Israeli Tomer Rubinstein, ein Mann zwischen Musik und Militär

Chopin, Haydn, Beethoven? Bei einem Lehrer wie Arie Vardi ist Tomer Rubinstein (18) in guten Händen. Fotos: Kempfer
Er ist erst 18 Jahre jung und hat schon eine interessante Vita: Tomer Rubinstein absolviert seine Wehrpflicht in Israel – und wurde für eine Woche Unterricht bei Piano-Legende Prof. Arie Vardi in Goslar von der Armee freigestellt.
Für nur 0,99 € alle Artikel auf goslarsche.de lesen
und im ersten Monat 9,00 € sparen!
Jetzt sichern!
Goslar. Ein junger Mann zwischen Musik und Militär? Genauso ist es, und doch wieder nicht, wie man sich das vorstellt: Wenn der junge Mann nächste Woche wieder zurück nach Israel fliegt, tauscht er nicht etwa die Pianotasten gegen das Gewehr. Zwar hat Tomer, wie alle jungen Männer und Frauen ab 18, die in Israel als wehrfähig eingestuft werden, einige Wochen lang einen Basiskurs gemacht, wozu der Umgang mit Waffen gehört. Ein komisches Gefühl, verrät er, ein bisschen „scary“ (beängstigend). Eigentlich wollte er gar nicht abdrücken, schrammte an einer Panikattacke vorbei, ignorierte sein pochendes Herz und drückte ab, um nicht disqualifiziert zu werden.
Exzellenz-Programme
Tatsächlich bietet die Armee in Israel begabten jungen Menschen aber eine Menge anderer Möglichkeiten; Tomer hat sie genutzt. Er ist einer von wenigen, die in ein Exzellenz-Programm aufgenommen wurden. Zwar zählt das offiziell zur Wehrpflicht, die für ihn aktuell zwei Jahre und acht Monate umfasst; allerdings bleibt ihm Zeit, weiterhin sein Klavierspiel zu üben. In bis zu sechs Stunden täglich, die dem Militär gehören, unterrichtet er andere Musiker und Ensembles der Armee, bringt Soldatinnen und Soldaten das Singen oder Notenlesen bei. Außerdem arrangiert er populäre Musik für Armee-Chöre und Ensembles – und kann dabei überwiegend von zu Hause aus arbeiten.
Tomer weiß, dass er damit privilegiert ist – und ist heilfroh über die Chance. Dass er im Ernstfall sein Land (auch mit der Waffe) verteidigen würde, steht für ihn wie wohl für viele seiner Landsleute außer Frage. Dieser „Ernstfall“ ist für ihn allerdings weit, weit weg und extrem unwahrscheinlich. Jom Kippur sei so ein Anlass, sagt er, um ein Beispiel zu geben; an jenem höchsten jüdischen Feiertag im Jahr 1973, dem 6.Oktober, griffen Ägypten und Syrien Israel an.
Nicht alle kämpfen

Halt: Arie Vardi (l.), mit Tomer Rubinstein an der Seite, drückt viel mit Gestik aus.
Um „ganz normale Spannungen“ hingegen kümmerten sich die, die mehr als nur die dreiwöchige Grundausbildung absolviert haben, jene, die im Gegensatz zu ihm im Kämpfen ausgebildet wurden. „Du kannst nicht alle kämpfen lassen“, sagt Tomer, es seien einfach zu viele. Tomer fühlt sich sicher in Israel. In Amerika zu leben, sei doch gefährlicher, meint er mit Blick auf die Amokläufe an Schulen; so etwas gebe es in Israel nicht; schon allein deswegen, weil es sehr schwierig sei, an Waffen heranzukommen. Nach der Armee werden die jungen Israelis immer wieder für einige Wochen zu sozialen Diensten herangezogen.
Vardi war beim Militär

Bezwingend und begreifend: Arie Vardi mit Tomer Rubinstein und Yuanhan Lu.
Wer nicht schon vor seiner Wehrpflicht mit 18 Jahren aussortiert wird (ein beachtlicher Teil des Nachwuchses, ein gutes Viertel, muss aus psychischen Gründen nicht zur Armee), hat die Möglichkeit, in verschiedenen Sparten wie in Musik oder Sport an Exzellenz-Programmen teilzunehmen. Auch Tomers Professor Arie Vardi ging diesen Weg; er absolvierte den Grunddienst beim Militär, bevor er dann mit dem Orchester arbeitete.
Tomer, der sich im Alter von fünf Jahren das Klavier als Instrument ausgesucht hat, nennt ihn seinen musikalischen „Grandfather“, denn seine Lehrer in Israel seien selber schon Vardi-Schüler gewesen. Der ist in Israel ein Star, sogar im Fernsehen, wo er eine eigene TV-Show auf dem „Educational Channel“ hat, das „Intermezzo with Arik“, sein Spitzname. In der Sendung für Musikliebhaber interviewt er andere berühmte Musiker.

Daumen und Zeigefinger zusammen: So ist es gut, ein großes Kompliment.
Tomer Rubinstein verehrt Vardi, dieser wiederum schätzt ihn sehr; dabei stand ihre erste Begegnung in Israel vor knapp zwei Jahren noch nicht unter einem so guten Stern. Tomer war aufgefordert, vorzuspielen, und war nicht vorbereitet: „Das war fürchterlich“, erinnert er sich. Heute kann er darüber lachen, denn ein Jahr später holte er beim Vorspiel mit dem Sinfonie-Orchester in Jerusalem einen zweiten Preis und erhielt seinen ersten Anruf von Vardi: Er sei tief beeindruckt. Tomer war gerade 17 Jahre alt geworden. In diesem Jahr holte der nun 18-Jährige den ersten Preis – in der Altersklasse von 18 bis 28.
Spielt um sein Leben
Seine Karriere scheint vorgezeichnet zu sein; aber Tomer, dessen Vorname so etwas wie „Dattelbaum“ bedeutet, weiß, dass Israel schon viele Talente hervorgebracht hat. Nicht alle werden Musiker, viele unterrichten. Tomer macht sich darüber keine Gedanken. Der junge Mann aus Ramat Hasharon bei Tel Aviv spielt einfach, als hing sein Leben davon ab. Und liegt damit wohl nicht ganz falsch.
Aufmerksam lauscht er Vardis Unterricht – der bringt die Musiker zum Herz des Klangs, lässt sie Musik empfinden, begreifen, spielen. Ganz großes Kino für Menschen, die einmal auf ganz großen Bühnen stehen wollen – obwohl das Klassik-Publikum kleiner wird. In Goslar sei das nicht zu merken, das Interesse an Klassik sehr groß, meint Tomer, dessen Gastvater Christoph Engelhardt begeistert ist. Nicht nur er: Bei den Serenaden in der „Alten Münze“ bleibt kein Platz frei.

Im Hotel „Alte Münze“ gestaltete Tomer Rubinstein eine Serenade. Münze-Chefin Rosemarie Prien lud die Pianisten auch zum Proben ins Hotel ein, als das Kreishaus während des Verkehrsgerichtstages nicht mehr zur Verfügung stand – eine große Hilfe.