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Goslar

Ein kritischer Geist ist kein Everybody's Darling

Für jeden hatte der scheidende GZ-Chefredakteur Andreas Rietschel ein persönliches Wort, meist humorvoller Art.  Fotos: Mittendorf

Für jeden hatte der scheidende GZ-Chefredakteur Andreas Rietschel ein persönliches Wort, meist humorvoller Art. Fotos: Mittendorf

Es war eine Veranstaltung für Demokratie und Gemeinsinn und damit ganz im Sinne desjenigen, um den sich alles drehte: Die Goslarsche Zeitung verabschiedete gestern ihren Chefredakteur Andreas Rietschel in den Ruhestand. Empathie und Wertschätzung prägten das Festmahl im Großen Heiligen Kreuz, das von klugen Reden unterbrochen wurde.

Von Sabine Kempfer Donnerstag, 26.04.2018, 18:26 Uhr

Es war eine Veranstaltung für Demokratie und Gemeinsinn und damit ganz im Sinne desjenigen, um den sich alles drehte: Die Goslarsche Zeitung verabschiedete gestern ihren Chefredakteur Andreas Rietschel in den Ruhestand. Empathie und Wertschätzung prägten das Festmahl im Großen Heiligen Kreuz, das von klugen Reden unterbrochen wurde.

Eine sehr bemerkenswerte kam von Goslars Oberbürgermeister Dr. Oliver Junk, der den Stier bei den Hörnern packte und thematisierte, worüber viele Menschen schon viele Gespräche führten: „Dürfen Journalisten und Politiker befreundet sein?“ Nicht wenige der geladenen Gäste dürften an dieser Stelle den Atem angehalten haben. „Ja, dürfen sie“, sagte Junk, spannender sei die Frage, ob sie es könnten.

„Berufsethos und Loyalität zu Freunden können kollidieren“, führte Junk seine sehr persönliche Ansprache fort; suche man dann in der Konsequenz die Distanz, entferne man sich tatsächlich voneinander. „So schön es ist, Chefredakteur oder Oberbürgermeister zu sein, an Tisch 1 zu sitzen und einen reservierten Parkplatz zu haben – man hat einen Preis zu bezahlen“, meinte Junk und beantwortete seine zuvor gestellte Frage: Für echte, tiefe Freundschaft bleibe nur Raum, wenn einer im Ruhestand sei...

Es gab noch einen weiteren Redner, den der Ruhestand von Andreas Rietschel aus nachvollziehbaren Gründen froh macht: Sein Nachfolger im Amt, Jörg Kleine, freut sich über den guten Start in Goslar. Er sei offen aufgenommen und mit viel Vorschusslorbeeren willkommen geheißen worden, sagte er. Vom ehemaligen GZ-Chefredakteur Hans Kraus, einem der gut 80 Festgäste, bekam er zum Start zwei GZ-Glücksschweinchen geschenkt, ein silbernes und ein goldenes. Das Silberne steht in den Augen von Kleine für Goslar und den Rammelsberg, das Goldene für Korbach. Dort war Kleine (55) nicht nur lange Chefredakteur der Waldeckischen Landeszeitung, sondern auch Besucherführer im Goldbergwerk.

Die GZ-Verleger Klemens Karl Krause und Philipp Krause hatten im Großen Heiligen Kreuz für den außergewöhnlich festlichen Rahmen gesorgt, um den „bemerkenswerten und viel geachteten Journalisten“ Andreas Rietschel (Philipp Krause) zu verabschieden, der laut Klemens Karl Krause siebeneinhalb Jahre als Chefredakteur an der Spitze der GZ stand und sich nun von einem Beruf verabschiede, den er wie eine Berufung gelebt habe. Zu den Gästen aus der Medienbranche, aus Politik, Verwaltung, Wirtschaft und Kultur gehörte Landrat Thomas Brych, für den es an diesem Tag statt eines Ständchens einen Geburtstagsapplaus gab.

Ein Grußwort von Ralf Freitag, Sprecher des Chefredakteursausschusses vom Verband Deutscher Lokalzeitungen, war den Reden vorausgegangen; Rietschel war Mitglied und für seinen Kampfgeist bekannt sowie für die „gestaltende Lust, Chefredakteur zu sein“.

„Wie können wir junge Menschen für periodische Publizistik begeistern?“ war eine der zentralen Fragen des Gremiums, die auch Rietschel nachhaltig beschäftigt. Es geht um den Weg der Zeitung in die digitale Welt, ohne publizistische Qualität einzubüßen; es geht um das nur mit einem qualitativ hochwertigen Produkt mögliche Überleben familiengeführter Zeitungsverlage, um den Weg weg vom Termin-, hin zum Themenjournalismus, wofür auch Rietschel steht. Sein aktuelles Erbe für die GZ-Redaktion ist das „Thema der Woche“.

„Menschen sind immer mehr als das, was wir wahrnehmen“, sagte Tobias Henkel, Direktor der Stiftung Braunschweigischer Kulturbesitz, und sprach von „Mehrfachbegabungen“ der Journalisten; augenfälliges Beispiel war GZ-Volontärin Silja Meyer-Zurwelle, die als studierte Violinistin gemeinsam mit ihrem Partner Noah Vinzens am Piano der Kreismusikschule den musikalischen Part bestritt und dem musikbegeisterten Bandmitglied „ari“ mit „Lady Madonna“ von den Beatles einen Wunsch erfüllte.

„Was tun wir eigentlich, um Demokratie, Gesellschaft und Zukunft zu gestalten?“ fragte Henkel und nahm alle Anwesenden in die Pflicht. Der nächsten Generation einen Rahmen zu geben, daran arbeite er gemeinsam mit dem ehemaligen GZ-Chefredakteur; konkreter wurde er (noch) nicht.

Philipp Krause blickte auf das erfüllte Berufsleben von „ari“ zurück, der Spuren hinterlassen habe, als Manager, Journalist und Mensch mit einer Haltung – kein „Everybody's Darling“. Der so Angesprochene, ein Ruheständler, der neugierig ist auf das Leben jenseits des Schreibtisches, ohne Uhr, dafür mit Motorrad und Wohnmobil, dankte den Verlegern für ihr Rückgrat: „Es waren wertvolle Jahre, die ich in der GZ erlebt habe.“ „ari“ wäre nicht „ari“, hätte er sein Podium nicht noch für ein Plädoyer genutzt – für kritischen Journalismus im Sinne der Demokratie ebenso wie für bürgerschaftliches Engagement als Bollwerk gegen deren Feinde.

Großer Bahnhof für einen scheidenden Chefredakteur: links mit GZ-Verleger Philipp Krause und Tobias Henkel, rechts mit OB Dr. Oliver Junk. Mitte: GZ-Verleger Klemens Karl Krause mit Ex-Chefredakteur Hans Kraus.

Großer Bahnhof für einen scheidenden Chefredakteur: links mit GZ-Verleger Philipp Krause und Tobias Henkel, rechts mit OB Dr. Oliver Junk. Mitte: GZ-Verleger Klemens Karl Krause mit Ex-Chefredakteur Hans Kraus.

ari Abschied

ari Abschied

Ari Abschied

Ari Abschied

Führt der Besucherführer im Goldbergwerk bald durch den Rammelsberg? GZ-Chefredakteur Jörg Kleine mit seiner Frau Kerstin im Gespräch mit Gerhard Lenz.

Führt der Besucherführer im Goldbergwerk bald durch den Rammelsberg? GZ-Chefredakteur Jörg Kleine mit seiner Frau Kerstin im Gespräch mit Gerhard Lenz.

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