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Domkantor der ev. Landeskirche

Leihmutterschaft: Gericht schmettert fristlose Kündigung ab

Gerd-Peter Münden (li.) und sein Mann Esteban Builes-Münden stehen vor dem Braunschweiger Dom. Foto: Ole Spata / dpa

Gerd-Peter Münden (li.) und sein Mann Esteban Builes-Münden stehen vor dem Braunschweiger Dom. Foto: Ole Spata / dpa

Domkantor Gerd-Peter Münden siegt vor dem Arbeitsgericht: Überlegungen zu Leihmutterschaft sind kein Kündigungsgrund. Er war zuvor fristlos entlassen worden, weil er mit seinem Ehemann eine Leihmutterschaft in Kolumbien beauftragen wollte.

Freitag, 16.09.2022, 17:00 Uhr

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Zwar flossen bei Gerd-Peter Münden nach dem Urteil des Braunschweiger Arbeitsgerichts die Freudentränen, doch ausgestanden ist für den gekündigten Domkantor der Leihmutter-Streit mit seiner Arbeitgeberin, der evangelisch-lutherischen Landeskirche Braunschweig, noch nicht.

Es war ein Medienereignis. Das Arbeitsgericht hatte aus Platzgründen in einen großen Sitzungssaal des Sozial- und Verwaltungsgerichts ausweichen müssen. Das Interesse an dem Fall war überregional.

Vertrauensbruch

Die Kirche sieht sich in ihren Grundwerten durch Münden auch öffentlich geschädigt. Sie wertete Mündens Erklärung im Frühjahr 2022, sich die Frage nach einer Leihmutterschaft doch noch offen zu halten, nach der zuvor geäußerten Ankündigung eines Verzichts darauf als massiven Vertrauensbruch.

Insofern muss Gerd-Peter Münden damit rechnen, falls die Kirche tatsächlich wie jetzt angekündigt in Berufung geht, dass seine fristlose Kündigung in zweiter Instanz noch einmal auf dem Prüfstand stehen wird. Sollte das Urteil des Braunschweiger Arbeitsgerichts bestätigt werden, bleibt die Frage: Kehrt Münden wirklich an den Dom zurück oder finden die Parteien eine außergerichtliche Lösung, sich voneinander zu trennen.

Arbeit als Musiklehrer

Münden will zunächst weiter in einer Schule in Fallersleben Musikunterricht geben, bis die Berufungsverhandlung den Fall endgültig entschieden hat. „Würde ich jetzt schon an den Dom zurückkehren, wäre ich meine Stelle an der Schule los, sollte ich in zweiter Instanz verlieren“, erklärte er.

Die Landeskirche hatte sich vor Gericht bereit erklärt, die Differenz zwischen dem Lehrergehalt und dem eines Domkantors bis zur finalen Entscheidung auszugleichen. Monatlich sind das 1400 Euro. Aber, so stellte Münden klar: „Grundsätzlich will ich natürlich Musik machen und nicht Musik erklären.“ Und so hofft er auf eine Rückkehr an den Dom. Mitarbeiter dort allerdings hätten, so der Vertreter der Landeskirche vor Gericht, bereits angekündigt, dann selbst kündigen zu wollen, da ihnen eine Zusammenarbeit mit Münden inzwischen unmöglich sei.

Zunächst aber kann sich Münden bestätigt fühlen: Aus Sicht der Arbeitsrichter hat er nichts getan, was eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen würde: Gedankenspiele und Pläne sind erlaubt, auch hatte er nichts Illegales vor.

Abwägungsprozess

Dass er zunächst von dem Verzicht auf eine Leihmutterschaft sprach und sich diese Möglichkeit später aber doch noch offenhalten wollte, sei kein „Rückzug vom Rückzug“ gewesen, wie die Kirche meine, urteilt das Arbeitsgericht.

