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Reitställe und Reitvereine starten wieder

Pferde können nicht in Kurzarbeit gehen

Putzen, pflegen, reiten. Beim Reitverein Lutter werden alle Aufgaben sorgfältig, aber mit dem vorgeschriebenen Corona-Abstand erledigt.  Foto: Leifeld

Putzen, pflegen, reiten. Beim Reitverein Lutter werden alle Aufgaben sorgfältig, aber mit dem vorgeschriebenen Corona-Abstand erledigt. Foto: Leifeld

Nordharz. In der Not zeigt sich, wer wahre Freunde sind. Das sagt ein bekanntes Sprichwort. Stefanie Fiedler, 1. Vorsitzende des Reit- und Fahrvereins Lutter am Barenberge, ahnte immer, dass ihr kleiner Pferdehof im Graffel viele Freunde hat, aber seit der Corona-Krise kann sie sich sicher sein.

Sonntag, 10.05.2020, 09:21 Uhr

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„Ich weiß nicht, ob ich die vergangenen Wochen ohne die große Unterstützung überstanden hätte“, erzählte die Pferdenärrin am Mittwochnachmittag bei strahlendem Sonnenschein. Sonniges Wetter hatte es auch in den vergangenen sechs Wochen der Corona-Einschränkungen an vielen Tagen gegeben – aber eben nur in der Natur. Über dem kleinen Verein waren düstere Wolken heraufgezogen, als mit dem Vereinsleben auch der Reitunterricht komplett ruhen musste. Ein wichtiges Standbein an Einnahmen brach weg. „Machen wir uns nichts vor: Durch den Reitunterricht verdienen die Pferde auch ihren Unterhalt“, erklärte Steffi Fiedler.

Sieben Pferde und Ponys stellt sie dem Reitverein zur Verfügung. „Ohne die vielen Futterspenden wäre ich nicht über die Runden gekommen“, dankte sie den vielen Privatpersonen und Geschäftsleuten, die sie ganz unbürokratisch unterstützten, als sie von der Not im Lutteraner Pferdestall erfuhren. Zuschüsse konnte der kleine Verein nicht beantragen.

Die Lockerung der Corona-Einschränkungen, die nun wieder Reitunterricht zulässt, war für den Reitverein quasi die Rettung in letzter Minute. Sicherlich gäbe es nun viele Auflagen, erinnerte die Vorsitzende an die Einhaltung der Abstände und damit verbundene Reduzierung der Reitschüler, aber viel wichtiger sei der Übergang zur Normalität.

Möglich ist der Unterricht bei ihr nur nach Voranmeldung. „Ich werde in Kleingruppen mit drei Kindern unterrichten. Sie müssen selbstständig auf- und absteigen. Hilfestellung, wie in der Zeit vor Corona, sind nicht mehr denkbar.“ Gegebenenfalls sei die Hilfe von Eltern möglich.

Auch therapeutisches und inklusives Reiten dürfe sie erst einmal nicht anbieten. „Da muss ich mal abwarten, wie sich die Situation entwickelt.“ Zudem müsse alles dokumentiert werden: Welches Kind war da, zu welcher Zeit und auf welchem Pferd? „Die neue Situation wird von uns allen viel Disziplin erfordern. Vor allem von den Kindern.“ Schön war es für sie, die Freude bei den Pferden zu beobachten, als diese Woche wieder Trubel im Stall einkehrte.

Und wie sieht Steffi Fiedler die Zukunft im Lutteraner Reitverein? „Man muss jetzt erfinderisch sein und Ideen haben. Aber es wird für uns hart bleiben. Die finanziellen Verluste sind nicht aufholbar. Ich kann die Pferde nicht dreimal so lange arbeiten lassen. Reitstunden, die nicht gegeben werden konnten, sind verloren. Zudem fallen 2020 alle Veranstaltungen wie der Orientierungs-Ritt und unser Turnier aus. Diese Einnahmen werden uns schmerzhaft fehlen.“

Auch im Reitstall Rittner in Neuenkirchen kehrt dieser Tage das Leben zurück. 2017 verwirklichte Pferdewirtin Wiebke Rittner als Geschäftsfrau ihren Traum vom eigenen Pferdehof. „Ohne die Unterstützung aus dem Corona-Hilfspaket für Kleinbetriebe hätte ich dicht machen müssen. Das hat mich über die vergangenen Wochen gerettet“, machte sie deutlich. „Was soll ich tun? Ich kann meine Schulpferde nicht in Kurzarbeit schicken.“ Alle Kosten liefen ungebremst weiter. Ein weiteres, wichtiges Standbein waren für ihren Reitstall die Einnahmen durch die Pensionspferde. Aber nun werden auch in Neunkirchen unter den bekannten Auflagen wieder Reitstunden angeboten. Natürlich nicht in der Halle, sondern auch dort nur auf dem Outdoor-Reitplatz. Für die Corona-Auflagen zeigte Wiebke Rittner durchaus Verständnis. „Niemand will sich anstecken.“ Aber beim Unterricht in einer geschlossenen Reithalle mit stickiger Luft könne das niemand garantieren.

Nadine Heinzelmann und Josef Gudjonsson betreiben seit 2018 den Islandpferde-Hof „Hestar Grund“ in Langelsheim. „Wir beantragten umgehend die Soforthilfe, aber wir haben bislang nichts bekommen oder gehört“, erzählte Nadine Heinzelmann. „Dass es uns heute noch gibt, verdanken wir nur unseren treuen Reitschülern.“ Der Hof bietet Reitstunden im Abo-System. Ohne eine Leistung zu erhalten, hätten die Reitschüler ihr Abo nicht bezahlen brauchen – aber sie taten es trotzdem. Anfangs verteilten wir noch Gutscheine für die entgangenen Stunden, aber das summierte sich dann erheblich. Das alles nachzuarbeiten, können wir und die Pferde niemals leisten.“ Auch das akzeptierten die Freunde des Pferdehofes. „Sie sagten zu uns: Wir wollen doch, dass es euch nach Corona noch gibt.“ Das sei ein gutes Gefühl.

Startete im „Hestar Grund“ der Reitunterricht mit den Erwachsenen, können ab Montag die Kinder hinzukommen. Alles nur nach Anmeldung und unter strengen Auflagen: Bis die Kinder auf dem Pferd sitzen, müssen sie eine Mund-Nase-Maske tragen. Eltern dürfen die Kinder nur bis an Tor bringen. Auch das Reiterstübchen ist als Aufenthaltsraum bis auf Weiteres geschlossen. Das Satteln der Pferde übernehmen die Betreiber. „Da könnten wir den Mindestabstand nicht einhalten.“

Eines weiß Nadine Heinzelmann aber genau: „Ich werde alle Auflagen streng einhalten. Ich weiß ja auch nicht, wer oder wann kontrolliert wird – aber ich weiß über persönliche Kontakte zu einem befreundeten Reiterhof bei Göttingen, der gegen Corona-Auflagen verstieß und nun 4500 Euro Strafe bezahlen soll. Und das könnten wir in der derzeitigen Situation nicht mehr verkraften.“

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