Ukraine-Krieg überschattet Reden zum 1. Mai

Mehr Besucher als vom DGB im Vorfeld erhofft finden den Weg zur Maikundgebung auf den Seesener Jacobson-Platz. Fotos: Gereke
Nach mehreren Jahren Pause lud der DGB wieder zu einer Maikundgebung nach Seesen ein. Die Resonanz auf die Veranstaltung war größer als von den Organisatoren erhofft – bestimmende Themen neben Löhnen und Inflation war auch der Krieg in der Ukraine.
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Seesen. Gewerkschaftssekretärin Marlene Seyfried hatte im Vorfeld zu klären versucht, wie viele Jahre es keine Maikundgebung in der Sehusa-Stadt gab. „Die Erinnerungen schwankten zwischen der Jahrtausendwende und 2012 – es ist also mindestens zehn Jahre her“, stellte sie in ihrer Begrüßung fest, ehe sie Seesens Bürgermeister Erik Homann das Mikrofon übergab. „Ich hatte gedacht, dass diese Zeiten längst überwunden gewesen wären, in der ein zivilisierter Staat einen anderen überfällt, um seine Macht auszubauen, so Homann. Mehr als 130 Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine hätten inzwischen in der Stadt Seesen Zuflucht gefunden. „Wenn diese neue Krise eines zeigt, dann dass wir nicht egoistisch, sondern solidarisch geworden sind. Darüber können wir uns in diesen düsteren Zeiten freuen“, erklärte der Bürgermeister.
Homann konstatierte, dass Berufe in Gesundheits- und Sozialwesen immer unattraktiver würden. Er forderte, dass Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite an einem Strang ziehen müssten, um gemeinsam Lösungen zu finden. Er unterstützte dabei die Verdi-Forderung, die Ausbildung von Erziehern auch finanziell zu vergüten. Mit Sorgen blickte er auch auf den größten Arbeitgeber der Stadt – das Krankenhaus: Personal dürfe nicht nur als Kostenfaktor gesehen werden.

Mairedner bei der Kundgebung in Seesen ist Sebastian Wertmüller.
Auch Mairedner Sebastian Wertmüller, Geschäftsführer des Verdi-Bezirks Region Süd-Ost-Niedersachsen, ging auf die Ukraine-Krise ein. Die Gewerkschaften würden alles unterstützen, was Frieden brächte. Aber er betonte auch: Ein Krieg koste immer und verschwende Ressourcen, die woanders deutlich besser einzusetzen wären. Mit Befremden stellte er in diesem Zusammenhang fest, wie schnell das Sondervermögen von 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr vom Bundestag auf den Weg gebracht wurde, im Vergleich zum „erbärmlichen Geschacher“ rund um die Corona-Zulage für Beschäftigte, deren Volumen nur ein Bruchteil des Sondervermögens ausmachte.

Das Blasorchester des MTV Bornhausen sorgt für musikalische Akzente auf dem Seesener Jacobson-Platz.
Mit Blick auf die Bezahlung lobte Wertmüller die mutigen Seesener Beschäftigten des Krankenhauses und ihr Kampf mit einem „milliardenschweren Gesundheitskonzern“, die sich für einen vernünftigen Tarifvertrag einsetzten und dafür streikten. Wertmüller erzählte von den Beschäftigen des Gifhorner Helios-Klinikums, die 15 Prozent mehr Lohn forderten, das Angebot der Arbeitgeberseite liege aber bei 4,5Prozent. „Bei 8 Prozent Inflation und einem Preis von Diesel auf Apotheken-Niveau frage ich mich: Wer tickt hier nicht ganz sauber? Es ist absolut zulässig Tarifforderungen zu stellen, die einen Lohn ermöglichen, den man zum Leben braucht.“
Die Arbeitgeberseite fordere hingegen Zurückhaltung, um die Inflation nicht noch weiter zu befeuern. „Aber habt ihr euch bei der täglichen Arbeit zurückgehalten? Habt ihr die Inflation verursacht? Ich kann mich an keine Forderung erinnern, dass sich Unternehmen bei ihren Gewinnen zurückhalten sollen“, so Wertmüller. Er forderte, dass alle herangezogen werden müssten, um die Krise zu meistern – von Krisengewinnern bis zu Millionären.
Außerdem forderte er von der Politik mehr Schutz für die Interessenvertretungen der Arbeitnehmer in den Betrieben und dafür zu sorgen, dass Unternehmen die Tarifbindung nicht unterlaufen. Öffentliche Aufträge sollten beispielsweise nur an Betriebe gehen, die die Tarifbindung und Mitbestimmung wahren.
Weiterer Redner war Marcus Golis, stellvertretender Betriebsrat bei Eviosys, der auf die Geschichte des Maifeiertags einging. Er hielt die Bedeutung des Tages für hochaktuell angesichts des Krieges in der Ukraine und der Tatsache, dass manche Zeitgenossen behaupten würden, hier in einer Diktatur leben zu würden.