Münden habe sich in einem Abwägungsprozess befunden und keine Weltanschauungen propagiert, die kirchlichen Werten widersprechen. Seine Äußerungen sieht die Kammer von der Meinungsfreiheit gedeckt. Sie seien nicht mittels einer Kündigung zu sanktionieren.

Kirchensprecher Michael Strauß betonte, dass die Landeskirche nach wie vor an ihrer Position festhalte und deshalb vors Landesarbeitsgericht ziehen werde. Für sie handelt es sich bei den Plänen Mündens eindeutig um eine kommerzielle Leihmutterschaft. Auch wenn eine Summe von 5000 Euro aus deutscher Sicht nicht sehr lukrativ erscheine, sei sie doch in Kolumbien durchaus ein finanzieller Anreiz. Zudem, so argumentierte Strauß, habe Münden nicht nur Gedankenspiele zur Leihmutterschaft betrieben, sondern ganz konkrete Pläne verfolgt.

Stadtgespräch

Der Fall war Stadtgespräch und spaltete die Gesellschaft: Durfte die Evangelische Landeskirche in Braunschweig Domkantor Gerd-Peter Münden vor die Tür setzen, weil er ein Kind über Leihmutterschaft bekommen möchte? Die Meinungen waren geteilt. Nachdem ein Gütetermin Ende April vor dem Arbeitsgericht gescheitert war, sollte die Auseinandersetzung nun mit der Kammerverhandlung beendet werden.

Ende Februar hatte Dompredigerin Cornelia Götz in einer Mail an Eltern der Domsingschule auf einen schwelenden Konflikt hingewiesen: den Wunsch des Domkantors, in Kolumbien eine Leihmutterschaft zu beauftragen, so wie auch dessen kolumbianischer Ehemann es tun wollte. Die Kirche habe ethische Bedenken, erklärte die Dompredigerin weiter. Sie hatte ihr öffentliches Schreiben damit begründet, dass das Miteinander am Dom zerrüttet sei und dies Auswirkungen auf das gemeinsame Arbeiten und die Domsingschule habe.

Seit 1999 am Dom

Münden war 1999 an den Dom gekommen. Mit der Braunschweiger Domsingschule führte er die vielleicht größte Einrichtung für evangelische Kirchenmusik in Deutschland. Mehr als 600 Menschen musizieren dort jede Woche, vor allem Kinder und Jugendliche. Oft stand er in der Öffentlichkeit, war nicht nur in Kirchenkreisen ein bekannter Mann. Zwischen 2007 und 2020 brachte Münden durch seine Projektidee „Klasse! Wir singen!“ 780.000 Kinder, Lehrerinnen und Lehrer zum gemeinsamen Singen.

Ende März verkündete Landesbischof Christoph Meyns öffentlich die fristlose Kündigung Mündens. „Nach intensiver Prüfung der Sachverhalte und sorgfältiger Abwägung aller Begleitumstände ist der (Domstiftungs)-Vorstand zu dem Ergebnis gekommen, dass ein gedeihliches Zusammenwirken mit dem Domkantor nicht mehr möglich ist“, hieß es im Schreiben. Die Basis für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit am Dom sei zerstört worden. Münden hatte daraufhin eine Kündigungsschutzklage gegen seinen Arbeitgeber eingereicht.

Keine Mediation

Es folgte ein Hin und Her weiterer Erklärungen von beiden Seiten. Münden etwa betonte im Gespräch mit unserer Zeitung, die ausgewählten Leihmütter handelten aus selbstlosen Gründen. Die fristlose Kündigung habe ihn sehr überrascht, weil die angekündigte professionelle Mediation gar nicht stattgefunden habe.

Gerd-Peter Münden fragte: „Die Braunschweigische Landessynode hat gerade die ,Ehe für alle‘ beschlossen, jetzt sollen homosexuell liebende Männer auf den Kinderwunsch verzichten?“ Das treffe dann auch heterosexuelle Paare oder Frauen nach Gebärmutterkrebs, die mit einer nach internationalen sozialen, medizinischen und juristischen Standards durchgeführten Leihmutterschaft den Kinderwunsch als letzten Ausweg erfüllen möchten.

