Thorsten Wingenfelder im GZ-Interview: „Fury ist für Wingenfelder Fluch und Segen zugleich“

Die alte Schlosserei als neue Erfahrung: Gitarrist Thorsten Wingenfelder kommt am Freitag mit Bruder Kai zu Miner’s Rock an den Rammelsberg. Die Kaiserpfalz kennt das Duo von drei Auftritten mit Fury in the Slaughterhouse zwischen 1989 und 1992. Foto: dpa
Das Sabbatjahr ist vorbei: Miner’s Rock lädt für Freitag zur nächsten Konzert-Schicht an den Rammelsberg. Mit den Brüdern Thorsten und Kai Wingenfelder kommen zwei Musiker, die bereits über reichlich Erfahrung mit Goslar-Auftritten verfügen. GZ-Redakteur Frank Heine sprach vorab am Telefon mit Thorsten Wingenfelder, der inzwischen in der Nähe von Köln lebt.
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Gegenfrage: Warum?
Natürlich. Die Kaiserpfalz Goslar 1992 war für uns das erste große Festival, wo wir in der Größenordnung Headliner waren. Ich glaube sogar mit Bob Geldof und Fisher Z und wer noch alles dabei war. Es war ein wunderbarer Sonnentag, und die Kaiserpfalzwiese war pickepackevoll.
Ja, genau. Es war trotzdem meistens so, dass wir mit internationalen Stars gespielt haben wie Bob Geldof. Und wir waren uns dessen nicht bewusst, dass zwölf-, dreizehntausend Leute da hinziehen, und wir wirklich an dem Abend der Headliner waren. Wir haben den Tag unglaublich genossen. Es war wunderschön. Ich weiß noch, es war sehr warm und sonnig – so richtig ein „perfect day“.
Ja, stimmt, das war aber auch ein Ritual von uns mit den Fans. Daran erinnern wir uns immer wieder gerne. Es war eine der ganz großen Shows, die wir hatten in den 30 Jahren.
Mit Wolfgang und seiner Familie sind wir in Köln sehr befreundet. Wolfgang war damals für uns nicht ganz unwichtig. Er war der Erste aus der großen Musikerszene, der uns so ein bisschen unter seine Fittiche genommen hat. Der Klaus „Major“ Heuser auch. Wolfgang Niedecken saß damals beim Interview in Leipzig dabei, als wir ein Open Air gespielt haben.
Sie haben uns eingeladen, sie zu diversen Konzerten zu begleiten. Er hat sich immer dazugesetzt, hat mal so gehört, was wir erzählen, und hat uns ein bisschen beraten. Und daraus ist über die Jahre hin eine echte Freundschaft erwachsen.
Ja, gut, mit Preisen sind wir ja nicht gerade überhäuft worden. Wir laufen in dieser Hinsicht immer ein bisschen unterm Radar. Wolfgang hat den Preis natürlich vollkommen verdient, denn er ist einer der wenigen inhaltlichen und textlichen Sprachkünstler, die wir in der Qualität haben. Wir pflegen das in Deutschland nicht so, wie die Amerikaner das tun. Da beneide ich manchmal die USA ein bisschen: dass man dort Leute wie Leonard Cohen oder Bob Dylan so hoch hält und für die Jugend, für die nachwachsende Generation, auch sichtbar macht. Das tun wir hier nicht so gerne. So gesehen soll Wolfgang alle Preise kriegen, die er braucht. Wir sind, wie gesagt, sehr befreundet und treffen uns häufig. Anfang des Jahres gibt es immer ein Essen, wo wir uns gerade gesehen haben, und ich bin sehr glücklich, dass sich das so entwickelt hat.
Auf dem Weg von Hannover in den Harz wohnt unser Bruder Norbert. Aber ansonsten eigentlich kaum mehr. Außer, dass es einfach eine schöne Gegend ist. Und als das Angebot kam, bei Miner’s Rock zu spielen, dachten wir: Ach komm, da waren wir ja schon ’ne ganze Zeit lang nicht mehr. Lass uns mal machen.
