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Made in Harz

St. Andreasberger Wilhelm Trute gilt als Erfinder des Harzer Rollers

Zitronengelb und mit einem ruhigen Gesang gesegnet: ein Harzer Roller in einem typischen Holzbauer.  Archivfoto: Siebeneicher

Zitronengelb und mit einem ruhigen Gesang gesegnet: ein Harzer Roller in einem typischen Holzbauer. Archivfoto: Siebeneicher

Das ist nun wirklich eine schöne Quizfrage: Was bezeichneten Oberharzer ursprünglich als Harzer Roller? Einen auf besondere Weise singenden Vogel, einen berüchtigten Käse oder den temperamentvollen ehemaligen Außen-, Wirtschafts- und Umweltminister Sigmar Gabriel?

Von Oliver Stade Freitag, 13.09.2019, 12:19 Uhr

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Im Prinzip sind alle Antworten richtig. In Berlin und zuvor schon während dessen politischer Zeit in Hannover soll mancher das Goslarer Politikschwergewicht Gabriel „Harzer Roller“ genannt haben, wohl wegen dessen verbaler Wucht. Über den Sauermilchkäse findet sich sogar ein entsprechender Wikipediaeintrag. Richtig ist aber, dass ursprünglich die gelben Kanarienvögel so bezeichnet werden. Die waren noch vor Erfindung des Harzkäses und vor Sigmar Gabriel als Harzer Roller weltberühmt.

{picture1s} Die Bergleute züchteten die gelbfarbenen bis dunkelgrünen Piepmätze einst und exportierten sie in viele Länder. Der Name Harzer Roller rührt vom drollig rollenden Gesang der Vögel her. Der ist tiefer und ruhiger als das übliche Kanarienvogelgezwitscher, erinnert aber mitunter an die Nebengeräusche früherer Radios, wenn sich der Sender nicht richtig einstellen ließ.

Die munteren Vögelchen bringen ihre schnarrenden tiefen Töne mit geschlossenem Schnabel hervor. „Das kann sonst keiner“, sagt Jochen Klähn, und der muss es wissen, er leitet das Kanarien-Museum in St.Andreasberg. In der ehemaligen Gaipelwärterwohnung der Grube Samson, eine Art Hausmeisterwohnung, knarzen die Dielen wie in einer Oberharzer Stube. Steil aufwärts geht es zunächst über Holzstufen in das einzige Kanarien-Museum Deutschlands. 2001 wurde es eingerichtet. Zu sehen gibt es historische Käfige, Nester, Tränken, Plaketten und Plakate und natürlich die original Harzer Roller.

Noch mal zum Gesang: Der wird als klar beschrieben, bestehend aus wechselnden Schlägen, Trillern und Rollern. Auf Wikipedia heißt es weiter an einer Stelle, die an Loriots Jodeldiplom erinnert: „Der Vogel singt lülülü oder lololo bis zum tiefen lululu in leicht abgesetzter Form.“ Zu verdanken sein soll dieser Gesang dem Bergmann und Vogelzüchter Wilhelm Trute (1836 bis 1889). Der Überlieferung nach hat er die ersten Harzer Roller gezüchtet, die den typischen Gesang beherrschten. Dafür wurde Trute weltweit bekannt. Die Harzer Roller wurden auch in anderen Orten gezüchtet, aber St.Andreasberg wird die Hochburg. Die Geschichte der gefiederten Roller ist schnell erzählt: Um das Jahr 1730 bringen Tiroler Bergleute die Kanarienvögel in den Harz. 1806 lässt sich ein hauptberuflicher Vogelhändler ins Stadtregister eintragen. Und 1824 werden in St. Andreasberg bereits rund 4000 Kanarienhähne pro Jahr verkauft.

Die Weibchen bleiben im Harz, verkauft werden die Männchen. Steckt besonderer Geschäftssinn dahinter, damit niemand sonst die Roller züchtet? Oder werden deshalb nur die Hähne verkauft, weil sie wegen ihres Balzverhaltens schöner singen? In Fachkreisen genießt die Bergstadt jedenfalls den Ruf, dass nirgendwo sonst so gute Kanarienvögel gezüchtet werden.

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Der Exporterfolg setzt sich fort. 1866 wird in St.Petersburg eine Verkaufsstelle für die Oberharzer Piepmätze eröffnet. 1882 bis 1883 führt der Großhändler C. Reiche nach New York (!) 120.000 Kanarienhähne aus – ein Harzer Produkt in der Weltstadt! Auch andere Kontinente werden beliefert, Südamerika, Australien, Südafrika. St.Andreasberg schwingt sich zum Weltzentrum der Kanarien-Zucht auf, und der Vogelexport entwickelt sich zu einem wichtigen Wirtschaftszweig der Stadt.

Ohnehin gehörten die Harzer Bergleute seinerzeit einer innovativen Branche an. Sie erfanden das Drahtseil, die Fahrkunst, ein vorindustrieller Lift, der die Bergmänner in die Schächte und aus ihnen heraus brachte. Und sie nutzten die Kanarienvögel als Frühwarnsystem. Die kleinen Sänger waren lebendige Alarmanlagen. Die Tiere warnten vor „matten Wettern“, vor giftigen Gasen wie Kohlenmonoxid und Sauerstoffmangel. Verstummte der Vogel im Schacht, war es für den Bergmann angesichts des toten Vogels höchste Zeit, über Tage zu kommen. Der Kanarienvogel eignet sich für einen solchen Gefahreinsatz unter Tage gut, weil er sehr schnell auf Kohlenmonoxid reagiert.

Goethe hat sich im Harz mehrfach über den Bergbau informiert. Er reiste auch nach St.Andreasberg. Die Harzer Roller lernte er wohl nicht kennen. Als er 1777 in die Grube Samson einfuhr, stand die große Zeit der Kanarienzucht noch bevor. Wer weiß, wie der Großpoet, der dieses Jahr 270. Geburtstag gefeiert hätte und vom Land, „wo die Zitronen blühn“ schwärmte, die Zitronenvögel aus dem Harz verewigt hätte? Hätte er sonst derart trübe Zeilen nach seinem Besuch in St.Andreasberg notiert? Ihm „ward sehr sauer“, hatte der Dichterfürst geschrieben, als er aus der Grube Samson kam.

Und heute, wie geht es weiter mit den Harzer Rollern? Glücklicherweise ist Jochen Klähns Nachfolge gesichert. Wenn der 80-Jährige als Museumschef ausscheidet, führen der frühere Bürgermeister Hans-Günter Schärf und Forstwirt und Welterbe-Führer Christian Barsch als Pächter die Grube Samson samt Kanarien-Museum weiter. Im Museum pfeifen und trillern zwar auch noch Harzer Roller. Wer aber Interesse an einem Vogel hat, wendet sich besser an die Harzer Interessengemeinschaft der Gesangskanarienzüchter. Der St.Andreasberger Volker Jung ist Mitglied und gibt gerne Auskunft, Telefon (05582) 28789575.

Es gibt auch andernorts Freunde der Harzer Roller. Auf Youtube sind einige Sänger zu hören, wie sie minutenlang ihr lülülü, lololo und lululu trällern – bei geschlossenem Schnabel, versteht sich.

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