Georg Diederichs – der erste GroKo-Chef

Der aus Braunschweig stammende Alfred Kubel hatte ein Haus in Braunlage und wohnte während seiner Amtszeit im schönen Oberharz. Sigmar Gabriel ist gebürtiger Goslarer, hat am Ratsgymnasium Abitur gemacht und wohnte nie anderswo. Es gibt allerdings noch einen dritten SPD-Ministerpräsidenten mit Berührungspunkten zu Goslar und dem Oberharz: Der in Northeim geborene Georg Diederichs ist Ehrenbürger von Clausthal-Zellerfeld, ebenfalls Abiturient des Ratsgymnasiums und einziger Regierungschef, der jemals eine Große Koalition in Hannover führte (siehe Kasten).
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Der aus Braunschweig stammende Alfred Kubel hatte ein Haus in Braunlage und wohnte während seiner Amtszeit im schönen Oberharz. Sigmar Gabriel ist gebürtiger Goslarer, hat am Ratsgymnasium Abitur gemacht und wohnte nie anderswo. Es gibt allerdings noch einen dritten SPD-Ministerpräsidenten mit Berührungspunkten zu Goslar und dem Oberharz: Der in Northeim geborene Georg Diederichs ist Ehrenbürger von Clausthal-Zellerfeld, ebenfalls Abiturient des Ratsgymnasiums und einziger Regierungschef, der jemals eine Große Koalition in Hannover führte (siehe Kasten).
Ob die Unterhändler von SPD und CDU in der Landeshauptstadt überhaupt einen Gedanken an die Zeit von 1965 bis 1970 verschwenden, wenn sie an einer GroKo-Neuauflage arbeiten? Heute um 11.30 Uhr kommt der neu gewählte Landtag zu seiner konstituierenden Sitzung zusammen. Vermutlich wird nur die Göttingerin Gabriele Andretta zur neuen Parlamentspräsidentin gewählt. Der neue Ministerpräsident, so denn die Verhandlungen erfolgreich laufen, ist wohl erst am 22. November an der Reihe.
An seinem frühen Vorgänger Georg Diederichs wäre sicherlich einiges abzugucken. Großer Mut zum Beispiel: Unter den Nazis verbrachte Diederichs ein Jahr im Gefängnis, weil er für Familien emigrierter Genossen Geld sammelte. Im KZ Esterwegen musste er zudem Zwangsarbeit leisten. Zur gleichen Zeit war dort auch Carl von Ossietzky inhaftiert.
„Ein studierter Apotheker und promovierter Volkswirt, der nach 19 Mensuren drei Schmisse im Gesicht hatte und dennoch sozialdemokratischer Ministerpräsident wurde. Ich denke, das ist schon etwas Ungewöhnliches.“ Diese Sätze schrieb im Jahr 2000 anlässlich des 100.Geburtstag von „Schorse“, wie ihn seine Weggefährten nannten, sein später Nachfolger Sigmar Gabriel. Zu Diederichs weiß er heute noch viel.
Aber warum er sein Abitur am Goslarer Ratsgymnasium gemacht hat? Gabriel, Abiturient von 1979, muss passen. Auch im Stadtarchiv ist nur die Tatsache, nicht der Grund hinterlegt. Der frühere Lehrer und Autor Dr. Hans Gidion führt ihn in seiner Geschichte des Ratsgymnasiums mit einem „o“ zu viel (Geoorg Diederichs) als Abiturient des Realgymnasiums von 1918. Zur Erklärung: Zu den damals noch meist als Lateinschulen ausgelegten Gymnasien wurden Ende des 19. Jahrhunderts in Preußen die Realgymnasien gegründet. Die Absolventen lernten stärker die modernen Fremdsprachen und Naturwissenschaften.
Aber wie kommt Georg Diederichs so jung nach Goslar? Nur Spekulation und nicht gesichert, aber immerhin vielleicht ein Anhaltspunkt: Von 1890 bis 1923 unterhielt das Kloster Loccum ein Alumnat am Ratsgymnasium, das diesen Namen damals noch nicht trug. Heute bezeichnete man ein Alumnat wohl als Internat, die seinerzeit doch eine gewisse Strahlkraft entwickelte. In jenen Jahren machten in Goslar diverse Grafen und mehrere Prinzen ihr Abitur, so Prinz Carl Gottfried von Hohenlohe-Ingelfingen (1899) oder Botho Erbprinz zu Stolberg-Wernigerode (1914). Auch die späteren Generäle und Widerstandskämpfer Henning und Gerd von Tresckow waren 1919 Absolventen des Ratsgymnasiums. Ob sie den aus konservativer Familie stammenden Apothekersohn Diederichs kennengelernt hatten?
Schluss mit Mutmaßungen: Im September 1980 gratulieren die ehemaligen Ratsgymnasiasten in ihrem Mitteilungsblatt „einem unserer prominenten Ehemaligen“. „Von 1961 bis 1970 regierte er als Grandseigneur auf dem Niedersachsenroß mit Klugheit und Geschick unser Land.“ Die Spurensuche wechselt in den Oberharz: Neben Verdienstkreuzen des Landes, des Bundes und Österreichs sowie der Niedersächsischen Landesmedaille und dem Großkreuz des Päpstlichen Pius-Ordens sind dort Ehrenbürgerschaften für seine Heimatstadt Northeim und Clausthal-Zellerfeld ausgewiesen – im Oberharz 1965 und sogar ein Jahr früher als bei den Südniedersachsen. Und übrigens im vollen politischen Saft, was vielleicht bei der aktuellen Debatte zur vorgeschlagenen Gabriel-Ehrung interessiert.