Mit der letzten Tournee im Herbst waren wir ja erfolgreich am Start, und da war es schon klar, als das Ding im Vorverkauf war, dass wir wahrscheinlich noch nachlegen müssen. Und Goslar hatte sich in die Waagschale geschmissen, und wir hatten uns entschieden, das zu machen. Aufgrund der Vereinsstruktur und des ganzen Systems in Goslar war das etwas, was uns selbst überrascht hat und die Karten quasi im Fluge weg waren.
Das hat uns schon erstaunt, dass das so gut läuft, weil wir mittlerweile mit den neuen Shows 36 Konzerte spielen. Ich hätte gedacht, das wird bei Wingenfelder als Club-Band ein bisschen zäher laufen. Aber gut, es hat uns gefreut.
Fury ist für Wingenfelder Fluch und Segen zugleich. Es ist schön, wenn die alten Goslarer kommen und sich das angucken wollen. Bis jetzt war es immer so, selbst wenn wir hier und da noch einen Fury-Titel spielen, dass das Gesamtkonzept von Wingenfelder die Leute erfreut und überrascht hat. Also jeder, der bei unseren Konzerten war und als Fury-Freund gekommen ist, ist als Wingenfelder-Fan gegangen. Das ist für uns okay. Damit müssen wir leben. Aber Wingenfelder sind nicht Fury.
Wenn du die beiden Fury-Brüder in der Band hast, dann hast du einen charakteristischen Gitarrensound und natürlich die charakteristische Stimme am Start. Aber der große Unterschied besteht darin, dass wir in unserer Muttersprache singen. Und das verändert vieles. Das verändert einfach den Klang, es verändert auch den Inhalt und es verändert auch die direkte Ansprache.
Es geht tiefer, es werden Texte mitgesungen, es wird über Texte gesprochen nach den Konzerten. Es nehmen Leute konkret Bezug auf Songs. Du bist für Leute auf eine andere Art und Weise Soundtrack zum Leben.
Das ist immer schwer zu sagen. Wir hatten ein Wahnsinns-Fury-Jahr 2017. Und wir hatten ein Wahnsinns-Wingenfelder-Jahr 2018. Vor 2017 hätte ich gesagt: die Wingenfelder-Shows. Gerade wenn wir so etwas spielen wie Gloria in Köln oder vielleicht auch Miner’s Rock und Geschichten erzählen und in so einen Fluss kommen, und du merkst, das ganze Konzert läuft so voran und wird so uferlos, und die Leute fangen an zu weinen oder zu lachen – das ist toll.
Mich befriedigt das sehr. Ich gehe dann auch von der Bühne und bin auf eine sehr angenehme Art und Weise glücklich. Manchmal glücklicher, als bei den großen Fury-Shows früher, wo zehntausend Leute waren und man das Gefühl hatte, in so eine anonyme Masse reinzuspielen. 2017 war es aber anders. Die Konzerte in der Tui-Arena waren einfach Gottesdienste. Und deswegen bin ich happy, dass ich beides machen darf.
Wir hatten einen riesigen Output und dann quasi eine Art Doppelalbum gemacht, und eine Limited Edition. Die hat sich durchgesetzt. Es ist ein bisschen anachronistisch, 21 Songs rauszubringen. Aber wir haben es gemacht. Das Ding ist auf Platz neun gechartet. Das ist sehr erfolgreich für uns. Die Plattenfirma hat es uns geschenkt, dass wir das machen durften. Und wir sind halt auch ein bisschen vom alten Schlage.
Ne ganze Menge. Wir haben das ein bisschen verändert. Ich glaube, das sind bei zwei Stunden und 15 Minuten zehn, elf neue Songs von dem Album.
