Orgelstund‘ hat Gold im Mund

Kirchenorgeln sind wunderbare Klangwerke – und wichtig fürs Dorfleben. Foto: dpa/Hendrik Schmidt (Symbolfoto)
Das Leben auf dem Land ist himmlisch – vor allem im Harz und ganz besonders, wenn auch noch himmlische Musik erklingt. Florentine kann davon ein Liedchen singen und schreibt in ihrer Kolumne aus dem Nordharz über kuriose Erfahrungen beim Orgelspiel.
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Spielen Sie ein Instrument? Flöte, Geige oder Trompete? Dann kann ich Sie nur beglückwünschen. Sie können Ihr Instrument überallhin mitnehmen. Auf dem Rücken oder dem Fahrrad. Bei der Posaune oder der Tuba, die wir so gerne in den norddeutschen Posaunenchören hören, wird es schon etwas mühsamer. Musiklehrer warnen auch gerne vor der Harfe, für die man einen Kombi braucht. Aber nichts gegen die Orgel: Wenn Sie diese lernen möchten, brauchen Sie sogar Ihre private Kirche samt Instrument dafür. Am besten nah am Haus, damit Sie jeden Tag üben können. Sonst wird es nie was mit einem schmetternden Choralvorspiel oder gar einer fein geflochtenen Bach-Fuge.
Lieber Dorfkirche als Promi-Club
Hier auf dem Land wird mir dieser Lebenstraum erfüllt: Ich lerne in unserer Dorfkirche, die Königin der Instrumente zu spielen. Und ja, es ist genauso toll, wie man sich es vorstellt. Manchmal beneide ich mich selber. Wenn ich alleine oben auf der Empore sitze und den schönen Backsteinraum mit Musik flute, komme ich mir vor wie ein sakraler DJ. Der Bass wummert, dass die Scheiben beben, die sanfte Pfeife der Dulzflöte jubiliert als Melodie. Ich bestimme am Spieltisch, ob ich den Zimbelstern dazuschalte, eine Oboe näseln oder eine Posaune pusten lasse. Ich kann Klangfarben mischen wie die mixenden Mädels in der Panorama-Bar des Berliner Promi-Clubs Berghain und dazu singen, wenn ich Lust habe. Es ist ein wahrhaft göttliches Gefühl, so zwischen Himmel und Erde. Die Welt schaltet sich ein wenig aus, die Sorgen werden kleiner. Niemand findet mich. Niemand stört mich. Das Handy ist aus.
Krimifantasien auf der Empore
Das Schönste ist, auf meiner Orgelbank ganz allein über dem Kirchenschiff zu schweben wie in einem Nest. Meist ist keine Menschenseele da, wenn ich mir den riesigen Schlüssel aus dem geheimen Ort am Pfarrhaus hole, das schwere Portal aufschließe, an einem zweiten versteckten Ort den Schlüssel zur Emporentür aus einer Schublade nehme. Die Holztür zur Orgeltreppe knarrt beim Aufschließen. Und auf der engen Steintreppe, die sich hinaufwindet, kann einem ganz schwindelig werden. Wenn es schon dämmert, kommen mir auf der engen Treppe rauf zur Orgel manchmal Krimifantasien über Kathedralen-Mörder, die sich hinter dem nächsten Absatz verstecken. Das geht aber vorbei, wenn ich laut genug „Summ, summ, summ, Bienchen summ herum“ pfeife.
Das Ritual beim Ankommen an meiner Orgel ist immer gleich: Die Noten mit Fingerübungen und kleinen Choralsätzen rausholen, das Licht anmachen, natürlich die Orgelbank auf meine Höhe einstellen. Dass ich mit den Füßen an die Pedale komme, habe ich unserem Pastor und dem Kirchenvorstand zu verdanken, der die alte Bank durch ein neues, höhenverstellbares Modell ersetzt hat. Keine Ahnung, wie zuvor ganz kleine oder ganz große Musiker hier spielen konnten. Meine Beine hingen nämlich in der Luft und ich musste die wildesten Verrenkungen machen, um die Basslinien zu spielen. Mehr als einmal verlor ich dabei meine Schuhe.
Auch Katzen lieben Beethoven
Rechte Hand, linke Hand, dazu beide Füße auf den Pedalen – wer schon einmal versucht hat, mit vier Körperteilen gleichzeitig ein Musikstück zu spielen, ohne dass nur ein Halbton falsch ist, wird verstehen, dass ich oft auf der Empore vor mich hin fluche – und froh bin, allein zu üben, damit niemand Zeuge meiner Fehler wird. Es hilft nur das, was meine Orgellehrerin immer sagt: „Üben, üben, üben!“ Egal bei welchem Wetter. Im Winter trage ich an der Orgel Skiklamotten und eine Mütze. Denn kalt ist überhaupt kein Wort für den Zustand, in dem sich der Körper nach zwei Stunden Üben befindet. Dafür ist es im Sommer herrlich kühl.
Manchmal schleicht sich eine Zuhörerin – ja es sind meist Frauen – in die Kirche, setzt sich in eine Bank und meditiert. Ich versuche dann, besonders schön zu spielen. Natürlich geht das immer schief. Ich haue daneben und ärgere mich. Und fluche. Neulich aber miaute es, als ich die Noten für „Freude, schöner Götterfunken“ rausholte – das Stück, das ich bisher am besten kann. Ich schaute nach unten – und sah eine dreibeinige rote Dorfkatze vor dem Altar sitzen. Sie hörte meiner Musik zu. Göttliche Katzenmusik für die Katze. Ich liebe das Leben auf dem Land.
Eure Florentine