Die Landeskirche widersprach. Sie wies den Vorwurf Mündens zurück, seine Kündigung sanktioniere den Kinderwunsch homosexueller Paare. Dieser Vorwurf sei falsch. Es sei auch unwahr, dass der Landesbischof den Domkantor explizit aufgefordert habe, auf seinen Kinderwunsch zu verzichten. „Die Landeskirche hat sich wiederholt und eindeutig gegen die Diskriminierung homosexueller Menschen ausgesprochen“, hatte Landeskirchensprecher Michael Strauß erklärt.

Leihmutter-Tourismus

Im vorliegenden Fall gehe es ausschließlich um die Ablehnung des Leihmutter-Tourismus, unabhängig von der sexuellen Orientierung der Wunscheltern. Dieser Leihmutter-Tourismus stehe in einem Widerspruch zu den ethischen Grundsätzen der evangelischen Kirche. Die Inanspruchnahme einer Leihmutterschaft sei in dieser Form nach deutschem Recht im Inland nicht zulässig. Moralische Bedenken habe die Kirche nicht zuletzt, wenn der Kinderwunsch mit Geldzahlungen verbunden sei. „Es gilt, jedem Anschein entgegenzuwirken, dass Frauen und Kinder zu Waren degradiert und in ihrer Menschenwürde beschädigt werden.“

Gleichzeitig würdigte die Kirche die Verdienste des Domkantors. Der Domstiftungsvorstand betonte in einer Mitteilung, er bedauere sehr, dass eine weitere Zusammenarbeit mit Münden nicht möglich sei. Er erkenne an, dass dieser sich in der Vergangenheit große Verdienste um die kirchenmusikalische Arbeit am Braunschweiger Dom erworben habe. Umso mehr sehe sich der Vorstand in der Verantwortung, Bedingungen zu schaffen, damit diese Arbeit erfolgreich fortgesetzt werden könne.

Verhärtete Fronten

Münden fühlt sich unverstanden. „Auch mein Mann und ich lehnen die von der Landeskirche kritisierten Formen der kommerziellen Leihmutterschaft mit der Ausnutzung von Frauen ab.“

Die Fronten verhärteten sich immer mehr. Ende April erklärte die Landeskirche: „Mündens Verhalten in den vergangenen Wochen hat nach unserer Wahrnehmung nicht dazu beigetragen, neues Vertrauen zu stiften.“

Einige Eltern von Schülern der Domsingschule hatten sich nach Bekanntwerden des Zwists hinter den Kirchenmusiker gestellt und gemeint, der Domkantor leiste hervorragende Arbeit, und die Leihmutterschaft sei Privatsache. Die Kirche indes hatte immer wieder betont, dass Münden durch sein Amt eine Person des öffentlichen Lebens und sein spezieller Kinderwunsch somit keine Privatsache sei.

Auf die Frage, wie es aktuell um die Leihmutterschaft stehe, erklärte Münden am Mittwoch: „Ich bin nicht schwanger, und es ist auch niemand von mir schwanger.“ Eine entsprechende Auskunft über den Stand der Dinge bei seinem Ehemann wollte Münden nicht geben. „Ich rede nicht mehr über meinen Mann in der Öffentlichkeit. In der Gerichtsverhandlung geht es ausschließlich um mich.“

Gerd-Peter Münden hat inzwischen auch Dienstaufsichtsbeschwerden eingereicht gegen Landesbischof Meyns und Dompredigerin Götz wegen Bruchs des Seelsorgegeheimnisses. Zudem haben er und sein Mann auch Anzeige erstattet beim Datenschutzbeauftragten der Evangelischen Kirche Deutschlands wegen Verletzung der Persönlichkeitsrechte.

Von Ann Claire Richter und Bettina Thoenes

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