„Die Kitas sind am Limit“

Spielzeug liegt in einer Kindertagesstätte auf dem Boden.
In den Kindertagesstätten in Niedersachsen bräuchte es für das kommende Jahr tausende zusätzliche Erzieherinnen und Erzieher. Experten fürchten um den Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz und nennen das in doppelter Hinsicht untragbar.
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Die Gewerkschaft Verdi sah schlimmste Befürchtungen bestätigt. „Kitas in Niedersachsen sind am Limit, Tausende Fachkräfte fehlen“ hieß es zum neuen „Ländermonitor Frühkindliche Bildung“ der Bertelsmann-Stiftung. Und der CDU-Landtagsabgeordnete Christian Fühner warnte: „Die Zahlen zum Fachkräftemangel in der Kita-Betreuung machen deutlich, wie dramatisch die Situation für die Eltern, Kinder und Beschäftigten ist.“
Die Bertelsmann-Stiftung hat bei ihrem neuesten Bericht zur frühkindlichen Bildung, der am Donnerstag vorgestellt wurde, ein deutliches Ost-West-Gefälle ausgemacht. „Gemessen an den Betreuungswünschen fehlen im kommenden Jahr voraussichtlich bis zu 383.600 Plätze bundesweit, 362.400 im Westen und 21.200 im Osten“, teilte die Stiftung mit. In fast allen Bundesländern, vor allem in den westdeutschen, sei die Nachfrage der Eltern nach Kita-Plätzen höher als der Anteil an Kindern, die 2021 betreut worden seien.
Quoten abgeglichen
„Um den Betreuungsbedarf zu erfüllen, müssten zusätzlich weitere 93.700 Fachkräfte im Westen und 4900 im Osten eingestellt werden“, so die Stiftung. Zum Ermitteln der fehlenden Kita-Plätze hatte die Stiftung die Betreuungsquoten 2021 mit dem Anteil der Eltern abgeglichen, die in einer Studie des Deutschen Jugendinstituts einen Betreuungsbedarf geäußert hatten. In niedersächsischen Kitas müssten laut der Studie im kommenden Jahr 12.000 Fachkräfte eingestellt werden, um den Bedarf zu decken. Gemessen am Bedarf fehlten für 2023 45.500 Kita-Plätze. Erhöhten Ausbaubedarf sieht die Studie bei Kindern unter drei Jahren.
Fachkräfte fehlen
Während das große Nordrhein-Westfalen in den Berechnungen mit 101.600 fehlenden Plätzen erscheint, müssen Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen keine weiteren Plätze schaffen. Verdi wies auch noch auf eine Folgerechnung hin: „Für eine kindgerechte Personalausstattung, also einen besseren Fachkraft-Kind-Schlüssel, in allen Kitas des Landes müssen der Studie zufolge zusätzlich 21.400 Fachkräfte eingestellt werden. Damit fehlen allein in Niedersachsen im nächsten Jahr 33.400 Fachkräfte in den Einrichtungen“, heißt es.
„Trotz des massiven Kita-Ausbaus in den vergangenen Jahren finden noch immer zu viele Eltern keinen Platz für ihre Kinder“, so Anette Stein von der Bertelsmann-Stiftung.
Selbst organisieren
Das sei untragbar: Die Eltern müssten die Betreuung selbst organisieren, während den Kindern ihr Recht auf professionelle Begleitung in der frühen Bildung vorenthalten werde. Schon jetzt sei abzusehen, dass sich der Rechtsanspruch auf einen Platz in der Kindertagesbetreuung auch 2023 vielerorts nicht einlösen lasse. Laut Stiftung werden zudem in Westdeutschland 63 Prozent der Kita-Kinder in Gruppen betreut, deren Personalschlüssel nicht den wissenschaftlichen Empfehlungen entspricht.
„Die Länder und Kommunen müssen den Platzausbau jetzt mit Nachdruck vorantreiben“, forderte Stein. Zwar sehe das neue Kita-Qualitätsgesetz vor, dass der Bund 2023 und 2024 jeweils bis zu zwei Milliarden Euro für die frühkindliche Bildung bereitstelle. Doch das reiche nicht aus.
Den Qualitätsausbau in Form kindgerechter Personalschlüssel habe die „Ampel“ in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart. Verdi-Experte Martin Peter sagte unserer Zeitung, ein großes Problem sei die „Aussteigerquote“ beim Personal von rund einem Viertel innerhalb der ersten Berufsjahre.
Als „richtig, jedoch nicht neu“ schätzt man im Kultusministerium die Bertelsmann-Botschaften ein. Niedersachsen habe in Quantität und Qualität der Kindertagesbetreuung „deutlich aufgeholt“, insbesondere bei den ganztags betreuten Kindern von 3 bis unter 6 Jahren.
Über die Richtlinie „Qualität in Kitas“ würden mit rund 100 Millionen Euro jährlich unter anderem Maßnahmen zur Verbesserung des Personalschlüssels in Kindergartengruppen, zur Gewinnung von angehenden Fachkräften als vergüteten Zusatzkräften in Ausbildung sowie zur Entlastung von Einrichtungsleitungen gefördert, so ein Sprecher. Mit dem „Niedersachsen-Plan – mehr Fachkräfte für die Kita!“ würden seit 2019 unter anderem die Steigerung der Ausbildungszahlen, die Erleichterung des Quereinstiegs und die Einführung der Schulgeldfreiheit umgesetzt.
In der Pflicht
Man habe den Einstieg in die dualisierte Erzieherausbildung auf den Weg gebracht und damit die Grundlagen für die Fachkräftesicherung in den Kindertagesstätten gelegt, sagte auch der CDU-Abgeordnete Fühner. Er sieht nun die neue Koalition in der Pflicht. Von Michael Ahlers, Funke Medien Gruppe