Zähl Pixel
Psychiatrische Behandlung

Transfrau wirft ehemaligen VW-Kollegen Mobbing vor

Veronika M. wusste schon als Kind, dass sie eigentlich ein Mädchen ist – die Geschlechtsangleichung ließ sie mit Mitte 30 vornehmen. Foto: Hannah Schmitz

Veronika M. wusste schon als Kind, dass sie eigentlich ein Mädchen ist – die Geschlechtsangleichung ließ sie mit Mitte 30 vornehmen. Foto: Hannah Schmitz

Nach 18 Jahren bei VW ist die 51-jährige ehemalige Gabelstaplerfahrerin inzwischen Frührentnerin und befindet sich in psychiatrischer Behandlung. Ihre Kündigung bereut sie heute, damals sah sie keinen anderen Ausweg.

Montag, 04.04.2022, 16:30 Uhr

Für nur 0,99 € alle Artikel auf goslarsche.de lesen
und im ersten Monat 9,00 € sparen!
Jetzt sichern!

Wolfsburg. Es ist schon einige Jahre her, dass Veronika M.* bei Volkswagen in der Produktion gearbeitet hat. Doch der Schmerz über dort erfahrenes Mobbing hält an. „Ich möchte Genugtuung“, sagt sie, als sie sich im vergangenen Jahr an unsere Zeitung wendet. M. ist in psychiatrischer Behandlung. Nach eigenen Aussagen hat sie eine posttraumatische Belastungsstörung, eine depressive sowie eine Borderline-Störung. Ersteres, sagt sie, sei eine Folge des Mobbings.

M. arbeitete 18 Jahre lang bei VW, erst in Wolfsburg, dann in Braunschweig. 2016 hat sie selbst gekündigt, „weil ich es nicht mehr aushielt“. Heute ist sie 51 Jahre alt und Frührentnerin wegen Erwerbsunfähigkeit. Im Nachhinein bereute sie ihre Kündigung, denn sie hat sie in Existenzsorgen gestürzt. Doch damals sah sie nach eigenen Angaben keinen anderen Ausweg, berichtet die Magdeburgerin.

Kollegen hätten sie immer wieder gestichelt, hinter ihrem Rücken getuschelt, sich über sie lustig gemacht. Zu einer Teamfeier sei sie zum Beispiel nicht eingeladen worden. Als sie nach dem Grund fragte, habe ihr ein Kollege geantwortet: „Weil wir dich sonst verprügeln würden.“ Als sie fragte, warum, soll er gesagt haben: „Weil du transsexuell bist.“ Kollegen und Kolleginnen hätten außerdem weiter als „er“ über sie geredet. An einem Tag zog sie nach Feierabend ihre Jacke aus und entdeckte einen angeklebten Zettel auf der Rückseite – darauf prangte ein aufgemalter Penis.

„Ich habe mittags dann meine Pause immer alleine verbracht und bin um das Werk gelaufen“, erzählt Veronika M. Wenn ihre Schicht vorbei war, habe sie manchmal im Auto gesessen und geschrien.

Die 51-Jährige erzählt, sie habe sich schon immer weiblich gefühlt. „Als kleines Kind dachte ich, ich bin ein Mädchen, das mit Jungs spielt.“ 1985 habe sie dann einen Film über die transsexuelle Tennisspielerin Renée Richards gesehen, der habe ihr die Augen geöffnet. Endlich verstand sie, was mit ihr los war, wer sie war, dass sie nicht allein war. Aber der Weg bis zur Geschlechtsanpassung war noch lang und steinig.

Als Mann, mit Bomberjacke und 6-Millimeter-Frisur, lernte sie 1992 ihre spätere Frau kennen, Jennifer*. „Wir haben damals zusammen einen Professor aufgesucht, bei dem ich eine Geschlechtsangleichung machen wollte“, erinnert sich M. Andererseits sei die Beziehung zu ihrer Freundin so harmonisch gewesen, so schön, so anders als sie Beziehungen bisher kannte. In ihrer Familie hat sie sexuellen Missbrauch und Gewalt erlebt, erzählt sie. Ihr Arzt wird ihr später sagen, dass ihre Trans-Identität sie dieses Umfeld hat überleben lassen – „weil ich mit meinem Kopf woanders war“.

Dieses Glück mit Jennifer wegschmeißen für so ein unerklärliches, verrücktes Gefühl, eine Frau zu sein, obwohl man doch ein Mann ist? „Da habe ich gedacht, ich habe einfach einen Dachschaden.“ 1995 heiraten M. und Jennifer, 1999 bekommen sie eine Tochter, 2002 bauen sie ein Haus in der Nähe von Wolfsburg. „Ich habe alles versucht“, sagt Veronika M.

