13. Dezember: Der Stern im Fenster von Frau Kalthammer

Herrnhuter Sterne, wie hier in Dresden, sind für viele Menschen ein besonderes anrührendes und wertvolles Symbol zu Weihnachten. Es bringt Licht in die Dunkelheit und erzählt in Kirchen von der Weihnachtsbotschaft. Foto: dpa
In der GZ-Adventsserie „Weihnachten mit Herz“ schreiben Leser Geschichten, die Freude machen und Hoffnung geben. Gudrun Langner aus Hahausen erzählt aus ihrer Erinnerung von Heiligabend, Herrnhuter Sterne und Schlafanzüge, die nicht passten.
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Hahausen.„Weihnachten mit Herz“ heißt in diesem Jahr der Titel unserer GZ-Adventsserie. Leserinnen und Leser schreiben Geschichten, die Freude machen, nachdenklich sind, Hoffnung geben oder Erinnerungen wecken – gerade auch in schwieriger Zeit. Gudrun Langner aus Hahausen erzählt ihre munteren Erinnerungen an Heiligabend, Herrnhuter Sterne und Schlafanzüge, die nicht passten.
Ich möchte den Lesern erzählen von schönen Weihnachtsfesten in meiner Kindheit. Ich bin jetzt 68 Jahre alt, und meine Erinnerungen daran liegen etwa 60 Jahre zurück. Wir Kinder waren angespannt, aufgeregt und kurz vor der Bescherung immer verunsichert, ob der Weihnachtsmann den lange bestehenden Wunsch auch wirklich erfüllt.
Den Besuch zum Heiligabend-Gottesdienst verbinde ich mit dem Zusammensein mit meiner Oma Anna, die 1990 verstorben ist. Oma Anna hatte die Angewohnheit, sich richtig auf den Gottesdienst vorzubereiten. Am Heiligen Abend war sie mindestens zwei Stunden vorher in ihrer Kammer, dann kam sie geschniegelt in ihre Stube zurück und wartete im Dunkeln auf den Gottesdienstbeginn.
Meine Oma Anna
Meistens sagte sie kein Wort, knipste kein Licht in der Stube an, und heute würde ich sagen, sie meditierte oder sie bereitete sich gedanklich auf den Gottesdienst vor. So lange im Dunkeln zu sitzen, einfach nichts zu tun und dazu auch noch kein Wort zu sagen, das habe ich an meiner Oma sehr bewundert.
Sie nahm mich mit in die Kirche, allerdings war es ihr wichtig, dass auch ich ordentlich gekleidet war. Dann gingen wir beide in der Dämmerung zum Heiligabend-Gottesdienst. Ich liebe Sterne über alles, und ich glaube, dass sich diese Vorliebe für Sterne bei mir schon in den Kindertagen eingeprägt hat. Wie hab ich den Herrnhuter Stern im Fenster von Frau Kalthammer bewundert! Er verwandelte das ganze Blumenfenster in ein wunderschönes, geheimnisvolles Dämmerlicht. Und jedes Jahr auf meinem Weg zur Kirche wünschte ich mir, einmal in der Weihnachtsstube mit dem geschmückten Baum bei Frau Kalthammer zu sein und mir in aller Ruhe alles angucken zu dürfen.
Und wie habe ich mich gefreut, wenn noch einmal so ein schöner roter Stern in der Kirche zwischen den Reihen vor dem Altar die ansonsten dunkle Kirche in Weihnachtsstimmung brachte. Abends im Bett, ich war etwa neun Jahre alt, bin ich zu der Erkenntnis gekommen, dass Frau Kalthammer und die Kirche in Hahausen die Reichsten von ganz Hahausen sind. Reich und wohlhabend deshalb, weil sie so einen schönen Herrnhuter Stern besitzen. Es ist heute bei allem Leuchten und Glitzern unvorstellbar, dass diese beiden Sterne und der mit Wachskerzen geschmückte Weihnachtsbaum in der Kirche das einzige öffentliche Weihnachtslicht waren. Es gab keine Weihnachtsbäume mit Elektrolichterketten, keine Schwibbögen in den Fenstern und keine Leuchtgirlanden in den Straßen von Hahausen. Es gab nichts in den Straßen, woran man erkennen konnte, dass das Weihnachtsfest bevorsteht.
Erlebnis in der Kirche
Schon allein die Atmosphäre, die volle Kirche so im Dämmerlicht zu sehen, war für mich als Kind beeindruckend genug. An dem Weihnachtsbaum brannten die Wachskerzen, und in dem Dämmerlicht wurde in einem Jahr das Lukasevangelium von einer tiefen Männerstimme vorgelesen. Nicht zu wissen, wo der Mann jetzt ist, dessen Stimme ich höre, und wer da überhaupt liest, war als Kind etwas Wunderbares, was man nur in der Weihnachtsnacht erleben konnte.
