, wird er in der Statistik der Salzgitter AG aber nicht auftauchen.

Gunnar Groebler übernimmt am 1.7.2021 den Vorsitz des Vorstands der Salzgitter AG. Foto: Funke Foto Services

Gunnar Groebler übernimmt am 1.7.2021 den Vorsitz des Vorstands der Salzgitter AG. Foto: Funke Foto Services

Grundsätzlich geht die Zahl der Unfälle bei der Salzgitter AG zurück. 2021 lag die Betriebsunfall-Personenquote im Konzern bei 12,8. Hierfür werden Unfälle ab dem ersten Ausfalltag innerhalb der Stammbelegschaft und der Auszubildenden je 1000 Mitarbeitende gezählt. Leiharbeitnehmende oder Mitarbeitende von Fremdfirmen werden hierbei nicht mitgezählt. 2022 verbesserte sich die Quote auf 10,0. Allerdings musste der Konzern auch im vergangenen Jahr einen Sterbefall verzeichnen, wie er in der Jahrespressekonferenz im März erklärte.

So verunfallte ein Mitarbeiter einer anderen Firma bei der Salzgitter-Tochter Ilsenburger Grobblech tödlich. Im Geschäftsbericht taucht dieser Todesfall nicht auf, weil hier nur das Unfallgeschehen innerhalb der Stammbelegschaft ausgewertet wird. Leih- und sogenannte Fremdfirmenmitarbeitende zählen nicht hinein. Die Zahlen würden nach gesetzlichen und berufsgenossenschaftlichen Grundsätzen erhoben, heißt es im Geschäftsbericht.

Bei seiner Zielsetzung „35 Prozent weniger Unfälle bis 2025“ bezieht sich der Konzern auf die Kennzahl LTIF (Lost Time Injury Frequency Rate), bei der Betriebsunfälle je eine Million Arbeitsstunden ab dem ersten Ausfalltag sowie tödliche Betriebsunfälle gezählt werden. Diese Unfallhäufigkeitsrate ist die weltweite genutzte Kennzahl zur Erhebung von Unfallgeschehen. Die Quote lag 2021 bei 9,5, im Jahr 2022 bei 6,8. In zwei Jahren, 2025, soll sie laut Konzern bei 6,2 liegen, 2030 bei 4,6.

Thyssenkrupp als Wettbewerber

Zum Vergleich: Wettbewerber Thyssenkrupp, Deutschlands größter Stahlhersteller, erreichte im Geschäftsjahr 2021/2022 bereits eine Quote von 2,3. Auch hier zählt allein die Stammbelegschaft des Konzerns. Eine Unfallquote von 4,6 erreichte der Duisburger Hersteller bereits im Geschäftsjahr 2014/15.

In Salzgitter erklärte ein Sprecher mit Blick auf die vorläufige Unfall-Bilanz in diesem Jahr, jeder Unfall sei einer zu viel. Jedoch: „In Summe, bei der Anzahl der Mitarbeitenden, ist das immer noch ein geringer Wert.“ Nichtsdestotrotz werde selbstverständlich jeder Unfall und jeder Beinah-Unfall analysiert. Auch Behörden ermittelten zu Unfallhergängen. Gegen Privatpersonen seien derzeit im Zusammenhang mit Betriebsunfällen keine Gerichtsverfahren anhängig.

Wie die „Waz“ aus Essen berichtete, stellte die Staatsanwaltschaft Duisburg im Februar dieses Jahres sieben Ermittlungsverfahren gegen Verantwortliche der Firma Salzgitter Mannesmann Grobblech in Mühlheim ein. Sie standen im Verdacht der fahrlässigen Tötung.

So starb im Dezember 2020 ein 24-jähriger Mannesmann-Mitarbeiter im Rohrbiegewerk, weil er in eine Anlage hineingezogen wurde und sich nicht befreien konnte. Er starb letztlich an Organversagen. Der junge Mann war demnach alkoholisiert, hatte Cannabis geraucht und trug keine vorschriftsgemäße Arbeitskleidung, sondern einen Kapuzenpullover mit Kordeln. Der Arbeitsschutz-Verantwortliche wurde zu einer Geldbuße von 10.000 Euro verurteilt. Seine individuelle Schuld habe aber nicht für eine Verfahrenseröffnung gereicht. Es habe kaum Möglichkeiten gegeben, den Arbeitsplatz zusätzlich abzusichern, urteilte die zuständige Staatsanwältin laut Bericht.

Neue Zielvorgaben

Die Salzgitter AG hat die Absenkung der Unfallzahlen auch in ihren Zielvorgaben für das Top-Management verankert. Eigenen Angaben zufolge wird das Thema Arbeitssicherheit zudem als Tagesordnungspunkt „Top 0“ auf jeder Sitzung der Konzerngeschäftsleitung behandelt. Vorstand und Geschäftsbereichsleiter erörterten hier relevante Sicherheitskennzahlen und Vorkommnisse aus dem Konzern und den Gesellschaften sowie entsprechende Verbesserungsmaßnahmen. 

Außerdem versuche das Unternehmen durch zahlreiche Maßnahmen Mitarbeitende zu sensibilisieren und zu schulen, erklärte ein Sprecher. Im Frühjahr 2022 und 2023 veranstaltete die Flachstahl in Salzgitter zum Beispiel für mehr als 3000 Beschäftigte die „Praxistage Arbeits- und Gesundheitsschutz“.

Offenbar ist die ideale Null-Quote bei Unfällen für den Stahlkonzern aber noch weit entfernt. Vor Unfällen sei man nie völlig gefeit, hieß es.

Von Hannah Schmitz, Funke-Mediengruppe

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