Ausnahmezustand: Goslars israelische Partnerstadt im Krieg

Sicherheitsbesprechung Mitte Oktober, anderthalb Wochen nach dem Terrorangriff der Hamas: Raananas Bürgermeister Chaim Broyde (hinten Mitte) tagt mit weiteren Verantwortlichen der Stadt, dem Heimatkommandanten und Militärangehörigen, um die Sicherheitslage zu bewerten. Auf Instagram schreibt Chaim Broyde dazu, er stelle sich auf eine längere Phase des Notstands ein. Foto: Stadt Raanana
Goslars Partnerstadt Raanana befindet sich wie ganz Israel seit dem Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober in einem Ausnahmezustand. Einen Eindruck davon, wie Raananas Einwohner diese Tage im Krieg erleben, geben Stimmen aus der Stadt.
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Goslar/Raanana. Auf dem Video aus Goslars israelischer Partnerstadt Raanana sind Sirenen und der Lärm von Raketen zu hören, die abgefeuert oder abgeschossen werden. Am Himmel leuchten Lichter des Raketenabwehrsystems Iron Dome. TV-Zuschauer kennen solche Bilder seit Krieg in Israel herrscht. Das Video stammt von einer Jugendlichen.
Die junge Israelin ist 16 und heißt Maya Allalouf, sie bedankt sich für bunt bemalte Friedenstauben aus Goslar, die hinter ihr an einer Wand offenbar in einem Schulgebäude hängen. Maya Allalouf erinnert an ein Treffen im Frühjahr mit Kindern und Jugendlichen in Raanana. Das Video zeigt sie fröhlich tanzend. „Was für ein Spaß das war“, sagt die 16-Jährige und fragt: „Wissen Sie, was jetzt mit uns geschieht?“ Etwas später in dem Video fügt sie an: „Wir lieben Sie und wir brauchen Sie, um unsere Geschichte zu erzählen.“ Auf dem Video ist außerdem zu sehen, wie Schulkinder in einen Keller oder einen Schutzbunker laufen. Sie proben offenbar den Ernstfall.
Psychologische Hilfe
Raketen aus dem Gazastreifen, die die Hamas abfeuert, sind nach allem, was zu erfahren ist, bisher nicht auf Raanana niedergegangen in dem Krieg, der mit dem Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober begann. Die Angreifer töteten1200 Bewohner in Kibbuzim und entführten etwa 240 Menschen. Um die Freilassung von Geiseln wird in diesen Tagen weiter intensiv gerungen. Für Freitag waren der Beginn einer Feuerpause und der Austausch von Geiseln und Gefangenen aus Israel vereinbart worden.
Wer wissen will, wie der Terrorangriff und der Krieg die Menschen in Raanana berühren und wie sich ihr Alltag verändert hat, kann Bürgermeister Chaim Broyde auf Instagram folgen. Er verbreitet täglich Fotos und Nachrichten aus seiner Stadt. So ist zu erfahren, dass es ein psychologisch geschultes Team gibt, das den Menschen in diesen Krisenzeiten Beistand leistet. Auf Instagram ist zu sehen, wie die Stadt die Erinnerung an die in den Gazastreifen verschleppten Israelis wachhält und sich um diese sorgt.
Fotos zeigen, dass Sicherheitsbeamte an Einfahrtsstraßen und anderen Stellen der Stadt wachen. Es gibt Barrieren, die Angreifer abhalten sollen. Und es gibt Übungen, Schutzbunker werden aufgesucht, um den Ernstfall zu proben. Mitte November rückte der Krieg besonders nah: Die Stadt trauerte um einen 21-jährigen Soldaten aus ihrer Gemeinschaft, der beim Kampf gegen die Hamas im Gazastreifen gefallen war.
Schutzbunker für Schüler
Die Goslarerin Teresa Kulmann, gebürtig aus der Partnerstadt Windsor und in der Goslarer Pulse-of-Europe-Gruppe aktiv, erhielt in diesen Tagen eine Whats-App von einer Schülerin aus Raanana. Das Mädchen schreibt ihr, dass sich die Situation täglich ändere: „Es gibt normale Schultage und solche, an denen die Mädchen und Jungen sicherheitshalber zu Hause bleiben und per Zoom unterrichtet werden.“ Jeder Schultag sei anders. Das hänge davon ab, ob ein Schutzbunker für alle Schüler frei sei.