Und obwohl sie sich in den eigenen vier Wänden immer wieder wie eine Frau anzieht, sich dann ihrer Identität hingibt, geht irgendwann gar nichts mehr. „Ich hatte Panikattacken, Magenkrämpfe, Blut im Stuhl. Eines Abends saß ich am Abendbrottisch und war einfach weg.“ Der Notarzt kommt, eine Zeit lang fast wöchentlich. 2003, ihre Tochter ist vier Jahre alt, geht sie das erste Mal in eine Psychiatrie. Sie entscheidet, nun als Frau zu leben. „Veronika wollte raus“, sagt sie. Ihren Namen hatte sie da schon längst. „Den habe ich spielerisch mit Jennifer gefunden“, so M. Zu ihrer Ex-Frau hat sie heute noch Kontakt, sie ist ihr eine gute Stütze.

Nach so vielen Jahren, so vielen inneren Kämpfen macht Veronika M. 2003 schließlich Nägel mit Köpfen. Sie schluckt Hormone und lässt sich 2004 dutzende Male operieren – im Genitalbereich, an den Brüsten. „Das war ein befreiendes Gefühl. Ich habe es nie bereut“, sagt sie. Die Gabelstaplerfahrerin fällt monatelang auf der Arbeit aus. Als sie zurückkommt, ist sie kein Mann mehr, sondern eine Frau. „Mit dem Coming-Out hat sich mein Arbeitsplatz zur Hölle für mich entwickelt“, sagt Veronika M.

2006 wechselt sie ins Braunschweiger VW-Werk, um den Sprüchen ihrer Kollegen in Wolfsburg zu entgehen. In Braunschweig, bemängelt sie, habe der Betriebsrat sie schon vorher als transsexuelle Person angekündigt. „Das war dolle kontraproduktiv. Das wäre meine Aufgabe gewesen, das macht man persönlich“, sagt M. Sie fing als Gabelstaplerfahrerin im Versand an, war später in der Kunststofftechnik. „Da war es genauso schlimm. Sie haben mich weiter ,er’ genannt und sich nicht mit mir unterhalten. Manche haben sich auch nicht getraut aus Angst, dass sie dann auch gemobbt werden“, glaubt M. Ihr sei Prügel angedroht worden, Kolleginnen machten ihr klar, dass sie in ihrer Waschkaue nichts zu suchen habe. Seitdem zog sie sich immer zu Hause um. Michael Kothe ist Betriebsrat in Braunschweig. „Ich kann mich noch gut an Veronika erinnern“, sagt er. Sie sei sehr offen gewesen, er hat das Verhältnis zu ihr als sehr gut und vertrauensvoll empfunden. Deswegen wundere er sich nun. Nicht der Betriebsrat, sondern „irgendjemand“ habe dem Meister gesteckt, dass die künftige Kollegin eine Transfrau sei. „Wir haben Schweigepflicht“, sagte er.

„Ich habe sie als Frau anerkannt, ganz klar. Ich habe ihr ganz bewusst, wie auch allen anderen Frauen, am 8. März zum Beispiel eine Rose gegeben. Darüber hatte sie sich sehr gefreut“, erinnert sich Kothe. Er habe ihr seinen Schutz versprochen und auch mal Kollegen zurechtgewiesen, die „Sprüche“ gemacht hätten. „Dann wurde es besser“, sagt Kothe. Und: „In der Industrie ist es manchmal etwas rauer. Wenn jemand etwas sensibler ist...“ Kothe wechselte 2015 den Bereich, der Kontakt zu M. brach damit ab.

VW erklärte auf Anfrage, dass es bei Volkswagen verschiedene Anlaufstellen gebe, bei denen man Verstöße melden kann, zum Beispiel im Hinweisgebersystem. Seit dem vergangenen Jahr gebe es eine eigene trans* Arbeitsgruppe, „um das Thema zu adressieren“. Zudem gebe es Diversity-Teams und Diversity Managerinnen und Manager in den Marken und Gesellschaften.

„Der Bereich lief 31 Jahre lang unter Frauenförderung, die Ausweitung zum Diversity Management erfolgte vor ein paar Jahren. Mit der Ausweitung ging eine intensivere Auseinandersetzung mit sexueller und geschlechtlicher Vielfalt einher“, teilte eine Sprecherin mit.

M. kündigte 2016. Sie sagt, es habe auch gute Kollegen gegeben, nette. Mit einem aus Wolfsburg sei sie immer noch hin und wieder im Kontakt. Sie glaubt aber auch, dass der Betriebsrat und die meisten Kollegen und Kolleginnen froh waren, als sie weg war. Für sie selbst war die Kündigung ein Eigenschutz, sagt sie. Und: „Ich war eigentlich immer stolz darauf, bei VW zu arbeiten.“

*Namen von der Redaktion geändert

Von Hannah Schmitz

Diskutieren Sie mit!
Meistgelesen
Weitere Themen aus der Region

Weitere Themen