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Missbrauchsverfahren gegen Eltern

„Brachial absurd“: Psychologin über Aussagen des angeblichen Opfers

Vierter Verhandlungstag vor dem Landgericht Braunschweig im neu aufgerollten Missbrauchsverfahren gegen zwei Eltern aus Goslar: Die beiden Angeklagten mit ihren Verteidigern.

Vierter Verhandlungstag vor dem Landgericht Braunschweig im neu aufgerollten Missbrauchsverfahren gegen zwei Eltern aus Goslar: Die beiden Angeklagten mit ihren Verteidigern. Foto: Klengel

Für Schein-Erinnerungen hält eine Psychologin die Aussagen einer 25-Jährigen aus Goslar. Die Eltern der Frau stehen abermals vor Gericht, weil der Bundesgerichtshof das Urteil von 2023 aufgehoben hat. Damit wachsen die Zweifel an dem Urteil weiter.

Von Corina Klengel Dienstag, 27.08.2024, 04:00 Uhr

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Braunschweig. Am vierten Verhandlungstag gegen ein Ehepaar aus Goslar, das sich schon zum zweiten Mal wegen schwerer Straftaten gegen ihre 25-jährige Tochter beziehungsweise Stieftochter verantworten muss, schlug Justitias Waage abermals zugunsten der beiden Angeklagten aus. Eine Aussage-Psychologin mit langjähriger Erfahrung demontierte am Montag vor dem Landgericht Braunschweig die Glaubwürdigkeit der 25-jährigen Hauptbelastungszeugin.

Die Anklage mit grausigen Vorwürfen, die über jahrelange Folter, Zwangsprostitution, Körperverletzungen, Vergewaltigungen und einen verabredeten Mord reichen, erscheint immer schwerer beweisbar. Weil die angeblichen Taten einzig auf der Aussage der 25-Jährigen mutmaßlichen Geschädigten basieren, die sich bereits seit Jahren in therapeutischer Behandlung befindet und als psychisch labil gilt, hob der Bundesgerichtshof (BGH) das Urteil des Landgerichtes Braunschweig aus dem vergangenen Jahr auf. Die 9. Strafkammer verurteilte die Mutter und den Stiefvater der 25-Jährigen, die in diesem Verfahren als Nebenklägerin auftritt, seinerzeit zu langen Haftstrafen. Im Juni wurde das Ehepaar indes aus der U-Haft entlassen, weil es nicht mehr als dringend tatverdächtig, sondern lediglich als tatverdächtig gilt.

Befragung abgebrochen

Lieferte die 25-Jährige noch im ersten Verfahren eine beeindruckend detailreiche Aussage ab, so musste die Aussage aus der vorigen Woche, für die die Öffentlichkeit ausgeschlossen wurde, abgebrochen werden, wie nun zu erfahren war. Richterin Petra Bock-Hamel befragte einen Psychologen, ob in absehbarer Zeit noch mit der Vernehmungsfähigkeit der 25-Jährigen zu rechnen sei, was dieser nicht bestätigen konnte. Im ersten Verfahren war nur eine Videoaufzeichnung der Aussage der 25-Jährigen im Gerichtssaal vorgeführt worden. Die eigentliche Vernehmung der Nebenklägerin erfolgte vor einem kleineren Gremium im Amtsgericht Braunschweig.

Am Montag äußerte sich nun Dr. Bettina Rheinhold, die bereits in einem anderen Verfahren mit einem aussagepsychologischen Gutachten zu der 25-Jährigen betraut war, zu deren Angaben. „Das ist ein lehrbuchartiger Fall von Scheinwahrnehmung“, sagte sie zu den umfangreichen Vorwürfen, mit denen die 25-Jährige mittlerweile eine ganze Reihe von angeblichen Tätern belastet.

Man müsse hellhörig werden, wenn plötzlich Erinnerungen aufträten und diese sich ausweiteten, erläuterte die Psychologin. Insbesondere zur Panik neigende Patienten mit einer paranoiden Grundhaltung, zu denen sie die 25-Jährige zähle, würden zu derartigen fehlerhaften Erinnerungen neigen. Es handele sich nicht zwingend um bewusstes Lügen, die junge Frau glaube möglicherweise zeitweise wirklich, dass sie von Scharen von Männern vergewaltigt worden sei.

Ursächlich für die fehlerhafte Aussage könnten nach Auffassung der Psychologin die sich wiederholenden Fragen nach sexueller Gewalt durch den Therapeuten und die betreuenden Sozialarbeiterinnen gewesen sein. Diese seien sich der Suggestionswirkung ihrer Fragen vielleicht nicht bewusst gewesen. Die Patientin sei ein Charakter, der es anderen stets recht machen wolle. Sie habe allen das gesagt, von dem sie glaubte, dass es die Therapeuten hätten hören wollen.

Aussage zurückgenommen

Die Psychologin berichtete, dass die 25-Jährige die Aussage gegen ihre Mutter und ihren Stiefvater zwischenzeitlich zurücknahm, dann aber wieder bekräftigte. Die Vorwürfe, die immer monströser wurden, die 25-Jährige berichtete schließlich von Zwangsprostitution und Massenvergewaltigung, bezeichnete die Psychologin am Montag als „brachial absurd“.

Dass die Glaubwürdigkeit der Nebenklägerin mehr und mehr Risse bekommt, wirft auch Fragen zu dem Prozess gegen die ehemalige Lebensgefährtin der 25-Jährigen auf. Miriam A. wurde 2022 ebenfalls aufgrund der Angaben der 25-Jährigen zu einer Haftstrafe verurteilt. So befragte die Vorsitzende Richterin am Montag eine als Zeugin geladene Kripobeamtin nach ihrem Eindruck zu den Aussagen über die Lebensgefährtin der 25-Jährigen. Zu den Beweisen gegen Miriam A. zählten damals auch Videos, auf denen diverse Misshandlungen der 25-Jährigen zu sehen waren. Nun drängte sich die Frage nach der Echtheit dieser Videos auf. Diese konnte von der befragten Polizeibeamtin weder bestätigt noch bezweifelt werden.

Am Mittwoch wird die Verhandlung fortgesetzt, dann will das Gericht das Video anschauen und bewerten, in dem die 25-Jährige ihre Vorwürfe gegen ihre Mutter und ihren Stiefvater formuliert hatte.

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