Seine Ehrenbürgerwürde erhielt Diederichs in Clausthal-Zellerfeld für sein langjähriges Wirken als Wahlkreisabgeordneter. Archivar Helge Frank schlug gestern in den Protokollen nach. Schon am 17. Dezember 1964 stimmte der Rat der Bergstadt in nicht öffentlicher Sitzung einstimmig für die Auszeichnung, die demnach im Folgejahr verliehen wurde. Ungewöhnlich aus heutiger Sicht: Es gab vorher keinen Beschluss des Verwaltungsausschusses. Frank vermutet, dass die Politik die Sache selbst in die Hand genommen habe, ohne dass die Verwaltung mit der Vorbereitung etwas zu tun gehabt habe.
Was für ein Mensch war Georg Diederichs? Beim Lassalle-Kreis – ein Zusammenschluss von Männern und Frauen, die zugleich einer Studentenverbindung und der SPD angehören – sind einige Wertschätzungen zu finden. Das Mitglied des Göttinger Corps Hercynia wurde zu seinem 65.Geburtstag in der Parteizeitung „Vorwärts“ 1965 als „Mann des Ausgleichs und von vielfältigen Neigungen“ beschrieben. Er hatte Vorlieben für die Philosophen Karl Jaspers. Voltaire und Arthur Schopenhauer, mochte moderne Maler und war passionierter Taubenzüchter. Statt sich auf Schreibtischarbeit zu beschränken, legte er Wert auf persönliches Kennenlernen, bereiste alle damals 60 Landkreise und 15 kreisfreie Städte. Überliefert ist, dass der frühere Burschenschaftler bei Empfängen auf Alkoholkonsum verzichtete – mit der launigen Bemerkung, sein Quantum Schnaps habe sein Vorgänger Hinrich Wilhelm Kopf schon für ihn getrunken. Zurück zur GroKo: Die Koalition endete im Streit. Als 1969 im Bund SPD und FDP gemeinsame Sache machten, traten drei Liberale der CDU bei und ein Genosse aus der Partei aus. Die SPD verlor ihre Mehrheit. Diederichs entließ alle CDU-Minister, nachdem deren Fraktion einen Ex-NPD-Mann aufgenommen hatte. Der Landtag verweigerte die Zustimmung. Die CDU kündigte einen Misstrauensantrag an, zog aber zurück, als sich das Parlament auf Neuwahlen geeinigt hatte –Hannover im Jahr 1970...
ZUR PERSON
- Georg Diederichs wurde am 2. September 1900 in Northeim geboren und starb am 19.Juni 1983 in Hannover. Sein Grab befindet sich auf dem Stadtfriedhof in Northeim.
- Er war in der Weimarer Republik zunächst für die Deutsche Demokratische Partei (DDP) aktiv und wechselte 1930 zur SPD. Nach dem Weltkrieg setzten ihn die Briten im Oktober 1945 als Bürgermeister seiner Geburtsstadt ein, 1946 war er für wenige Monate auch Landrat.
- Im April 1947 wurde er im Wahlkreis Oberharz-Zellerfeld in den Landtag gewählt. Das Mandat verteidigte er bis zum Ende seiner Zeit im Parlament am 28. März 1974. 1948 wurde Diederichs vom Landtag als einer von neun Abgeordneten aus Niedersachsen in den Parlamentarischen Rat gewählt und gilt deshalb auch als einer der Väter des Grundgesetzes. Im Landtag fungierte Diederichs von Beginn an bis 1955 als Fraktionsvize. Ab 1955 war er Vizepräsident des Landtages. 1957 wurde er Sozialminister.
- Nach dem Tod von Ministerpräsident Hinrich Wilhelm Kopf (SPD) am 21. Dezember 1961 übernahm Diederichs das Amt und führte ab dem 29. Dezember sein erstes Kabinett mit Ministern von SPD, FDP und GB/BHE (Gesamtdeutscher Block/Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten).
- Die Große Koalition in Niedersachsen bestand vom 19. Mai 1965 bis zum 8. Juli 1970. In den Ministerrollen finden sich bekannte Männer wie der Christdemokrat Wilfried Hasselmann (Ernährung, Landwirtschaft und Forsten) oder Diederichs direkter Nachfolger Alfred Kubel (Finanzen).
- Während der 50er Jahre war Diederichs ein ausgewiesener Gegner der Atomenergie. 1965 wirkte er maßgeblich am Konkordat zwischen Katholischer Kirche und dem Land Niedersachsen mit, das in der SPD umstritten war und zudem zum Bruch mit der FDP führte.
- Diederichs war bis ins hohe Alter Präsident des Roten Kreuzes in Niedersachsen. In Northeim ist eine Straße, in Clausthal-Zellerfeld war die Hauptschule nach ihm benannt. Beide Städte führen ihn als Ehrenbürger.