Raanana ist eine Stadt, die stetig wächst. Es gibt viele Tech-Unternehmen. Mancher spricht vom Silicon Valley Israels. 90.000 Einwohner zählt die Stadt, die zwischen Tel Aviv und Haifa liegt. Unmittelbar nach der Hamas-Attacke hat Raanana rund 1000 Menschen aufgenommen. Sie stammen aus evakuierten Gebieten, die an den Gazastreifen grenzen. Die Kinder der Zuzügler besuchen jetzt Kitas und Schulen in Raanana.

Friedenstauben aus Goslar: Alon Danses aus Raanana bekam die Karten mit guten Wünschen bereits in diesem Sommer von Teresa Kulmann von Pulse of Europe und nahm sie mit nach Israel. Foto: Privat
Die Friedenstauben aus Goslar, die den Weg nach Raanana gefunden haben und für die sich Maya Allalouf bedankt hat, sind auf dem kreativen Kinderfest im Juni entstanden. Am Stand der Goslarer Gruppe von Pulse of Europe, bei der sich Teresa Kulmann engagiert, konnten Kinder und Mädchen sie bemalen oder mit guten Wünschen versehen. Alon Danses, Leiter der Raanana-Gruppe, hielt sich zu dieser Zeit mit weiteren Israelis in Goslar auf und nahm einige der Karten mit den Friedenstauben mit. Weitere wurden in die Partnerstädte Windsor, Beroun und Arcachon geschickt.
Die Stadt Goslar nimmt Anteil am Schicksal ihrer Partnerkommune in Israel. Wenige Tage nach dem Terrorangriff der Hamas und dem Massaker an Kindern, Frauen und Männern hat Oberbürgermeisterin Urte Schwerdtner (SPD) an Bürgermeister Chaim Broyde (parteilos) geschrieben und ihm mit Blick auf den 7. Oktober mitgeteilt: „Voller Entsetzen blicken wir in Goslar und in der gesamten Bundesrepublik Deutschland auf die schrecklichen Geschehnisse, die sich seit Samstag in Israel ereignen.“ Die Stadt und ihre Bürger würden „diesen perfiden Überfall“ verurteilen. Schwerdtner äußert ihr Mitgefühl und schreibt: „Unsere Sorge gilt allen Menschen in Raanana und in ganz Israel.“
Bürgermeister Chaim Broyde, ein Mittsechziger, der auch als Journalist gearbeitet hat und einige Zeit beim Militär diente, antwortete Mitte Oktober und dankt „von ganzem Herzen für Ihren herzerwärmenden Unterstützungsbrief“. Als Bürgermeister sehe er seine wichtigste Aufgabe darin, „mit meinen Bürgern und den Familien sowie mit unseren tapferen Soldaten, die uns beschützen, in der schwersten Zeit zusammenzustehen.“ Chaim Broyde erinnert an den Überfall „der Terrororganisation Hamas“ und sagt dazu: „Wir haben in den letzten75 Jahren keine so große Tragödie erlebt.“
„Vergessen Sie uns nicht“
Die GZ hat sich nach dem 7.Oktober um ein Interview mit Chaim Broyde bemüht, der im Herbst in seinem Amt bestätigt wurde. Einen ersten Termin, der nach einiger Zeit vereinbart wurde, sagte er unmittelbar vor dem Gespräch ab – in diesen Kriegs- und Krisentagen ist er vor allem gefragt, um sich um seine Einwohner und deren Sicherheit zu kümmern. Ein weiterer Termin mit der GZ ist nun für Ende November geplant.
Die in dieser Woche mit der Hamas vereinbarte Feuerpause sowie die Freilassung von Geiseln und von Gefangenen aus israelischen Gefängnissen sowie die Lieferung von Hilfsgütern in den Gazastreifen lassen hoffen, dass sich die Lage bald entspannt. Sogar Beistand kann in solchen Zeiten eine Hilfe sein. Maya Allalouf aus Raanana sagt zum Schluss ihrer Botschaft: „Bitte vergessen Sie uns nicht.“ Die Gruppe Pulse-of-Europe Goslar will das Video auf ihre Internetseite stellen: www.poe-goslar,de.