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Eisenbahnfreunde Goslar

Kaiserpfalz in einer elektrisierenden Wunderwelt

Zwei Jahre hat Wolfgang Broeckelmann an der Miniaturausführung der Goslarer Kaiserpfalz gearbeitet. Broeckelmann ist Chef und Schatzmeister der Eisenbahnfreunde Goslar e.V. und zugleich ein versierter Baumeister. Fotos: Kleine

Zwei Jahre hat Wolfgang Broeckelmann an der Miniaturausführung der Goslarer Kaiserpfalz gearbeitet. Broeckelmann ist Chef und Schatzmeister der Eisenbahnfreunde Goslar e.V. und zugleich ein versierter Baumeister. Fotos: Kleine

Am Sonntag ruft der Lindenhof wieder zur Modellbahn- und Spielzeugbörse. Es lebt also noch, das Modellbahnhobby – und wie. Die Eisenbahnfreunde Goslar bieten ein anschauliches Beispiel dafür: Hunderte Meter Bahngleise in einer Miniaturlandschaft samt Altstadt, Bahnhof, Kaiserpfalz und Harzer Höhen.

Von Jörg Kleine Donnerstag, 20.10.2022, 12:00 Uhr

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Goslar. Analog, digital – egal. In jedem Fall muss es detailgetreu sein, inspirieren und Leidenschaft wecken, um diese kleine Welt im Maßstab 1:87 zu erschaffen. Wer sich einmal davon hat verzaubern lassen, den begleitet dieses Hobby oft ein ganzes Leben lang.

Bei Wilhelm Broeckelmann, Wolfgang Kanthak und Hendrik Bauer leuchten die Augen, wenn sie darüber berichten. Dienstagabends, 19.30 Uhr, treffen sie sich mit weiteren Vereinskollegen am Frankenberger Plan 9, wo sie im obersten Stockwerk des mächtigen Fachwerkhauses immer weiter an ihrer Modellbahnwunderwelt arbeiten.

Wie von Zauberhand

Ehedem hatten die Eisenbahnfreunde ihr Domizil am Fliegerhorst. Seit rund 15 Jahren fühlen sie sich in der Altstadt am Frankenberg heimisch. Den Impuls gab der Goslarer Unternehmer Folkert Bruns, der nicht nur seine private Modellbahn als Grundstock einbrachte, sondern die Räume zur Verfügung stellte. Kleine Küche, Bad und „Dienstzimmer“ für die Modellbahner inklusive.

Da klopft es plötzlich an der Tür. „Dürfen wir mal reinkommen?“, fragt die Nachbarin höflich. „Na klar“, sagt Wolfgang Kanthak. Schon stehen die Nachbarn mit Kind und Kegel mittendrin zwischen Lokschuppen und Drehscheibe, Kaiserpfalz Goslar und Endbahnhof Altenau. Voller Stolz beginnt Kanthak zu erzählen, taucht auf allen Vieren kurz unter, um das Wunderwerk technisch in Gang zu setzen.

Aus dem Schattenbahnhof unter der Landschaft setzen sich Güterzüge und Personenzüge in Bewegung. Ganz leise sind sie erst zu hören, dann rollen sie in voller Pracht heraus. Von links, von rechts – überall bewegen sich plötzlich Züge. Und wie von Zauberhand halten manche einfach an, um sich nach kurzem Stopp ganz von alleine wieder in Bewegung zu setzen.

Vorne der Lokschuppen mit Drehscheibe, hinten die Höhenzüge des Harzes: Hendrik Bauer (li.) und Wolfgang Kanthak von den Eisenbahnfreunden Goslar. An der Landschaft arbeiten die Eisenbahnfreunde stetig weiter.

Vorne der Lokschuppen mit Drehscheibe, hinten die Höhenzüge des Harzes: Hendrik Bauer (li.) und Wolfgang Kanthak von den Eisenbahnfreunden Goslar. An der Landschaft arbeiten die Eisenbahnfreunde stetig weiter.

