Der „Achtermann“: Ein Hotel als Kriegslazarett

Blick in den Marmorsaal des Hotels „Der Achtermann“: Wo die Goslarer vor und nach dem Krieg rauschende Feste zu feiern wussten und wissen, werden in zusammengesuchten Betten die Verwundeten behandelt. Die Bilder zur Dokumentation der Erinnerungen des Autors stammen nicht direkt aus seiner Zeit, sondern sind dem Archiv des früheren GZ-Fotografen Friedhelm Geyer entnommen. Er hat sie in seinem Buch „Goslar im Krieg und den Jahren danach 1939 - 1965“ veröffentlicht.
Das Goslarer Lazarett war bis dahin ein „Reservelazarett“ in der Heimat, nun war es durch das Heranrücken der Front zu einem „Kriegslazarett“ geworden. Die Hauptabteilung der Goslarer Lazarette zur chirurgischen Versorgung der Verletzten war in dem ehemaligen Spitzenhotel „Der Achtermann“ eingerichtet, wohl wegen der günstigen Lage zu den Verkehrswegen. Dort lagen auch die militärische Zentrale und die Verwaltung der Goslarer Lazarette.
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Zu meiner Zeit waren alle Räume, die ehemaligen Gästezimmer, die kleineren und größeren Säle (früher als Gaststätten oder Festsäle benutzt), soweit sie nicht zu Funktionsräumen wie Operationssaal, Röntgenabteilung, Labor, Gipsraum oder Verbandszimmer benötigt wurden, voll mit Betten für die verletzten Soldaten belegt. Gruppen von Zimmern oder Teile der Säle waren zu „Stationen“ zusammengefasst, je nach medizinischen oder technischen Zweckmäßigkeiten wie in einem Krankenhaus.

Der Autor: Dr. August-Wilhelm Grundner-Culemann
(... An dieser Stelle folgen unter anderem detaillierte Wund- und Krankheitsbeschreibungen ...)
Die organisatorische Struktur des Lazarettbetriebs änderte sich zu jener Zeit nicht. Es galten auch nach der Besetzung die militärische Ordnung und Disziplin wie vorher. Wie immer verhielten wir uns den Vorgesetzten und Kollegen gegenüber loyal. Auch in zivilen Krankenhäusern und sonstigen Einrichtungen ist ja eine Hierarchie selbstverständlich. Als Arzt war ich den zahlreichen Schwestern und Helferinnen gegenüber fachlich weisungsberechtigt.
Unseren Dienst leisteten wir pflichtgemäß im Bewusstsein der Schicksalsgemeinschaft. Die sinnvolle Tätigkeit lenkte etwas ab von den belastenden Ereignissen der Zeit, um uns herum und bei persönlichen Schicksalen. Allgemein war die Stimmung beim Erscheinen der Amerikaner verständlicherweise gespannt; wir hatten ja keine Vorstellung von dem, was uns in den nächsten Stunden, Tagen und Wochen geschehen könnte. Die amerikanischen Soldaten störten unseren Betrieb jedoch wenig, es wurden allerdings einige Leichtverwundete und solche, die dem Suchkommando als „Drückeberger“ oder „Nazis“ verdächtig waren, herausgeholt.
Zu unserer erfreulichen Überraschung begann die amerikanischen Truppen Ende April 1945 damit, uns jeden Tag einen ganzen Lastwagen voller Lebensmittel in den „Achtermann“ zu liefern. Es waren Armeebestände, und es hieß, sie stammten aus einem Depot bei Ringelheim oder sonst in der Nähe. Dieses werde aufgelöst, weil es zum weiteren Vormarsch nicht mehr benötigt würde. So bekamen wir vier Wochen lang eine wirksame Hilfe zur Versorgung der Goslarer Lazarette auf viele Monate voraus.
Der tägliche und wöchentliche Dienst verlief zu meiner Zeit plan- und regelmäßig. Es gab im Wechsel Operationstage, Gipstage, Verbandstage, Visiten. Als Ärzte waren in den Lazarettabteilungen auch einige in der Stadt praktizierende Haus- und Fachärzte als aktive oder Reservesanitätsoffiziere tätig. Auch sie waren meine Vorgesetzten und Lehrer.
Neben „Sanitätsdienstgraden“ gab es zahlreiche ausgebildete Schwestern und „Schwesternhelferinnen“ des Deutschen Roten Kreuzes, natürlich auch andere Fachkräfte und sonstige Helfer, viele davon Bürger und Bürgerinnen Goslars. Ich war im „Achtermann“ also kein Fremdling und fühlte mich dort auch nicht fremd.
Soweit es mein Dienst erlaubte, durfte ich das Lazarett verlassen und mich außerhalb der von der Besatzung verordneten Sperrzeiten frei in der Stadt, ja sogar bis in die Berge hinein, bewegen wie die übrigen Bewohner der Stadt. Wenn es sich nicht vermeiden ließ, dass ich dabei an den fremden Soldaten vorbeiging, grüßte ich diese „auf Augenhöhe“ durch das ritterliche „Anheben des Helmvisiers“, das Anlegen der Hand an die Kopfbedeckung. Das gebot kameradschaftlichen Respekt, auch dem Gegner gegenüber.
Chefarzt der Abteilung „Achtermann“ war, als ich im April 1945 nach Goslar kam, Oberstabsarzt (OStA) Dr. Surén, bei dem ich 1943 im Reservelazarett Quedlinburg bereits eine dreimonatige Famulatur geleistet hatte. Er war nach nunmehr mehreren Jahren praktischer Tätigkeit in der Kriegschirurgie sehr erfahren und ein guter Lehrmeister für jüngere Kollegen. Anfang Juli 1945 wurde er verabschiedet, da er in Braunschweig ein Krankenhaus übernahm. Es folgte OStA Dr. Peters als Leiter der Abteilung. Es gab noch mehrere Sanitätsoffiziere, die wohl zum Teil erst kürzlich ihren Dienst hier begonnen hatten.
OStA Dr. Placke und OStA Dr. Lang waren meines Wissens für alle Lazarettabteilungen – es waren etwa 12 bis 14 Häuser – verantwortlich. Deren „Zeitzeugnis“ könnte für die Beschreibung der inneren Verhältnisse im Goslarer Lazarettwesen verbindlicher sein, da mir als subalternem Dienstgrad natürlich das genaue Wissen und der Gesamtüberblick fehlten. Wesentliche politische Spannungen oder Auseinandersetzungen innerhalb des alltäglichen Betriebes im „Achtermann“ habe ich nicht wahrgenommen. Ich erinnere mich nur, dass einmal ein Patient vom Chefarzt zurückgewiesen wurde, weil er in politischem Sinne frech geworden war.
Die Ereignisse des „Überrolltwerdens“ haben wohl zu einem Schock geführt, der den Willen zu politischem Streit in dieser frühen Zeit nach der Niederlage lähmte, weil jeder eher um das eigene Überleben besorgt war. Im Frühjahr 1945 „saßen wir ja alle in einem Boot“. Für gutwillige Menschen galt es, jetzt nicht Hass und Gewalt aufkommen zu lassen, sondern gerade in dieser Situation beherrscht, gerecht und anständig zu bleiben.
Die Goslarer erleben zuerst die lässigen „Amis“, später die bürokratischen und pedantischen Briten als neue Herren in der Stadt.