Das Singen in der Kirche war einfach schön und ich glaube, dass die übervolle Kirche mit den vielen hellen und dunklen Stimmen dazu beigetragen hat, dass mir die Weihnachtslieder so richtig unter die Haut gingen. Wie ich mit meiner Oma nach dem Gottesdienst nach Haus gekommen bin, weiß ich nicht mehr. Ich glaube, ich war erfüllt von dem Erlebten und gleichzeitig total aufgeregt, was jetzt zu Hause passieren würde.
Lametta und Engelshaar
Es gab immer Kartoffelsalat mit Würstchen, und schon am Morgen wurde die Sonntagsstube eingeheizt. Sie war den ganzen Tag abgeschlossen, und erst nach dem Abendbrot durften wir Kinder in das besondere Weihnachtszimmer. Dort stand der Weihnachtsbaum auf einem kleinen Tisch und war mit silbernen Kugeln, Wachskerzen, Schokoladenkringeln, Lametta und Engelshaar geschmückt. Dort in der Stube haben wir auf unsere Großeltern gewartet, und wir Kinder waren ganz hibbelig. Ich weiß, dass ich es besonders genossen habe, dass die ganze Familie zusammen war und dass wir uns richtig schön unterhalten haben. Man fühlte, das wird ein schöner Abend.
Es dauerte nicht lange, dann klopfte der Weihnachtsmann ans Fenster, und bevor wir Geschenke auspacken durften, mussten wir Kinder ein Gebet oder ein Gedicht aufsagen. Wir haben verschiedene Weihnachtsmänner kennengelernt: Einer kam mal in Begleitung eines Hundes, einer hatte meinen selbst gebastelten Bart vom Schultheater im Gesicht, und einer hat mit den Dornen seiner Rosenrute lauter Fäden in den neuen Rock meiner Mutter gezogen. In einem Jahr waren sogar zwei Weihnachtsmänner bei uns, und einmal wollte der Weihnachtsmann nicht wieder gehen, weil ihm der Schnaps von meinem Vater so gut schmeckte.
Pakete aus der DDR
Das Geschenkeauspacken war immer sehr schön. Meistens gab es Winterkleidung, Nüsse, Apfelsinen, ein Buch oder auch von meiner Tante eine Puppe oder ein neues Kleid für die Puppe, die ich im Vorjahr zu Weihnachten bekommen hatte.
Unsere kinderlosen Verwandten aus der ehemaligen DDR schickten regelmäßig zu Weihnachten ein Paket, und sie wünschten sich, dass es uns gut geht und wir Kinder schöne Geschenke bekommen. Da wir ein Einreisevisum für einen Besuch in Mecklenburg brauchten, dieses Visum mit hohen Gebühren verbunden war und Onkel Karl und Tante Martha nicht zu uns kommen durften, sahen wir uns eher selten.
Schlafanzüge von drüben
Die Beiden in Mecklenburg hatten vergessen, dass die Zeit bei uns auch nicht stehengeblieben war. Zudem waren mein Bruder Jürgen und ich größer geworden. In einem Jahr endete unsere Heiligabendfeier in einer Faschingsverkleidung. Jürgen und ich bekamen beide aus Mecklenburg einen schönen, angerauten Schlafanzug, der uns viel zu klein war – und wir beide machten trotzdem Anprobe. Jeder war so eingeengt in seinem Schlafanzug und sah aus wie eine Wurst in der Pelle. Wir lachten uns über uns selbst kaputt.

Erinnerungen an Weihnachten vor rund 60 Jahren: Gudrun Langner mit ihren Brüdern Jürgen und Rainer (re.) in Hahausen. Foto: Privat
Als mein acht Jahre jüngerer Bruder Rainer das Weihnachtsfest und den Besuch vom Weihnachtsmann bewusst erlebt und wahrgenommen hat, hatte sich für Jürgen und mich schon ein großer Teil des geheimnisvollen Weihnachtswunders gelegt. Wir haben für Rainer dann zwar mitgespielt und ihm nichts von unseren Erkenntnissen verraten, aber dahinter standen nicht mehr die ehrlichen Gefühle wie zu der Zeit, als wir mit großem Respekt und mit Ehrfurcht auf den Weihnachtsmann gewartet haben.
Reichtum als Frage des Herzens
Eins möchte ich aber zum Abschluss noch erzählen: Meine Freundin Yukiko hat gleich nach der Wende eine Busreise ins Erzgebirge gemacht. Sie war in Annaberg-Buchholz und erfüllt von der schönen Atmosphäre dort. Für mich hat sie von der Reise einen hübschen Herrnhuter Weihnachtsstern mitgebracht. Ich habe mich riesig gefreut und konnte dieses Geschenk kaum annehmen.
Ich musste daran denken, wie ich als Kind über den Besitz eines Herrnhuter Sterns gedacht habe. Und nach meinen damaligen Überlegungen musste ich mit einem Lächeln feststellen, dass auch ich mit meiner Familie jetzt zu den Reichen von Hahausen gehöre.
Und morgen Lesen Sie ...
„In ihren Augen ist ein Leuchten wie Diamanten“, eine romantische Geschichte aus Wiedelah.