Ein Trans-Europa-Express (TEE) fährt vor im farblichen Design aus Elfenbein und Rot der 1960er bis 1980er Jahre. Vorneweg zieht die E 03 als legendäre deutsche Schnellzuglok. „Rheingold“ oder „Rheinpfeil“ sind die Stichworte für Experten. Im Gegenverkehr ist ein französisches Bahngespann unterwegs – der elegante weinrote „Le Capitole“, der als Spitzenzug zwischen Paris und Toulouse auftrumpfte. Aber auch Dampfloks, ICE-Triebzüge, ein moderner Regionalexpress oder ein schicker Schweizer Reisezug mit Panoramawagen sind auf den Gleisen im Dienst.

Über Lollos, Krokodile und Kartoffelkäfer

Das verrät viel über die Philosophie der Eisenbahnfreunde. „Keine Zeit, keine Epochen“ und international, betonen Kanthak und Bauer unisono. Will heißen: Vom modernen Dieseltriebwagen bis zum alten Dampfross aus unterschiedlichen Ländern darf im Miniaturbahnhof Goslar alles einfahren. An diesem Abend steht dort eine Dampflok der Baureihe 18.4 – wegen ihres Fahrwerks mit großen Rädern auch die „Hochhaxige“ genannt.

Schon immer sparten Eisenbahnfans nicht mit Kosenamen für ihre Zugpferde. „Krokodile“, „Elefanten“ und „Habersäcke“ tummelten sich auf Schweizer Bahnstrecken, „Schildkröten“ in Italien, „Bügeleisen“ in Frankreich und Luxemburg, „Kartoffelkäfer“ in Belgien, „Blauwale“ in Holland, „Steppenpferde“, „Eierköpfe“, „Zigarren“ oder „Lollos“ in Deutschland. Letztere sind abgeleitet von markanten Vorwölbungen der ersten V160-Dieselloks, die manchen Eisenbahner wohl damals an die Schauspielerin Gina Lollobrigida erinnerten. Auch in Goslar waren „Eierköpfe“ und V160 übrigens regelmäßig unterwegs.

Die Eisenbahnfreunde Goslar verbinden derweil nicht nur Epochen und Nationen, sondern auch Generationen. Wilhelm Broeckelmann, Chef und Schatzmeister im Verein, ist 86. Als Jungwerker hatte er 1952 bis 1955 bei der damaligen Bundesbahn gelernt, dann wurde er Beamter bei der Bundeswehr. Seit Kindheitstagen bewahrt er derweil sein Eisenbahnhobby, das zu Hause auf rund 300 Lokomotiven und 1000 Waggons angewachsen ist.

Zugleich ist Broeckelmann ein Baumeister par excellence. Den Goslarer Bahnhof hat er detailgetreu nachgebildet, und an der Kaiserpfalz tüftelte Broeckelmann zwei Jahre lang – ein Meisterwerk.

Wolfgang Kanthak kann als gelernter Elektroinstallateur und späterer Schulhausmeister seine technischen Fähigkeiten ausspielen. Auf seiner Heimanlage setzt er bis zu 31 Züge vollautomatisch in Gang. Alles analog, also ohne digitale Steuerung. Überdies verfügt Kanthak über ein wahres Arsenal an Eisenbahnliteratur, von der auch Hendrik Bauer schon profitiert hat.

Modellbahn macht schlau

Bauer studiert Verkehr und Logistik an der Ostfalia in Salzgitter. Mit seinen 24 Jahren könnte er Broeckelmanns Enkel sein, doch die Faszination für Modellbahn schlägt schnell die Brücke. So mischte Hendrik Bauer schon als Jugendlicher bei den Eisenbahnfreunden mit – und hat ein Faible für Straßenbahnen. „Ich finde, es ist eine schöne Abwechslung“, schildert der Student – der mit seinem Hobby keineswegs aus der Zeit gefallen ist.

Computer, Monitor, Handys, Mails und Social Media bestimmen heute digital das Leben. Da bietet die Welt der Modellbahn eine Möglichkeit zum Entspannen und Tüfteln – vor allem mit analoger Technik und kreativer Gestaltung: Gleichstrom, Wechselstrom, Schaltung, Trafo, Gleise, Lichter, Signale, Verkabelung und Magnete lassen Züge rollen, Landschaften und Gebäude entstehen aus Handarbeit.

Das fördert nicht nur technisches Verständnis, räumliches Vorstellungsvermögen und Geschicklichkeit, sondern bringt eine Menge Verständnis und Fertigkeiten, die auch in einer e-mobilen Welt der Zukunft enorm nützlich sind. Analog, digital – egal.

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