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Niedersachsen

Migration, Kriminalität und Angst – was die Statistik zeigt

Die Gewaltkriminalität ist zuletzt gestiegen. Ob sich Kriminelle von Waffenverbotszonen abschrecken lassen, ist fraglich. (Archivbild)

Die Gewaltkriminalität ist zuletzt gestiegen. Ob sich Kriminelle von Waffenverbotszonen abschrecken lassen, ist fraglich. (Archivbild) Foto: Arne Dedert/dpa

Menschen in Niedersachsen fühlen sich im öffentlichen Raum manchmal unsicher – obwohl die Kriminalitätsrate unter dem Bundesschnitt liegt. Was die Polizei dazu sagt und was Migration damit zu tun hat.

Von Leonard Fischer, dpa Sonntag, 02.11.2025, 05:40 Uhr

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Hannover. Nach den „Stadtbild“-Äußerungen von Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) ist die öffentliche Debatte um Migration und ihre Auswirkungen auf die innere Sicherheit neu entfacht. Während Kritiker in den Merz-Worten eine pauschale Stigmatisierung von Menschen mit Migrationsgeschichte und eine Anknüpfung an rechte Narrative sehen, begrüßen Befürworter, dass der Kanzler Probleme bei irregulärer Migration und Kriminalität offen anspricht.

Forscher: Zusammenhang zwischen Migration und Kriminalität

Aus Sicht von Michael Windzio, der Professor für Migration und Stadtforschung am Institut für Soziologie der Universität Bremen ist, sollte man einen Zusammenhang zwischen Migration und Kriminalität nicht prinzipiell abstreiten. Asylantragsteller aus Nordafrika seien etwa in der Polizeilichen Kriminalstatistik für Niedersachsen bei den Tatverdächtigen stark überrepräsentiert.

Nach Einschätzung des Wissenschaftlers liegt das jedoch hauptsächlich an der sogenannten „sozialen Selektivität der Migration“. Das bedeutet: Bestimmte Gruppen von Ausländern haben einen größeren Anreiz zur Einwanderung nach Deutschland als andere. Das gelte etwa für die kleine Teilgruppe junger Männer in Nordafrika, die bereits im Herkunftsland kriminell aktiv waren oder sich sogar der Strafverfolgung entziehen wollten.

Kriminelle Aktivitäten hier ertragreicher als im Herkunftsland

„Wie die meisten Menschen sind natürlich auch junge kriminelle Nordafrikaner rationale Akteure, wenn es um derartigen Migrationsentscheidungen geht“, sagte der Forscher. Begünstigende Faktoren seien etwa Kontakte zu Verwandten, Freunden oder Bekannten im Zielland. Zudem seien kriminelle Aktivitäten im „reichen Deutschland“ ertragreicher als im Herkunftsland, und auch der Strafvollzug sei oft weniger belastend.

Ein weiteres Problem ist aus Sicht von Windzio, dass Migranten nach einer Ablehnung ihres Asylantrags häufig nicht ausreisen. Etwa die Hälfte der Anträge werde abgelehnt. „Es gibt also zahlreiche ausreisepflichtige Personen, für die kein Anreiz für eine Integration besteht“, sagte der Forscher.

Innenministerin: Gefühlte Unsicherheit größer als tatsächliche

Nach Ansicht der niedersächsischen Innenministerin Daniela Behrens (SPD) weicht das Sicherheitsgefühl vieler Menschen von der Realität ab. „Viele glauben, dass man heute kaum noch vor die Tür gehen kann, ohne Opfer von Kriminalität zu werden“, sagte sie.

Tatsächlich sei die Kriminalität seit den 1990er Jahren deutlich gesunken, selbst 2006 sei die Belastung höher gewesen. „Zur Wahrheit gehört aber auch: Die Gewaltkriminalität ist zuletzt gestiegen, vor allem bei Rohheitsdelikten und Straftaten gegen die persönliche Freiheit“, sagte Behrens weiter.

Aktuelle PKS zeigt leichten Rückgang der Gesamtkriminalität 

Das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen (KFN) verweist auf die aktuelle Polizeiliche Kriminalstatistik für 2024, die einen leichten Rückgang der Gesamtkriminalität zeigt. Das Niveau liege unter dem Zehnjahresdurchschnitt und weit unter den Höchstständen der 1990er Jahre. Die Gewaltkriminalität nehme aber weiter zu, darunter Rohheitsdelikte, Straftaten gegen die persönliche Freiheit und häusliche Gewalt. Eigentumsdelikte wie Einbrüche und Diebstähle gingen dagegen zurück, so das Innenministerium.

Die Entwicklung der Gesamtkriminalität fällt regional unterschiedlich aus. In Hannover seien die Fallzahlen in der stark besuchten Innenstadt zuletzt leicht zurückgegangen, wie die dortige Polizei erklärte. Im Zuständigkeitsbereich Göttingen hingegen stiegen die registrierten Straftaten in den vergangenen Jahren, ebenso die Zahl der Gewaltdelikte. 

Körperverletzungs-, Raub- und Rauschgiftdelikte bei Dunkelheit

In mehreren Städten wurden nach Einbruch der Dunkelheit vor allem Körperverletzungs-, Raub- und Rauschgiftdelikte festgestellt. Die Polizei Osnabrück verwies außerdem auf alkohol- und drogenbedingte Gewaltdelikte. Taschen- und Handydiebstähle treten laut Polizei Oldenburg vor allem an belebten Orten auf.

Mehrere Polizeien nannten Bahnhofsbereiche, Party-Hotspots und schlecht einsehbare Wege als besonders von Kriminalität belastete Orte. Laut Polizei Lüneburg bieten etwa schlecht beleuchtete und wenig besuchte Orte wie Parks, Unterführungen, abgelegene Fußwege, Parkhäuser, Hinterhöfe oder einsame Haltestellen potenziellen Tätern angesichts fehlender sozialer Kontrolle günstige Bedingungen.

Nach Angaben des Innenministeriums ist in bestimmten Bereichen ein deutlicher Anstieg der Kriminalität zu verzeichnen, etwa bei Gewaltdelikten. Hier stieg demnach besonders die Gewalt gegen Einsatzkräfte wie Polizei, Rettungsdienste und Feuerwehr. Auch bei häuslicher Gewalt in Partnerschaft und Familie gab es eine Zunahme. Dagegen sei Eigentumskriminalität wie Wohnungseinbruch und Diebstahl rückläufig.

Innenministerium: „Wir leben in einem sehr sicheren Bundesland“

Studien zeigen jedoch laut Innenministerium: Menschen können sich auch in objektiv sicheren Regionen unsicher fühlen – etwa aufgrund medialer Berichterstattung, persönlicher Erfahrungen oder sozialer Faktoren. „Besonders vulnerable Gruppen, darunter Frauen und ältere Menschen, empfinden häufiger Unsicherheit, obwohl sie statistisch seltener Opfer von Straftaten werden“, heißt es vom Ministerium. 

Das Innenministerium sieht generell keinen Grund für übermäßige Furcht. „Grundsätzlich kann für Niedersachsen festgehalten werden, dass wir in einem sehr sicheren Bundesland leben. Die Kriminalitätsbelastung liegt seit Jahren konsequent unter dem Bundesschnitt“, sagte ein Sprecher.

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