Kritische Fragen: Thüringer Bürgermeister verletzt Reporter

Der Moment, als Bürgermeister Thomas Weigelt (parteilos) mitten auf dem Markt den Reporter der Ostthüringer Zeitung angreift. Foto: Peter Hagen/OTZ
Der parteilose Bürgermeister von Bad Lobenstein, Thomas Weigelt, hatte zum offiziellen Empfang im „Neuen Schloss“ auch einen ein bekannter Vertreter der Reichsbürgerszene geladen. Kritische Nachfragen wollte er mit Gewalt unterbinden.
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Plötzlich geht Thomas Weigelt los, mit schnellen Schritten, den linken Arm voraus. Der Bürgermeister von Bad Lobenstein drängt den Reporter zurück, drückt gegen das Handy des Journalisten, schubst, immer weiter. Bis der Reporter auf den Pflastersteinboden stürzt. Die Videoaufnahme von dem Handy zeigt nur noch Grau, im Hintergrund ist Blasmusik zu hören.
Peter Hagen ist Reporter der Ostthüringer Zeitung (OTZ), die wie etwa auch die Braunschweiger Zeitung zur Funke Mediengruppe gehört. Er wollte von dem öffentlichen Empfang durch den Bürgermeister auf dem Stadtfest der Kleinstadt in Thüringen berichten, auch Aufnahmen machen. Doch Bürgermeister Weigelt attackierte Hagen, wollte die Aufnahmen mit körperlicher Gewalt unterbinden. Bei dem Sturz wurde der Reporter nach eigenen Angaben leicht verletzt, ein Teil der Kameraausrüstung zerstört.
Ramelow: Geht gar nicht
Nach dem Angriff äußerten sich Politiker bestürzt. Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) verwies bei Twitter darauf, dass für den Empfang Steuergelder und Amtsräume genutzt wurden. „Ein Bürgermeister greift einen Journalisten persönlich und körperlich an“, schreibt Ramelow. „So etwas geht einfach gar nicht!“ Jetzt müsse „amtlich gehandelt“ werden. Auch Politiker von CDU und Grünen verurteilten die Attacke scharf.
Was war passiert? Am Samstagvormittag fand in Bad Lobenstein das Marktfest statt, auf dem der parteilose Bürgermeister seinen offiziellen Empfang im „Neuen Schloss“ feierte. Unter den geladenen Gästen befand sich ein bekannter Vertreter der Reichsbürgerszene, der erst vor wenigen Wochen erklärt hatte, ihm stünden die Verwaltungsstrukturen Deutschlands von 1918 zu. Der Mann hatte Deutschland auch schon einen „angeblichen Staat“ genannt – und die Gewaltenteilung eine „Illusion“.
Aufgrund der Teilnahme dieses Akteurs bei dem Bürgermeister-empfang war die Berichterstattung für den OTZ-Reporter relevant, so schildert er es im Gespräch mit unserer Redaktion. Hagen wollte vor Ort recherchieren, den Bürgermeister konfrontieren. Worin die Verdienste des umstrittenen Gastes für die Stadt Bad Lobenstein liegen, sollte Weigelt erklären.
Der Bürgermeister reagierte abweisend und forderte den Reporter dazu auf, das Schloss zu verlassen. Auch davon existieren Videoaufnahmen. Nach dem Empfang war der Bürgermeister mit dem Gast und einem AfD-Politiker gegen 11.30 Uhr an einem Stehtisch auf dem Markt zu sehen. Reporter Hagen filmte die Szene. Als Weigelt dies bemerkte, ging er auf den Reporter zu. Bei dem Sturz kam nach Angaben des Reporters noch ein unbeteiligter Passant zu Fall. Auf der Handyaufnahme sind mehrere Personen zu erkennen.
Reporter stellt Anzeige
Der Reporter stellte bei der Polizei Anzeige gegen den Bürgermeister wegen des Verdachts der Körperverletzung und der Sachbeschädigung. Bürgermeister Weigelt war bis zum Sonntag für eine Stellungnahme nicht zu erreichen, reagierte nicht auf Anfragen.
Weigelt ist umstritten. Erst am 17. Juli hatte er ein vom Stadtrat angestrengtes Abwahlverfahren nur knapp überstanden. Anlass für das Verfahren waren auch Kommentare Weigelts in sozialen Medien, in denen er der Regierung Lügen und Verrat vorgeworfen hatte, teilweise im Duktus von Verschwörungsideologen. Ein Screenshot dieser Äußerung liegt unserer Redaktion vor.
Auch der Deutsche Journalistenverband kritisiert die Attacke auf den Reporter scharf, forderte „Konsequenzen“. Der Chefredakteur der OTZ, Jörg Riebartsch, nannte den Vorfall „eine neue, traurige Eskalation“. Immer wieder habe es Versuche gegeben, die Arbeit von Journalistinnen und Journalisten zu behindern – auch durch Drohungen.
Das Europäische Zentrum für Presse- und Medienfreiheit (ECPMF) in Leipzig hat zuletzt in einer Untersuchung 83 tätliche Angriffe in 2021 verzeichnet. Das sind 14 mehr als noch 2020. In den gemeldeten Fällen waren demnach insgesamt 124 Medienschaffende von der Gewalt betroffen.
Der Übergriff des Bürgermeisters auf den Lokalreporter sorgte nun nicht nur lokal für Aufsehen – auch überregionale Medien berichteten. Chefredakteur Riebartsch sagte danach: „Die Redaktion der OTZ lässt sich allerdings auch künftig nicht mit Gewalt einschüchtern.“
Von Marius Koity, Elmar Otto und Christian Unger, Funke-Mediengruppe