Davon gehe ich aus. Aber vor allem ist jeder Abend anders. Ob in Rietberg oder in Jena oder in Wilhelmshaven: Jeder Abend hat zwar die gleichen Songs – nicht immer, aber oft –, und trotzdem läuft es anders. Manchmal ist es lustig, manchmal sehr kompakt, manchmal ist es eher melancholisch. Jeder Abend ist ein Unikat.
Ich habe schon ein bisschen ins Netz geguckt. Das macht man einfach so. Wenn ich jetzt in Wilhelmshaven im Pumpwerk spiele, dann weiß ich, wie es aussieht. Und bei Miner’s Rock habe ich auch schon geschaut. Und trotzdem: So ganz richtig bin ich noch nicht im Bilde. Aber viele Leute sagen: wunderbar, großartig, freut euch drauf.
Ich freue mich. Super!
Sehr viele. Ich wohne jetzt in der Nähe von Köln im oberbergischen Land, weil ich mit einem „Kölsche Mädche“ verheiratet bin. Mein Bruder wohnt oben im hohen Norden. Aber wir sind sehr oft in Hannover. Hannover ist einfach die Stadt, wenn ich dich irgendwo hinfahren müsste, wo ich mich auskenne. Wo die anderen Furys wohnen. Wo Freunde von uns wohnen. Wenn wir mit den Furys oder manchmal auch mit Wingenfelder proben, dann immer noch teilweise in unserem alten Probenraum in der Glocksee. Und Hannover ist natürlich immer noch die zentrale Stadt für das ganze System Wingenfelder und Fury.
Das kann sein. Wir freuen uns, und wir leiden mit dem ganzen System Hannover 96. Im Moment leiden wir. Wie sagte Wolfgang Niedecken so schön: „Drei Sachen kannst du dir nicht aussuchen: deine Mutter, deinen Vater und deinen Club.“
Meine Kinder sind hier reingeboren. Die sind so ein bisschen FC-affin. Mein ältester ist Borussia-Dortmund-Fan seit ewigen Zeiten schon. Aber Hannover ist so eine Sache – da muss ich dann durch auf der Couch.
Das steht für das Wortspiel. Das ist ja gerade der Witz an der Sache. Das war damals wahrscheinlich eine schwachsinnige Idee, diesen Namen zu wählen. Aber es steht für beides.
Natürlich war Fury damals als Pferd gedacht. Und das Wortspiel Raserei im Schlachthof zu nehmen, war eine schwachsinnige Idee von Kai damals, weil wir einen Namen brauchten. Und den Namen konnten wir nicht mehr abstreifen, weil es in der Club-Szene in Hannover relativ schnell losging mit dem Bekanntheitsgrad. Und deswegen haben wir den dann auch beibehalten.
Ein Jahr Pause ist vorbei: Nach der zehnten Schicht mit Jan-Josef Liefers und Radio Doria im Oktober 2017 hatte sich Miner’s Rock für 2018 eine Auszeit genommen. Jetzt melden sich die Konzert-Veranstalter mit Wingenfelder zurück – und haben prompt ein ausverkauftes Haus mit 700 Besuchern nicht nur am Freitag mit den einstigen Fury-Brüdern, sondern auch am Samstag, wenn die Dark-Rock-Band Mono Inc. in der alten Schlosserei am Rammelsberg gastiert. Ein Interview mit deren Sänger Martin Engler folgt in der Donnerstag-Ausgabe.
Am Freitag zu Wingenfelder ist um 19 Uhr Einlass, das Vorprogramm startet um 20 Uhr. Eröffnet wird die Schicht von Björn Paulsen. Der Musiker aus der norddeutschen Kleinstadt Niebüll (Schleswig-Holstein) wurde unter anderem durch die Castingshow „X-Factor“ bekannt. Er bietet seinen Zuhörern einen Mix aus Pop und Rock mit viel handgemachter Musik